Rafat und Arthur

Eine Geschichte vom Zusammenrücken

Alltägliche Gegenstände und Habseligkeiten von Arthur und Rafat: Etwa ein Wörterbuch, ein Lesebuch, ein Fladenbrot, Schokolade.
Alltägliche Gegenstände und Habseligkeiten von Arthur und Rafat © Foto: Horner
Von Thilo Schmidt · 13.04.2016
Der 24-jährige Rafat ist vor dem syrischen Krieg geflohen und in Berlin gelandet. Das Lageso bringt ihn in einer Pension unter, die Behörde versäumt es, die Miete rechtzeitig zu zahlen. Rafat landet auf der Straße. Seine Deutschlehrerin nimmt ihn auf – im Kinderzimmer ihres Sohnes.
Im quirligen Kiez rund um die Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg mache ich mich auf den Weg zu Rafat. Einem Flüchtling, der hier bei seiner Deutsch-Lehrerin wohnt.
"Hallo Rafat! Thilo … Hi!"
Rafat kommt aus Syrien, ist 24 Jahre alt. Seine Eltern sind in Damaskus geblieben, für ihre Flucht hat das Geld nicht gereicht. Seit acht Monaten ist Rafat in Deutschland. Untergebracht in einer kleinen Pension in Berlin-Weißensee. Bis er und etwa ein Dutzend anderer Flüchtlinge dort rausgeworfen werden.
"Der Chef von meine Pension er hat gesagt: Du musst in ein anderes Hotel gehen, weil die Lageso nicht bezahlt für mich."
Rafat macht sich auf den Weg zur Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Berlin, dem Lageso. Eine neue Unterkunft bekommt er erst einmal nicht, stattdessen, sagt er, wird er von Behörde zu Behörde geschickt.
"Und ich habe einen Termin im Lageso, und ich gehe. Und für die Wohnung du kannst schlafen im Park … draußen, ja."
Autor: Haben die gesagt?
"Jaja, nein. Nicht haben die … Aber die Security. Ich gehe nach die Security, und ich habe ein Papier. Er hat gesagt: Du nicht hier, du musst in ein Beratung gehen, weil du musst neue Papier gegeben. Kann ich …"
Autor: Willst du mal gucken?
"Ja."
Seine Deutschlehrerin Elke spürt, dass etwas nicht stimmt. Und nimmt ihn bei sich auf, hier in der Kreuzberger Altbauwohnung. Im Kinderzimmer ihres Sohnes Arthur.
Autor: Kann ich reinkommen?
"Ja."
Autor: Und du wohnst jetzt hier im Kinderzimmer?
"Ja. Ich wohne hier im Kinderzimmer."

Trotz der Probleme: Deutschland ist gut!

Arthur ist gerade auf Klassenfahrt und kennt Rafat noch gar nicht. Elke holt ihn gerade von der Klassenfahrt ab und muss jeden Moment kommen.
"Elke gute Lehrerin! Und danke für Elke für helfen (lacht) Und entschuldigung Arthur für ich gebraucht dein Zimmer!"
Zwei Tage lang ist Rafat durch die Stadt geirrt, hat bei Bekannten auf dem Sofa übernachtet. Trotz der Widrigkeiten mit dem Lageso sagt er: Deutschland ist gut.
"Deutschland gut! Ja? Aber Heimat ist Heimat. Aber: Meine Eltern. Ich muss, ja ich muss meine Eltern hier in Deutschland, hier."
Dann kommen Elke und Arthur herein.
"Hallo … hallo!"
Elke: "Rafat, das ist Arthur, und Arthur, das ist Rafat!"
Rafat: "Hi, Arthur!"
Arthur: "Hallo …"
Rafat, der Flüchtling, der jetzt im Kinderzimmer wohnt, und Arthur, ein kluger Junge mit strohblonden Haaren, mustern sich (gegenseitig).
Autor: Ein bisschen komisch ist das, ne?
"Ja. Also einerseits denke ich: Gut, dass der jetzt ne Wohnung hat, also das denke ich …"
Wie ist das, von der Klassenfahrt kommen und im Kinderzimmer wohnt jetzt ein Flüchtling?
"Also so lange ich noch ein Bett habe, wo ich auch drin schlafen kann, was ich aber habe, dann finde ich es eigentlich gut, dass jemand in meinem Zimmer wohnt."
Autor: In bestimmten Situationen rückt man gerne einmal ein bisschen zusammen, ne?
"Ja."
Elke: "Willst du es dir eigentlich mal angucken, wie es jetzt aussieht?"
Arthur streift durch sein Kinderzimmer. Schaut hier und da in die Regale.
"Ach, hat sich nicht viel verändert."

Elke kämpft, aber das Lageso mauert

Dass Rafat in Arthurs Zimmer wohnt, soll kein Dauerzustand sein. Elke hat sich bei ihrer Vermieterin, einem kommunalen Wohnungsunternehmen, dafür eingesetzt, dass Rafat eine eigene Wohnung bekommt. Und weil sie und Arthur ohnehin hier ausziehen wollen, soll Rafat für zwei Übergangsmonate in der dann leeren Wohnung bleiben. Da müsste die Anlaufstelle für Flüchtlinge in Berlin mitmachen. Das Lageso aber mauert.
"… und dann meinte die Dame vom Lageso: Nee, so einfach kann das nicht sein, dann soll ihr Mitbewohner am Freitagmorgen um fünf Uhr in unser Zelt kommen. So einfach, das geht gar nicht. Ich meinte: Doch, es ist alles abgeklärt, die Gewobag arbeitet mit dem Lageso zusammen, die werden sich melden, die werden alles klären, es ist einfach alles geklärt. Es geht für mich nur um die Kostenübernahme für Mai und Juni, für den Übergang. Ist das möglich? Nein, das ist gar nicht möglich. Und was anderes hat sie auch gar nicht interessiert. Und es gibt auch überhaupt keinen Grund, warum er am Freitag um fünf Uhr morgens ins Zelt kommen soll."
Elke kämpft weiter für Rafat. Und bekommt wenig später die gute Nachricht: Rafat kann sogar in Elkes Wohnung bleiben.
"Meine Vermieterin hat mich danach angerufen und gesagt: Er kann sogar diese Wohnung mit seinem Kumpel direkt im Anschluss übernehmen! Er braucht nur noch einen WBS, was er kriegen kann, aber wir müssen uns drum kümmern, und dann kann er hier wohnen."
Berlin-Weißensee. Die Rezeption der kleinen Pension, die Rafat und die anderen Flüchtlinge herausgeworfen hat, ist nicht besetzt, man solle bitte eine Nummer anrufen.
Ja, guten Tag, Thilo Schmidt ist mein Name …
Der Betreiberfamilie der Pension erzählt, dass sie nur gute Erfahrungen mit den Flüchtlingen gemacht hat. Aber am Ende nicht anders konnte, als ihnen zu kündigen. Etwa 20.000 Euro schulde ihr das Lageso noch, sagt die Chefin. Das Lageso selbst nimmt keine Stellung.
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