Rechtspopulisten an der Macht

Lehren aus dem österreichischen Laboratorium

Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), die führenden Köpfe von Österreichs neuer Regierung.
Regierungskoalition mit Rechtspopulisten: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (vorne, ÖVP) und sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ). © imago / Eibner Europa
Anmerkungen von Barbara Tóth · 16.10.2018
Mittlerweile sitzt die AfD in allen Parlamenten außer in Hessen. Mit Rechtspopulisten an der Macht haben die Österreicher seit Jahrzehnten Erfahrungen. Was können wir von ihnen lernen? Die Wiener Publizistin Barbara Tóth mit Warnungen – und einer Hoffnung.
"Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält." Das ist ein geflügelter Satz Friedrich Hebbels. Was den Umgang mit den Rechtspopulisten angeht – oder benennen wir sie lieber als das, was sie sind: Rechtsdemagogen und Rechtsextreme. Was also den Umgang mit der extremen Rechten angeht, hat Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – tatsächlich alle Varianten schon durch.

Keine Patentrezepte für Umgang mit Rechtspopulisten

Sozialdemokraten und Christlich-Soziale haben die extrem rechte FPÖ schon dämonisiert, ausgegrenzt, sich von ihr abgegrenzt, sie zu zähmen versucht, sie umworben, instrumentalisiert, vereinnahmt, zuletzt imitiert. Und sie koalieren nun zum dritten Mal mit der FPÖ in einer Regierung. Immer in der Hoffnung, dass sie danach schwächer werden würde oder ganz zerbricht.
Vergeblich. Die eine einfache Methode, die FPÖ auf politischer Ebene zu neutralisieren, gibt es bis dato nicht, zumindest nicht in Österreich. Somit lassen sich leider auch keine Patentrezepte von Wien nach Berlin geben. Aber eine Warnung, die gibt es. Und eine Hoffnung.

Macht der extremen Rechten nicht dämonisieren

Zuerst die Warnung. Die Warnung davor, wie sich die gesamte politische Kultur eines Landes verändert, wenn sie fortlaufend um die Frage kreist: Wie hältst du es mit der AfD? Oder der FPÖ? Wie stehst du zu den Themen der AfD? Oder der FPÖ? Genau das ist nämlich in Österreich in den letzten 30 Jahren passiert. Als Ergebnis haben wir eine Sozialdemokratie, die dauernd darüber redet, wie wichtig es doch ist, Verständnis für die Sorgen und Ängste der Wählerinnen und Wähler der extremen Rechten zu zeigen. Und dabei vergisst, über ihre ureigensten Themen zu sprechen.
Und wir haben eine Christlich-Soziale Partei unter ihrem Parteichef Sebastian Kurz, der vor allem deshalb so erfolgreich ist, weil er den höflicheren Rechtspopulisten gibt, den ohne Schmuddelfaktor.
Beides hat logischerweise dazu geführt, dass der gesamte politische Diskurs und damit auch die Politik in Österreich noch mehr nach rechts gerückt ist. Das heißt nicht, dass Nicht-Über-die-AfD-Reden besser ist, aber es ist eine deutliche Warnung davor, die Macht der extremen Rechten zu überzeichnen und sie zu dämonisieren.

Politische Kultur ist keine Selbstverständlichkeit

Und die Hoffnung? In Österreich wächst gerade wieder das Bewusstsein, dass unsere politische Kultur Tag für Tag gepflegt und verteidigt gehört. Dass sie nicht selbstverständlich ist. Dass die Amtsinhaber und die Wähler sie nicht umsonst serviert bekommen wie das Glas Wasser zur Melange im Wiener Caféhaus.
In Österreich lernt man plötzlich, öffentlich-rechtliche Institutionen wie den ORF wieder zu schätzen. Weil er uns daran erinnert, was die wichtigste Aufgabe ist: ins Gespräch zu kommen, über alle ideologischen Grenzen hinweg. Der ORF hat diesen dringend notwendigen Dialog angestoßen , indem er ein "Bürgerforum" veranstaltet hat, zu besonders hitzigen Themen wie "Österreich auf dem Prüfstand – Wie geht es weiter?" Oder "Flüchtlinge - Kein Ende in Sicht?".

Mehr Zivilcourage und Aufklärung

Aber reden ist nur der Anfang. Die Bürger in Österreich haben auch kapiert: Jeder einzelne trägt Verantwortung und kann handeln. Wir sind wieder dankbar für all die Lehrerinnen und Lehrer, die politische Bildung in den Schulen ernstnehmen und unterrichten.
Wir entdecken wieder, wie wichtig kritische, investigative Medien sind, weil sie aufdecken und kontrollieren, wenn die extreme Rechte ihre politischen Ämter missbraucht. Was sie natürlich tut, und das nicht wenig.
Und wir verstehen wieder, dass eine reife Gesellschaft nicht nur funktionierende Autobahnen und Zugverbindungen braucht, wie es uns der Neoliberalismus predigt, sondern auch eine soziale, eine intellektuelle Infrastruktur.
Mit realen Orten, an denen man sich begegnen kann. Das kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein, aber auch das Wirtshaus im Dorf, in dem man sich ausstreitet, ein Café, die öffentliche Bücherei, ein Gemeinschaftszentrum, in dem verschiedene Medien aufliegen und Debatten stattfinden.
Zivilcourage des Einzelnen hilft, und ein starker, selbstbewusster Staat hilft. Das ist die Hoffnung aus Österreich, aus der kleinen Welt, in der die große ihre Probe hält.

Barbara Tóth, Jahrgang 1974, ist Historikerin, Buchautorin und Journalistin bei der Wiener Wochenzeitung "Der Falter". Zuletzt erschienen von ihr, gemeinsam mit Nina Horaczek: "Sebastian Kurz, Österreichs neues Wunderkind?", 2017, "Stiefmütter. Leben mit Bonuskindern", 2018 (beides Residenz Verlag).

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