Rebecca Solnit: „Orwells Rosen“

Schönheit und Widerstand

06:29 Minuten
Das Cover des Sachbuchs von Rebecca Solnit, "Orwells Rosen". Es zeigt unten den Namen der Autorin, oben den Titel und dazwischen eine ornamentartige Rosenranke, alles in der Anmutung einer Stickerei.
© Rowohlt

Rebecca Solnit

Übersetzt von Michaela Grabinger

Orwells RosenRowohlt, Hamburg 2022

352 Seiten

24,00 Euro

Von Susanne Billig · 13.07.2022
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George Orwell schuf nicht nur eine düstere Zukunftsvision in seinem berühmt gewordenen Roman "1984". Der englische Autor liebte auch Gärten und Rosen. Wie das zusammenpasst? Rebecca Solnit hat sich auf Orwells Spuren begeben.
Gibt es einen tieferen Zusammenhang zwischen George Orwells Liebe zur Natur und seinem hochpolitischen Leben und Schreiben? Dieser Frage widmet sich die Essayistin Rebecca Solnit in ihrem neuen Buch „Orwells Rosen“.
Wie konnte der Schriftsteller das düstere „1984“ schreiben, so fragt sie, diese an der Sowjetunion geschulte Vision von einem totalitären Staat, der das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger noch bis in die entlegensten Winkel ihres Lebens, ja bis in ihre Gedanken hinein rund um die Uhr zu kontrollieren versuchte – und sich gleichzeitig so ausgiebig mit der Pflege von Obstbäumen und Rosenstöcken befassen?

Menschheitsverbrechen und Rosengedichte

In ihre Suche nach einer Antwort verwebt die Autorin unterschiedlichste Reflexionen. Der stalinistische Machtanspruch selbst über das Fortpflanzungsverhalten von Ackerpflanzen, der durch Fehlanbau Millionen von Menschen vor allem in der heutigen Ukraine in den Hunger stürzte („Holodomor“), führt sie zu Betrachtungen über das So-Sein der Natur, über Botanik und Evolution.
Über die politischen Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts gelangt sie zu den Fake-News-Maschen eines Donald Trump im einundzwanzigsten. Zitate aus Liebes- und Rosengedichten verwebt sie mit einer bedrückenden Reise in die endlosen Gewächshauslandschaften Kolumbiens.

Politisch enttäuschter Rückzug

Mittendrin als roter Faden das Leben George Orwells. Geboren 1903 in Indien als Eric Arthur Blair, litt er seit seiner Kindheit unter Lungenkrankheiten. Er wurde Beamter der britischen Kolonialpolizei in Birma, floh aus dieser Arbeit wegen der Grausamkeiten des Kolonialregimes, kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg auf republikanischer Seite, wo kommunistische Häscher hinter den Frontlinien umherschlichen, um Kritiker Stalins zu liquidieren.
Politische Enttäuschung trieb den Schriftsteller zunehmend in den Rückzug und ließ ihn gleichzeitig den Wert von Privatheit und Intimität als Widerstand gegen totalitären Zugriff verstehen. Rebecca Solnit erzählt von seiner Liebe zu einer Frau und dem gemeinsam adoptierten Kind.
Mit der einen Hand schuf er seine düstere Zukunftsvision „1984“, mit der anderen zog er Gemüse, säte Blumen aus, führte Tagebuch über Wachstumsfortschritte und studierte Insekten.

Ein Briefbeschwerer als Subversion

„1984“ werde häufig nur als Dystopie gelesen, erklärt die Autorin, doch sei das Buch sehr viel mehr. In einem der stärksten Kapitel zeigt sie, wie viel Liebe zu den kleinen Dingen sich darin findet.
So hütet der Protagonist in Orwells totalitärem Überwachungsstaat einen hübschen Briefbeschwerer aus Glas mit einer eingeschlossenen Koralle darin wie einen kostbaren Schatz. Dessen Ästhetik ist den Ansprüchen des Staates zweckfrei enthoben und damit subversiv.
Das ist politische Hoffnung in den Augen von Rebecca Solnit und George Orwells: Am Ende von „1984“ wird der Protagonist durch Folter gebrochen. Aber davor konnte er den Zuständen trotzen, mit einem Briefbeschwerer, einem heimlichen Tagebuch, der Liebe zu einer Frau. „Er ist geschlagen“, drückt die Autorin es aus. “Aber davor hat er gelebt, und obwohl solche Siege flüchtig sind, sind sie doch Siege.“

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