Autoritäres Denken und die AfD

Der Wunsch nach Unterwerfung

Demonstration der Alternative für Deutschland (AfD) zieht am 27. Mai 2018 durch Berlin.
Ein Viertel der Gesellschaft neigt rechtsextremen Meinungen zu. Neu ist, dass immer mehr dafür offen einstehen: Demonstration der AfD in Berlin. © AFP/Tobias Schwarz
Von Sieglinde Geisel · 08.10.2018
Autoritäre Politik propagiert ein eindeutiges Weltbild, das keine anderen Vorstellungen zulässt. Mit dem Erstarken der AfD ist dieser Wunsch nach starker Führung in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Eine Gegenbewegung zur pluralen Gesellschaft?
Vor einem Jahr zog die AfD in den Bundestag ein, als drittstärkste Kraft, laut aktuellen Umfragen changiert sie als zweit- oder drittstärkste Kraft, in Teilen des Ostens bekämen die Rechtspopulisten sogar die meisten Stimmen, wenn dort am Sonntag Wahlen wären. Ereignisse wie in Chemnitz schaden ihr nicht, im Gegenteil. Das Autoritäre ist wieder auf dem Vormarsch.
"Als Kernelemente könnte man nennen die autoritäre Unterwürfigkeit, die Bereitschaft, gesellschaftlich Schwächere unter sich unterzuordnen , und die Bereitschaft, in konventionellen Kategorien zu denken."
Björn Milbradt ist Soziologe am Deutschen Jugendinstitut in Halle und er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Über autoritäre Haltungen in postfaktischen Zeiten". Autoritäre Haltungen und Fake News sind voneinander nicht zu trennen, denn der autoritäre Charakter erträgt keine Ambivalenzen.
"Autoritäre Politik besteht in ganz wesentlichen Teilen in der Vorstellung, dass nichts anderes existieren darf, dass alles, was der eigenen Meinung und dem eigenen Gesellschaftsbild widerstreitet oder nicht darin aufgeht, im Grunde raus muss aus dem Land, am besten aus der Welt. All das kann man im Prinzip als einen autoritären Versuch deuten, die Welt so einzurichten, die Gesellschaft so einzurichten, dass nichts mehr stört. Das heißt auch, dass man sich mit nichts Störendem mehr zu befassen braucht."

"Das Ziel ist, Deutungshoheit zu erlangen"

"Ich halte diesen Schrei Lügenpresse für ein ganz zentrales und ganz destruktives Vorgehen", sagt die Wiener Philosophin Isolde Charim. "Das Ziel ist nicht, dass sich das bessere Argument durchsetzt. Das Ziel ist, dass es zu einer Umdeutung kommt. Das Ziel ist, Deutungshoheit zu erlangen. Und deshalb geht es bei ihnen immer um Hegemonie-Strategien. Wer spricht, und wo spricht man?"
In ihrem Buch "Ich und die anderen" beschreibt Isolde Charim die plurale Gesellschaft: Es ist eine Gesellschaft, in der keine Identität mehr die Vorherrschaft hat. Das Christentum ist nicht mehr die Religion, sondern eine Religion unter anderen, die deutsche Kultur eine unter anderen. Früher war klar, was ein richtiger Deutscher, Österreicher oder Franzose ist – heute ist diese Selbstverständlichkeit nicht mehr gegeben. Genau in diese Lücke stößt das autoritäre Denken.
"Ich glaube, das Wesentliche, wo man sagen kann, dass es autoritär zu werden beginnt, ist eigentlich mit der Absolutsetzung der eigenen Identität."
Autoritäres Denken will Eindeutigkeit – und ist doch selbst in einem Paradoxon gefangen. Wie sagt doch der Hauptmann von Köpenick, in einem Stück, das 1931 auf die Bühne kam und zwei Jahre später von den Nazis verboten wurde?

Autoritäres Denken als "Grundlage des Faschismus"

"Das ist ein Radfahrer. Nach unten tritt er, nach oben buckelt er."

Isolde Charim: "Die Leute entscheiden sich für diese autoritäre Haltung, man unterwirft sich, es gibt dieses Wort, was ich eigentlich interessanter finde als autoritärer Charakter, finde ich die Formulierung freiwillige Unterwerfung."
"Er bewundert die Autorität und neigt dazu, sich ihr zu unterwerfen, möchte aber gleichzeitig selbst eine Autorität sein, der sich andere zu unterwerfen haben", so formuliert es Erich Fromm, einer der frühen Theoretiker des Autoritären.
Sein Buch "Die Furcht vor der Freiheit" erschien in den USA 1941, Fromm sah in der autoritären Persönlichkeit "die menschliche Grundlage des Faschismus". Damals wurde die sadomasochistische Neigung des autoritären Charakters psychoanalytisch gedeutet, als Folge einer repressiven Erziehung. Das war auch der Erklärungsansatz der berühmten "Studien zum autoritären Charakter" des nach Amerika emigrierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung.

Die Sehnsucht nach alten Gewissheiten

Im Gefolge der Achtundsechziger sind die autoritären Väter zunehmend verschwunden, daher sucht man heute nicht mehr vornehmlich in der Kindheit nach den Ursachen. In der aktuellen Forschung spricht man weniger vom autoritären Charakter, sondern eher von einer autoritären Disposition: "Eine Disposition, die aktiviert werden kann bei einer empfundenen Bedrohung", sagt Isolde Charim.
Umfragen belegen seit Jahrzehnten, dass ein Viertel der Gesellschaft rechtsextremen Meinungen zuneigt. Neu ist jedoch, dass diese Haltungen in Taten umschlagen:
Björn Milbradt: "Die Leute sind zunehmend bereit, auch solche Politik zu unterstützen, zu Demonstrationen zu gehen, im Alltag abwertende Einstellungen nicht einfach im Kopf mit sich herumzutragen, sondern damit auf Leute loszugehen."
Was bewirkt, dass autoritäre Bewegungen Zulauf bekommen?
Isolde Charim: "Ich denke, das hängt mit dieser empfundenen Bedrohung zusammen. Die Sehnsucht nach dem Autoritären, die ist in Latenz, wahrscheinlich immer da. Eine autoritäre Sehnsucht wird aktiviert, wenn eine Veränderung in der Gesellschaft als so grundlegend erfahren wird, dass man sich in dieser Gesellschaft nicht wiedererkennt."
Die Hoffnung, es werde wieder, wie es einmal war, auch wenn alle wissen, dass es so nie gewesen ist – das ist die Verheißung der autoritären Bewegungen. Sie bieten all jenen Zuflucht, die in der pluralen Gesellschaft um sich selbst fürchten.
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