Ré Soupault: "Nur das Geistige zählt"

Ein aufschlussreiches atmosphärisches Zeugnis

Buchcover "Nur das Geistige zählt" von Ré Soupault
Schlaglichter, höchst subjektive Momentaufnahmen einer vergangenen Zeit bietet "Nur das Geistige zählt" von Ré Soupault. © Delius, Leemage / imago / Wunderhorn
Von Helmut Böttiger · 30.05.2018
Sie lebte in Weimar, Berlin, Paris, Algerien und New York, war Bauhaus-Schülerin, Filme- und Modemacherin, Fotografin, Schriftstellerin. Das Buch "Nur das Geistige zählt" umfasst Aufzeichnungen aus dem Leben der 1901 geborenen Ré Soupault.
Die 1901 geborene und 1996 gestorbene Ré Soupault hat eine Biografie, die fast das gesamte 20. Jahrhundert durchmisst und alles umfasst, was es in diesem Zeitraum an dramatischen Verwicklungen, historischen Katastrophen und privaten Turbulenzen gab. Schon von daher sind ihre fragmentarischen, in verschiedenster Weise collagierten "Erinnerungen" ein aufschlussreiches atmosphärisches Zeugnis.
Manches wird verschwiegen, manchmal möchte man mehr wissen, dagegen treten andere Ereignisse recht ausführlich vor Augen – das entspricht aber keinem Konzept, sondern offenkundig den Zufälligkeiten des Schreibens.
Geboren als Erna Niemeyer in einer bürgerlichen Familie in Pommern studierte sie ab 1921 am Bauhaus in Weimar, in seiner mythischen Gründungsphase. In Berlin lernte sie den schwedischen Avantgardisten Viking Eggeling kennen und assistierte ihm bei seinem experimentellen, mit abstrakten Bildern arbeitenden Film "Diagonal-Symphonie".

Ein Mode-Studio in Paris

Sie arbeitete als Modejournalistin und heiratete den undurchsichtigen, umtriebigen Künstler Hans Richter, von dem sie sich bald wieder trennte. In Paris erregte die junge Journalistin Anfang der 30er-Jahre Aufsehen mit ihrem Mode-Studio, entwarf Hosenröcke und das legendäre "Transformationskleid".
Sie verkehrte in den Kreisen der Bohème, Man Ray etwa porträtierte sie, und auf einem Empfang der sowjetischen Botschaft lernte sie den Surrealisten und bekannten Journalisten Philippe Soupault kennen, den sie heiratete und anschließend auf diversen Reportagereisen begleitete.

Kriegsjahre in Tanger und Algier

Besonders eindringlich geschildert werden die Kriegsjahre in Tanger und Algier, dann die Versuche, sich nach dem Krieg in New York niederzulassen und nach der vorübergehenden Trennung von Philippe Soupault ein selbstständiges Leben als Künstlerin in Paris und zeitweilig in der Schweiz zu führen. Die Aufzeichnungen brechen Anfang der 50er-Jahre ab, als sie es noch einmal in New York versucht.
Welche Probleme im Zusammenleben mit Philippe Soupault auftraten, wird ausgespart, auch sonst geht es hier nicht um einen reflektierten, in sich geschlossenen Rückblick.

Leben von der Hand in den Mund als Künstlerin

Der umsichtige Herausgeber Manfred Metzner hat die hinterlassenen Erinnerungen der Autorin aus dem vorhandenen Manuskript, aus Briefen und Tagebuchblättern zu einem fortlaufenden Text arrangiert. Man merkt oft den mündlichen Charakter. Dennoch vermittelt das Buch an einschlägigen Stellen auf solch unmittelbare Weise ein Zeitgefühl, wie man es selten erlebt. Die Aufbruchstimmung am frühen Bauhaus etwa, das Leben von der Hand in den Mund als freischaffende Künstlerin in Berlin und Paris oder der Alltag in Tunesien und Algerien in den 30er- und 40er-Jahren.
Es sind nur Schlaglichter, höchst subjektive Momentaufnahmen, viele Zusammenhänge werden nur angerissen. Aber der abrupte Wechsel vom Leben in Wohlstand und vom einsamen Leben in Armut, die Beschreibungen der einzelnen Wohnungen, das Metropolengefühl als Außenseiterin und Fremde vor allem in New York – all das erweist sich insgesamt als eine ungewöhnliche historische Quelle.

Ré Soupault: "Nur das Geistige zählt. Vom Bauhaus in die Welt. Erinnerungen"
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2018
237 Seiten, 22,80 Euro

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