Rammstein provoziert auf Youtube

"Aufmerksamkeit kriegen, um danach zurückzurudern"

06:42 Minuten
Der Sänger Till Lindemann düster geschminkt und mit Leder bekleidet steht auf der Bühne.
Till Lindemann bei einem Konzert 2017: © Imago / Francesco Castaldo
Jonas Engelmann im Gespräch mit Max Oppel · 28.03.2019
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"Rammstein" hat einen Clip veröffentlicht: Die Musiker in der Kleidung von KZ-Insassen am Galgen. Musikjournalist Jonas Engelmann sagt, mit der Inszenierung als Opfer habe die Band eine Grenze überschritten - mal wieder.
"Rammstein" ist heute die erfolgreichste deutsche Band, was ihre Konzerte angeht. Sie ist also eine Band, die das Bild von Deutschland in der Welt mit prägt. Vor der Veröffentlichung des Videos "Deutschland" hat die Gruppe einen Clip*) zu ihrer neuen Single im Internet kursieren lassen, der alles hat, was ein Skandal braucht: Till Lindemann, Richard Kruspe, Paul Landers und die anderen Rammstein-Musiker in KZ-Kleidung am Galgen, wartend auf die Hinrichtung. Eine Anmutung wie "Schindlers Liste", Auschwitz-Birkenau goes Entertainment. Die kalkulierte Reaktion folgt auf dem Fuß: Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist empört. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, rügt via "Bild"-Zeitung. Auch der Kompressor im Deutschlandfunk Kultur kann sich dem Thema nicht entziehen – obwohl wir nur einen Ausschnitt des KZ-Videos kennen.

Inszenierung als Opfer neu

Der Musik-Journalist und Lektor des Ventil-Verlags Jonas Engelmann sagt, bei ihm sträubten sich die Haare bei dieser Inszenierung der Musiker, also der Inszenierung als Opfer, als Juden, die auf ihre Hinrichtung warten: "Das ist schon auch noch mal ein neuer Schritt bei dieser Band, die ja sehr von Provokation lebt." Als Opfer hätten sich die Musiker von Rammstein bislang aber eben noch nicht geriert. "Ich weiß gar nicht, ob ich’s wissen will, wie es weitergeht in diesem Video."
Allerdings sei das natürlich auch die Frage, in welchen Kontext die Band das Video, das später am Tag erscheinen sollte, die Platte stelle. Es sei davon auszugehen, dass die Band das Video in einen anderen Zusammenhang stelle. "Die Band versucht ja über diese Masche auch Aufmerksamkeit zu kriegen: dass sie provoziert, um danach zurückzurudern", sagt Engelmann.

Eine rote Linie überschritten

Das sei schon bei dem Musikvideo zu "Stripped" so gewesen, wo sie Auszüge aus einem Leni-Riefenstahl-Film verwendet habe, in denen es um das Idealbild des NS-Körpers gegangen sei. Hinterher hätten die Musiker dann, so Engelmann, argumentiert: "Wir sind ja ein Kunstprojekt!" und "Das Ganze ist nur Teil einer theatralischen Inszenierung." Damals habe Sänger Till Lindemann wohl eingeräumt, eine Grenze überschritten zu haben und auch gesagt, er würde das nicht nochmal machen. "Und jetzt plötzlich ist wahrscheinlich der Tag, wo nochmal eine neue Grenze gesetzt werden muss."
Es gebe ja durchaus Provokationen, auch Provokationen, die vielleicht übers Ziel hinausschießen, die irgendwie eine gewisse logische Schlüssigkeit haben. In dem Moment, so Engelmann, wo man sich als Opfer inszeniere, sei mindestens eine rote Linie überschritten – "weil sich 'Rammstein' damit ja auch gemein macht mit Bands, die tatsächlich nach Rechts anzudocken versuchen, wie zum Beispiel "Freiwild", die sich als die neuen Juden inszenieren, als die Opfer von Medien, als die Opfer der Lügenpresse, etc. – und das ja auch ganz klar so in ihren Texten formulieren. Und das ist, finde ich, schon mal eine neue Dimension bei 'Rammstein'."

Rammstein trägt zur Grenzverschiebung bei

"Heute, kontextlos, so ein selbstinszenierendes Bild als Juden zu lancieren, ist einerseits mehr als geschmacklos", sagt Engelmann. Andererseits sei es natürlich auch zeitgebunden: "Es wird anders gelesen als noch vor zehn oder zwanzig Jahren."
Auch wenn sich "Rammstein" in Interviews als linke Band erkläre, frage er sich, ob die Gruppe nicht auch unbewusst dazu beigetragen habe, "dass man heute anders, mehr sagen kann, dass die rote Linie verschoben ist" – mit ihren früheren Inszenierungen, mit ihren Aneignungen von dieser Leni-Riefenstahl-Ästhetik, die ja dann trotz der Kontroversen durchgewunken wurde.
Engelmann sagt, er frage sich, ob die Band mit ihrer Provokation dazu beigetragen hat, dass NS-Symbolik selbstverständlicher genutzt werde, dass die Grenze von dem, was sagbar ist, verrückt wurde: Dieses "Man wird doch wohl noch mal sagen dürfen" und "Man wird doch mal NS-Symbolik benutzen dürfen, ohne dass man dafür in die rechte Ecke gestellt wird" – dass das auch viel dazu beigetragen hat, zu der Gesellschaft, in der wir heute leben.
(mfu)
*) Der Clip wurde inzwischen aus Youtube entfernt. Das Video "Deutschland" wurde als für "eventuell für einige Nutzer unangemessen" eingestuft, weshalb wir es hier nicht einbetten.
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