Risiko und Todesmut

Ein Zettel, der das ganze Leben veränderte

08:23 Minuten
"Atheist Republic" steht auf einem Zettel, im Hintergrund ist eine Menschenmenge in Mekka zu sehen.
Sie habe nicht die Gefühle anderer Menschen verletzen wollen, sagt Rana Ahmad über ihre Handy-Aktion in Mekka. Es sei ihr um ihre Freiheit und um Respekt für ihre Position gegangen. © Screenshot / Youtube
Rana Ahmad im Gespräch mit Susanne Balthasar · 19.03.2022
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Sich in Saudi-Arabien zum Atheismus zu bekennen, kann tödlich sein. Erst recht, wenn man es während einer Pilgerreise in Mekka tut. Rana Ahmad hat es dennoch gewagt - und überlebt.
Vor acht Jahren macht Rana Ahmad ein Foto, auf dem sie einen handgeschriebenen Zettel mit der Aufschrift "Atheist Republic" in die Handykamera hält. Dann verschickt sie das Bild. Im Hintergrund sind Tausende Pilger zu sehen, denn das Foto entsteht im muslimischen Heiligtum in Mekka. Für die junge Frau aus Saudi-Arabien ein Moment extremen Risikos, der ihr Leben für immer verändert:
„Ich habe eine politische Aktion gemacht, ohne dass mir das bewusst war“, sagt Rana Ahmad heute. Schon damals war sie Atheistin - in Saudi-Arabien eigentlich eine Unmöglichkeit - und verfolgt im Internet die "Atheist Republic". Das ist eine globale Bewegung, deren Anhänger sich öffentlich zum Atheismus bekennen, oft mit einem Selfie in den sozialen Netzwerken.

"Wenn jemand sieht, was ich hier mache, bin ich tot"

Von ihrer Familie sei sie gezwungen worden, am "Hadsch", der muslimischen Pilgerreise, teilzunehmen, sagt sie. „Als ich in Mekka war, habe ich das nur einen Tag geplant. Ich habe gedacht, wie kann ich der ganzen Welt eine Nachricht schicken? Wie kann ich der Bewegung von Atheisten und Ex-Muslimen etwas Gutes tun? Und dann habe ich gedacht: Ich mache Atheist Republic."
Sie habe dabei nicht die Gefühle anderer Menschen verletzen wollen, sagt sie. Sie habe nur Respekt und Freiheit für sich gewollt. Dass ihr für diese Aktion schlimmstenfalls die Todesstrafe drohte, habe sie gewusst. „Als ich dieses Foto gemacht habe, habe ich gewusst, wenn jemand sieht, was ich hier mache oder wenn die Überwachungskameras der Polizei mich gesehen haben, bin ich tot.“

Nach der Aktion kam die Angst

Zum einen sei sie aber verschleiert gewesen - und zum anderen habe sie gesehen, dass in einer Ecke Reparaturarbeiten durchgeführt worden seien. „Dann habe ich gedacht, wenn sie da reparieren, funktioniert die Überwachungskamera nicht. Ich habe meiner Mutter gesagt, ich muss schnell zur Toilette, dann bin ich in die Ecke gegangen, habe das Foto gemacht und schnell wieder gelöscht.“
Auch den Zettel habe sie vernichtet. „Ich habe gezittert und sehr große Angst bekommen, aber ich habe es gemacht. Ich bin sehr stolz auf diesen Zettel. Er war meine einzige Chance zu sagen: Ich bin keine Muslima, ich bin Atheistin.“
Rana hat Glück. Vor Ort bleibt ihre Aktion unentdeckt. Hinterher war ihr klar: "Du hast nichts zu suchen in einem muslimischen Land.“

In diesem Moment habe ich mir versprochen: Wenn ich in einem Jahr Saudi-Arabien nicht verlassen habe, werde ich mich umbringen.

Unter falschem Namen in Deutschland

Über die Türkei flieht sie schließlich nach Deutschland, wo sie heute unter falschem Namen lebt. Denn sie fürchtet ihre Familie: „Meine Mutter redet seit fünf Jahren nicht mehr mit mir.“ Zu ihrem Vater hatte sie hingegen einige Male Kontakt:
„Mein Vater hat gesagt: Du bleibst immer ein Teil von mir, auch wenn du Atheistin bist. Ich hoffe, eines Tages kommst du zurück zum Islam.“
(uko)

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