Rebecca West: "Die Rückkehr"

Liebevolle Schocktherapie gegen das Kriegstrauma

Der Schatten einer Frau und eines Mannes, der ihr eine Rose übergibt, sind an eine Wand geworfen.
Ein Mann übergibt einer Frau eine Rose: Im Roman "Die Rückkehr" wähnt sich die verheiratete Hauptfigur durch ein Kriegstrauma wieder in seiner Jugendliebe. © picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel
Von Manuela Reichart · 23.07.2016
Ein Trauma aus dem Ersten Weltkrieg sorgt in "Die Rückkehr" dafür, dass ein Mittdreißiger mental statt in seiner Ehe wieder in der eigentlich fehlgeschlagenen Jugendliebe lebt - mit schmerzhaften Folgen. Der 100 Jahre alte Roman der Britin Rebecca West erscheint erstmals hierzulande. Er ist eine großartige Entdeckung.
Rebecca West war eine ungewöhnliche und hoch begabte Frau: namhafte Journalistin und Frauenrechtlerin – und eine wirklich gute Schriftstellerin. Leider konnte man sich bislang von den literarischen Qualitäten der englischen Autorin (1892-1983) bei uns nicht überzeugen, es gab keine Übersetzungen, weder ihrer Romane noch ihrer Reiseessays oder politischen Texte.
1918 - noch während des ersten Weltkriegs erschien der Roman der 26-Jährigen über die Schrecken und die Folgen des Krieges. "Die Rückkehr" erzählt die bedrückende Geschichte eines Mannes, der aus dem Lazarett nach Hause kommt mit einer ungewöhnlichen Verletzung. Er leidet unter einem so genannten "Granatenschock", einer speziellen Amnesie. Die letzten 15 Jahre seines Lebens sind aus seinem Gedächtnis getilgt, er sieht sich deswegen nicht als verheirateten Mittdreißiger sondern als verliebten 21-jährigen Studenten. Der gebildete und wohlhabende Erbe eines Unternehmens und eines Landsitzes in der Nähe von London ist mit einer attraktiven Frau verheiratet, die auch seinem Trauma zum Opfer gefallen ist, er hat sie vergessen, interessiert sich nicht für sie.

Erlösung aus dem Trauma ist ein schwerer Liebesbeweis

Er lebt vielmehr im Bewusstsein seiner Liebe zu einer Wirtshaustochter, die damals aufgrund eines Missverständnisses fehlschlug. Diese Frau ist inzwischen ihrerseits verheiratet und lebt in ärmlichen Verhältnissen. Eine eher unansehnliche Matrone. Kein Vergleich zu der strahlenden Ehefrau, die gemeinsam mit seiner Cousine (die als Erzählerin fungiert) Haus und Hof hütet und sehnsüchtig auf seine Rückkehr gewartet hat. Und doch sieht er bei seiner Rückkehr das junge Mädchen in den Zügen der verhärmten Freundin, sieht mit liebendem Blick, was außer ihm niemand erkennt. Und kümmert sich nicht um seine Ehefrau, die er wohl zum ersten Mal sieht, wie sie ist: kühl und egoistisch.
Psychologisch genau, dramaturgisch eindrucksvoll gefasst erzählt die Autorin diese Schreckensgeschichte, denn so rührend die Fähigkeit des Liebenden ist, die Spuren des Alters zu übersehen, so deutlich ist allen Beteiligten, dass aus dieser Fähigkeit nur ein gewöhnlicher Schwachsinn erwachsen kann. Bald wird er ein älterer tapsiger Mann sein, der nur in der Vergangenheit lebt, ein Gefühlsstarker ohne Verstand. Dass am Ende die alte Freundin ihn aus seinem Trauma mit einer Schocktherapie erlöst, was dem an Freud geschulten Arzt nicht gelungen ist, das ist ein schwerer Liebesbeweis. Die unattraktive Frau verliert nicht nur ihren Liebhaber aus früheren Zeiten - vor allem wird er geheilt wieder dahin zurückkehren müssen, wo er versehrt wurde: aufs Schlachtfeld und in den Schützengraben.

Rebecca West: Die Rückkehr
aus dem Englischen von Britta Mümmler
dtv, München 2016
159 Seiten, 16,90 Euro

Mehr zum Thema