Rahel Levin Varnhagen

Die Zeit des Umbruchs in Briefen erfasst

56:42 Minuten
Rahel Varnhagen von Ense geb. Levin beeinflußte mit ihrem Salon in Berlin das literarische Leben.
Rahel Varnhagen von Ense geb. Levin beeinflußte mit ihrem Salon in Berlin das literarische Leben. © akg-images /
Von Barbara Hahn · 30.05.2021
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Dialog stand bei ihr im Mittelpunkt. Rahel Levin Varnhagen repräsentiert weibliche Selbstermächtigung und jüdische Emanzipation. Als Saloniere und Verfasserin von rund 6000 Briefen hat sie Geistesgeschichte geschrieben.
Vor 250 Jahren, am 19. Mai 1771, wurde Rahel Varnhagen als älteste Tochter des jüdischen Bankiers Markus Levin in Berlin geboren. Sie wuchs in eine bewegte Zeit hinein: Die Französische Revolution und in ihrer Folge die Kriege Napoleons sollten die Welt grundlegend verändern, Aufklärung und Romantik, Freiheitskriege und Judenemanzipation trafen zusammen.
Rahel, mehrsprachig, gebildet und sensibel, wurde schnell berühmt für die von ihr organisierten geselligen Zusammenkünfte in ihrem Salon, in dem sich berühmte Zeitgenossen, Männer, Frauen, Adelige und Bürgerliche, Juden und Christen zum freundschaftlichen Gedankenaustausch trafen. Das Dialogische stand dort genauso im Vordergrund wie in ihrer umfangreichen Korrespondenz.

Briefwechsel mit der Familie

Rahel Varnhagen war eine exzessive Briefeschreiberin. Vor allem im Briefwechsel mit ihrer Familie kommt zur Sprache, was deutsch-jüdische Geschichte damals prägte.
Die ersten Briefe sind noch in hebräischen Buchstaben verfasst. Chaie Levin, Rahels Mutter, schreibt Mitte der 1780er-Jahre an ihre Tochter, die auf die jüngeren Geschwister aufpasst, während sie die Leipziger Messe besucht. Die letzten Briefe schreibt Rahel, die 1814 den Diplomaten und Publizisten Karl August Varnhagen von Ense geheiratet hatte, kurz vor ihrem Tod 1833.
Dazwischen wird das Leben einer jüdischen Familie in der Zeitenwende erfassbar. Es geht um den Zusammenbruch Alteuropas, die Niederlage Preußens 1806 und die Flucht aus dem französisch besetzten Berlin; die Begegnung mit der traditionellen jüdischen Welt und die Frage der Konversion zum Christentum; um die Restauration nach dem Wiener Kongress und antisemitische Unruhen 1819.

Nachdenken über politische Fragen

Rahel und ihre politisch und kulturell äußerst aufmerksame Familie setzen sich mit diesen Veränderungen ihrer Zeit auseinander - einer Zeit, in der alles neu bedacht werden muss. Doch zeigen die Briefe auch eine Frau, die das Nachdenken über politische und theoretische Fragen nicht den Männern überlassen will.
Rahel merkt bald, dass auf dem Weg in die Moderne ganz neue Ungleichheiten und Ausgrenzungen drohen. Ihre Briefe fesseln noch heute durch Unmittelbarkeit und Spontaneität. Gemeinsam mit der Familie versucht sie zu erkunden, welche Welten sich öffnen und welche sich ihnen auch gleich wieder verschließen.
(huk)

Ihre Zeit in Briefen erfasst – Rahel Levin Varnhagen im Briefwechsel mit Ihrer Familie
Zusammengestellt von Barbara Hahn
Es sprachen: Simone Kabst, Corinna Kirchhoff, Eva Kryll, Simone von Zglinicki, Ingo Hülsmann und Michael Rotschopf
Ton: Bernd Friebel
Regie: Stefanie Lazai
Redaktion: Barbara Wahlster
Die Sendung wurde am 20. Dezember 2009 erstmals ausgestrahlt.

Das Manuskript können Sie hier herunterladen.
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