Rassismus und Polizeiarbeit

Recht und Gesetz sind keine "westlichen Werte"

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Einsatzwagen der Polizei mit Blaulicht und Polizeibeamte bei einem Einsatz auf der Domplatte am Kölner Dom, Köln
Rassismus bei der Polizei drückt sich auch in dem Glauben aus, kriminelles Verhalten sei in manchen Kulturen normal, meint Publizistin Jasamin Ulfat-Seddiqzai. © imago images / Ralph Peters
EIn Kommentar von Jasamin Ulfat-Seddiqzai · 11.11.2020
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Wo hört effektive Kriminalitätsbekämpfung auf, wo fängt Rassismus an? Die Polizei ist in den Ruf geraten, die Grenze nicht immer zu kennen. Dahinter steht eine Verwechslung von Gangster- und Einwandererkultur, sagt Publizistin Jasamin Ulfat-Seddiqzai.
Zum Thema Rassismus bei der Polizei gibt es viele Fragen: Sind Rassisten Einzeltäter oder ist das Problem strukturell? Sind die Hitler-Chats Satire? Und dann geistert da noch eine Idee im Hinterkopf herum, die sich niemand so richtig auszusprechen traut: Könnte es sein, dass ein bisschen Rassismus für die Polizeiarbeit ganz hilfreich ist?
Vor Gericht wird ein Clan-Verbrechen verhandelt, die ganze Familie taucht auf. Alt und Jung beschimpfen Journalisten, fluchen auf Arabisch – manchmal spuckt einer. Die steroid-gespritzten Zuhälter, die in die Kamera fauchen, lösen beim Zuschauer Zorn und Fremdscham aus.

Gleichzeitig hören wir, dass pauschale Verurteilungen rassistisch sind. Dass Racial Profiling die Gefühle "unserer migrantischen Mitbürger" verletzt, Clan-Kriminalität vielleicht sowieso nur Ergebnis unserer Diskriminierung ist. Kann das sein? Wäre Arafat Abou-Chaker ein lammfrommer Engel, wenn es im Viertel mehr Jugendzentren gegeben hätte? Ganz ehrlich? Mehr Jugendarbeit kann nie schaden, aber allein darauf verlassen kann man sich auch nicht. Dafür ist die Clan-Kriminalität zu organisiert.

Fahndung aufgrund von Klischees

Das Hauptargument für Racial Profiling ist stets: Wenn viele Verbrecher aus einem bestimmten Kulturkreis kommen, warum nicht gezielt nach ihnen suchen? Nicht jeder, der Libanese ist, ist Clan, aber viele Clanmitglieder sind Libanesen. Klingt logisch, oder?
In den USA hat sich diese Idee nicht bewährt. Das gängige Täterprofil bei Drogendealern – junger, schwarzer Mann, 1,80 groß – hat dazu geführt, dass alle Täter, die man erwischte, junge, schwarze Männer waren. Drogendealer, die nicht dem Klischee entsprachen, kamen davon. Und so füllten sich zwar die Gefängnisse mit schwarzen Männern. Das Drogenproblem wurde aber nicht gelöst.
Rassismus bei der Polizei drückt sich auch darin aus, dass man glaubt, kriminelles Verhalten sei in manchen Kulturen normal. Dazu ein Beispiel: Vor Jahren hielt mein Mann gemeinsam mit einem anderen einen aggressiven jungen Typen davon ab, einen kleinen Jungen zu verprügeln. "Lasst mich, das ist mein Cousin!", rief der Schlagende. Alle Beteiligten hatten einen Migrationshintergrund.

Kein typischer Araber, sondern ein typischer Gangster

Der hinzugerufene Polizist ließ sich die Situation schildern. Und jetzt ein kleines Ratespiel. Hat der Polizist a) dem jungen Mann ins Gewissen geredet und seine Personalien aufgenommen? Oder hat er b) mit den Achseln gezuckt, und "Da kann ich nichts machen, das ist bei denen normal" gesagt?
Leider haben Sie richtig geraten. Sein Weltbild erlaubte ihm, hier "Rücksicht" auf vermeintlich kulturelle Eigenheiten zu nehmen. Während mein Mann ihm erklärte, dass es bei "uns" auch falsch ist, Kinder zu schlagen, ließ der Polizist den jungen Mann ohne Ermahnung gehen. Immerhin konnte das Kind vorher abhauen.
Ähnliches begegnet uns auch beim organisierten Verbrechen. Kriminelle Menschen arabischer Herkunft haben nicht "ihre Werte" mit nach Deutschland gebracht. Man muss sie nicht sanft an Recht und Gesetz gewöhnen. Egal, wie oft einer dieser Männer mit erhobenem Zeigefinger und primitiven Drohungen in die Kamera frotzelt, dass er "nur vor Gott" Angst hätte – das macht ihn nicht zum prototypischen Araber, es macht ihn zum prototypischen Gangster.

Kriminalität ist nicht typisch für bestimmte Kulturkreise

Niemand möchte, dass Gewalttäter frei herumlaufen. Denn das größte Unheil richten diese Menschen in ihren eigenen Vierteln an. Selten zahlt das schicke Café im Luxusviertel Schutzgeld, meist ist es der Döner-Imbiss neben dem Wettbüro. Bevor jemand eine Goldmünze aus dem Bode-Museum stiehlt, hat er schon eine Menge Menschen ausgeraubt, die nicht mit Alarmanlagen gesichert sind.
Recht und Gesetz sind keine "westlichen Werte", sondern halten Gesellschaften zusammen, ganz egal ob in Europa oder in Asien. Wer Gesetzestreue zum "westlichen Wert" macht, erklärt andere Kulturkreise zum Hort der Barbarei – und schenkt Kriminellen eine sehr willkommene Ausrede.
Ja, wir Menschen mit Migrationshintergrund kochen vielleicht mit anderen Gewürzen. Aber wenn wir zwielichtige Gestalten sehen, die Polizisten anrotzen und Journalisten "Fick dich, du Hurensohn" entgegenrufen, sehen wir nicht als Allererstes "Brüder", sondern Bekloppte. Wenn man aber glaubt, dass sie aufgrund ihrer "Kultur" nicht anders können, dann erweist man dem Antirassismus einen Bärendienst.

Jasamin Ulfat-Seddiqzai lehrt und forscht an der Universität Duisburg-Essen zu britischer Literatur im 19. Jahrhundert. Ihre Schwerpunkte umfassen dabei Themen wie Orientalismus, Stereotypenbildung und Männlichkeitsbilder, insbesondere im Kontext der Anglo-Afghanischen Kriege, über die sie derzeit ihre Dissertation schreibt. Ihre journalistischen Texte behandeln Xenophobie, Frauen im Islam oder das Kopftuch und erschienen bisher in der "taz" und der "Rheinischen Post".

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