Radmarathon Paris-Brest

Die Tour de Force der Enthusiasten

23:37 Minuten
Ein Radteam fährt bei dem 1200km Rennen Paris-Brest-Paris durch den morgendlichen Nebel.
"Sorgt dafür, dass man euch sieht! Trinkt, bevor ihr Durst bekommt! Esst, bevor ihr Hunger kriegt!" © imago / Florian Schuh
Von Fritz Schütte · 08.09.2019
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Alle vier Jahre treffen sich Tausende Radsport-Enthusiasten im Sommer in Paris. Sie fahren nach Brest und zurück, über 1.200 Kilometer, am Stück. Eine Extremstrecke, die eisernen Willen erfordert. Unser Autor hat einige Radler bei diesem Kraftakt begleitet.
"Das Schönste ist, aus der Nacht in den aufgehenden Tag zu fahren. Fantastisch." – "Eigentlich hatte der Wetterbericht gestern gesagt, dass es keinen Regen geben soll. Aber jetzt hat uns doch noch ein richtiger Schauer erwischt. Dafür kommen wir aber in den Genuss eines Regenbogens, der aussieht, als wäre er nur ein paar Meter von uns entfernt."
1783, zehn Jahre bevor er auf dem Platz der Revolution geköpft wurde, ließ König Ludwig XVI neben seinem Schloss eine Anstalt zur Aufzucht der wegen ihrer Wolle begehrten Merino-Schafe einrichten.
In den verwitterten Scheunen der historischen Bergerie holen 6000 Teilnehmer aus 66 Nationen die Startunterlagen ab. Es ist Samstag, der Tag vor dem großen Ereignis. Schon 1891, als Paris-Brest-Paris erstmals ausgefahren wurde, lag der Start vor den Toren der Großstadt. Damals in Versailles, heute in Rambouillet.
"Passport." – "I have to sign that?" – "C'est tout." – "Merci."

Mona, Ende fünfzig, zum ersten Mal dabei

Wie alle Teilnehmenden hat Mona Walkenhorst sich qualifizieren müssen. Sie hat in diesem Jahr bereits an vier Prüfungen, so genannten Brevets, teilgenommen. Das heißt, sie ist 200, 300, 400 und 600 Kilometer am Stück gefahren. Mona ist Ende fünfzig, fährt aber zum ersten Mal Paris-Brest-Paris.
"Ich fahre auch erst seit zwei Jahren Brevet. Also, ich bin schon immer Langstrecke gefahren. Ich fahre schon seit über vierzig Jahren Langstrecke, aber so organisiert nicht."
Paris-Brest-Paris ist kein Radrennen, sondern eine Langstreckenfahrt, bei der Randonneure, Radwanderer, versuchen, 1200 Kilometer innerhalb von 90 Stunden zurückzulegen. Rainer Paffrath aus Köln hat das schon fünf Mal geschafft.
"Man bekommt das Rahmenschild, in dem ein Chip integriert ist für die Zeitmessung. Dann gibt es aber immer noch ein kleines Heftchen, in das Stempel und Uhrzeit eingetragen werden an jeder Kontrolle. Das ist eigentlich das Super-Souvenir, das man dann nachher von Paris–Brest behält."
Jeder Fahrer bekommt eine reflektierende gelbe Weste, die nachts übergestreift werden muss. Die deutschen Randonneure, 833 an der Zahl, sind wie die Teilnehmenden anderer Nationen an ihren Trikots zu erkennen.
"Das ist meine Rennmaschine. Die ist schon sehr alt, aber hat mich immer gut wieder zurückgebracht."

In Rambouillet sind alle Quartiere ausgebucht

Monas Langstreckenrennrad ist leicht, wirkt aber robust. Vor dem Start wird kontrolliert, ob die Beleuchtung funktioniert und alle Teile gut befestigt sind.
"Ich habe das hier ein bisschen eingepackt, weil das alles so vollsaut. Das muss man heute Abend natürlich noch mal ein bisschen raus machen, damit es nicht morgen schon die ersten Defekte hat."
In Rambouillet und Umgebung sind alle Quartiere ausgebucht. Vor Wohnmobilen mit spanischen, italienischen und deutschen Kennzeichen werden Fahrräder geputzt. Die Spannung steigt.
"Es ist jetzt kurz vor 21 Uhr. Irgendwie haben wir den ganzen Tag gepackt und an der Ausrüstung gefeilt. Und jetzt geht es so langsam ins Bett. Wir haben so den Plan, dass wir um drei Uhr aufstehen und so gegen halb vier dann zum Start fahren."
Rainer und Mona haben sich bereit erklärt, in den nächsten Tagen mit dem Handy aufzunehmen, was ihnen durch den Kopf geht. "Ich hatte gehofft, dass die Zahnschmerzen über Nacht weggehen, sind sie aber nicht. Jetzt noch die letzten Vorbereitungen, und so langsam wird es auch aufregend."
Sonntagnachmittag kurz vor vier. Gleich wird es ernst. In vorderster Startreihe ein deutsches Trikot. Heiner Spannuth, mit der Startnummer A191, hat platzsparend gepackt.
"Ich habe eine Tasche unter dem Gepäckträger, eine noch unter dem Oberrohr. Das muss dann reichen."
Heiner Spannuth kommt vom Radrennsport und darf in Gruppe A starten, weil er vorhat, die Strecke in nur 80 Stunden zurückzulegen.
"Wichtig scheint zu sein, wenn man so den erfahrenen, den alten Hasen zuhört, möglichst lange erst mal auf dem Rad zu bleiben. Und so erfahrungsgemäß schaffe ich es, vielleicht 24 Stunden durchzuhalten, und dann gucke ich mal, dann werde ich ein paar Stunden mich ausruhen. So ist der Plan. Und dann Stück für Stück weitersehen."

Im Viertelstundentakt werden die Radler vorgelassen

Neben der Startlinie ist eine kleine Bühne aufgebaut. Zwei Moderatoren schwören die Starter noch mal auf die wichtigsten Gebote ein.
"Bois, avant avoir soif! Mange, avant avoir faim!"…
"Sorgt dafür, dass man euch nachts sieht! Trinkt, bevor ihr Durst bekommt! Esst, bevor ihr Hunger kriegt!"
"Cinq, quatre, trois, deux, un..."
Im Viertelstundentakt werden weitere 250 Fahrerinnen und Fahrer zur Startlinie vorgelassen. Mona hat sich die Startnummer N 257 auf den Helm geklebt. Die steifen Fahrradschuhe knirschen im Kies. Was machen die Zahnschmerzen?
"Ja, das ist nicht schön. Die fahren einfach mit. Immer schön an etwas anderes denken. Ich meine, das ist ja erträglich, sonst wäre ich jetzt nicht hier. Aber es nervt halt."
Um 19.30 Uhr geht die Gruppe N auf die Reise. Vorher kommt der obligatorische Stempel ins Fahrtenbuch.
"Come on!"
Teilnehmende mit Startnummern W bis Z sind Sonntagmorgen an der Reihe. Sie haben den Vorteil, sich eine Nacht weniger auf dem Rad um die Ohren zu schlagen, aber das Handicap, die Strecke in 84 Stunden bewältigen zu müssen.
"Um 3.10 Uhr hatten wir dann aber zwei Tassen Kaffee."

Kaltshakes, um fit zu bleiben

Rainer mit fünf Teilnahmen und sein Mitstreiter Christian Empt aus Köln mit drei sind sozusagen alte Fahrensmänner. In die Trikottaschen haben sie Energyriegel und Brot gestopft. Zeit für ein zweites Frühstück.
"Das ist so ein Kaltshake, ein hochkalorisches Getränk eigentlich, so für Leute, die keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen können… wie wir." – "Also, ich glaube nicht, dass ich das nach dreihundert Kilometern noch trinken kann. Es schmeckt voll eklig. Ist das Schokogeschmack?"
An Kontrollstationen unterwegs werden Zwischenzeiten genommen, die man per App abrufen kann. Sobald die gesuchte Startnummer die Kontrollstation passiert, kommt eine Nachricht aufs Handy. Um 13.38 Uhr erreichen Rainer und Christian die Kontrollstation im 220 Kilometer entfernten Villaines. 26 Kilometer pro Stunde Durchschnittsgeschwindigkeit meldet die App.
"Wir haben nicht mit so einem starken Wind gerechnet. Alle sind ziemlich kaputt. Und jetzt machen wir erst mal eine kurze Pause, bevor es dann weitergeht."
Nach 300 Kilometern erreichen die Randonneure Fougères. Die beeindruckende Wallanlage diente, als die Bretagne noch selbstständig war, zum Schutz gegen Frankreich. Fougères war Hauptquartier des bretonischen Widerstands gegen die Revolution. "Die Königstreuen", ein Band von Balzacs Menschlicher Komödie, erzählt davon.
In der Kontrollstation herrscht Hochbetrieb. In einer Werkstatt sind Fahrräder aufgehängt. Schaltungen werden justiert, zerschundene Fahrradmäntel gewechselt. In der Kantine schauen erschöpfte Randonneure geduldig zu, wie die Preise der Speisen in eine Registrierkasse eingetippt werden. Dann fummeln Finger, in die langsam wieder Gefühl zurückkehrt, Münzen aus dem Brustbeutel.
"Manche sitzen schon an den Tischen und machen ein Nickerchen." In einer dieser Kantinen wurde ein Foto geschossen, von dem gerne erzählt wird. Es soll einen schlafenden Randonneur zeigen, dessen Kopf in einem Teller Spaghetti liegt.
Rainer und Christian haben Mitstreiter gefunden. "Die beiden Michaels essen Nudeln mit Omelette, Christian Spiralnudeln mit Bohnen. Ich hatte einen Reissalat mit Thunfisch und Mais und eine leckere Quarkspeise."
"C`est un lycée scolaire…."
Freiwillige Helferinnen und Helfer tragen hellblaue T-Shirts. Sie sind stolz, wenn alles funktioniert. Die Klassenräume des Gymnasiums sind zu Schlafsälen umfunktioniert. Platz für 300 Randonneure. Um die Mittagszeit ist nur ein Feldbett belegt.
Um 13.20 Uhr meldet die App die Ankunft von Startnummer N257. Mona lässt gerade ihr Fahrtenbuch stempeln. "Ich kann das mit den Bergen gar nicht so gut. Ich habe dieses Höhenprofil gar nicht richtig angesehen. Ich dachte, ich kann das und vor Brest wird es ein bisschen hart, aber das ist überall total hart."
"Bonjour." – "Merci beaucoup." – "Bonne route." – "Au revoir."

360 zermürbende Anstiege

"Der Wind ist ein bisschen mehr als angesagt, und das macht ganz schön was aus. So Berge und Wind… ich bin ja Gegenwind gewohnt, aber diese Hügel, die haben es in sich. Das habe ich unterschätzt", sagt Mona.
360 Anstiege verrät das Höhenprofil. Die meisten sind relativ kurz, aber die Anzahl zermürbt offenbar. Kilometerlang geht es vorbei an Getreidefeldern und Weiden. Die Bretagne ist dünn besiedelt. Manche der alten Bauernhöfe sehen verwaist aus.
"Hello!" – "Comment t'appelle tu?" – "Tibo." – "Le village, comment s'appelle?" – "Saint-Sauveure-des-Landes." – "Vous êtes frères?"
Tibo und Enzo strecken den Fahrern die kleinen Hände zum Abklatschen entgegen. Sie sind neun und sechs Jahre alt und verbringen die Sommerferien bei Oma und Opa.
Alle vier Jahre fährt hier die große weite Welt vorbei, und manchmal hält sie an. Ein Fahrer öffnet den Reißverschluss seiner Tasche und überreicht seinen Fans ein Abzeichen des brasilianischen Randonneur-Verbandes.
"We start ten kilometres ..."
Fotografen mit Teleobjektiven sitzen am Wegesrand. Jeder Fahrer soll unterwegs wenigstens zehn- bis fünfzehn Mal abgelichtet werden.
Ein Teilnehmer in seinem Leitra Velomobil auf einer Landstrasse, im Hintergund französische Strassenschilder.
Nicht unbedingt fotogen, dafür aber windschnittig und vor Regen geschützt: ein Teilnehmer in seinem Leitra Velomobil.© imago / Philipp Hympendahl
Ein Bahnhof an der Strecke Rennes-Saint Malo. Hier könnte man theoretisch das Rad in den Zug laden und nach Hause fahren. Bei Paris-Brest-Paris gibt es keinen Besenwagen, der Gestrandete aufnimmt.
"Wir haben auch echt einen Schlag reingehauen. Wir fahren immer vorne, und alle hängen sich hinter uns. Bonjour." – "Merci.". Am späten Nachmittag lässt Mona in Tinténiac stempeln. "Hier ist ja was los, hier ist ja richtig Volksfest."
Der Tanzkreis zeigt komplizierte Schrittfolgen. Cidre und Bier fließen. Ein Moderator versucht, mit Randonneuren ins Gespräch zu kommen, die aber müde abwinken.
Wie ein langes Band von Glühwürmchen zieht sich der Tross durch die Bretagne. Radfahrer, einzeln oder in Grüppchen
"Sprechen sie Deutsch?" – "Ein bisschen."
Vor einsamen Häusern sitzen Familien. Kinder schwenken Wasserflaschen. "Wir haben gerade im Dunkeln angehalten. Hier ist ein Tisch aufgebaut mit Getränken. Mehrere Familien sind hier und bringen uns sogar Gebäck. Und wir trinken kurz einen Kaffee. Christian hat seine Überschuhe angezogen, weil er so schnell kalte Füße bekommt. Ja, und gleich geht es weiter."
Die Wälder um Loudéac dienten früher Räuberbanden als Versteck und im zweiten Weltkrieg Partisanen. Die Kämpfe gegen die deutschen Besatzer im Sommer 1944 kosteten viele Menschenleben.

Regen und Schlafentzug

Kurz vor Mitternacht erreichen Rainer und Christian die Kontrollstation. Sie sitzen seit 19 Stunden im Sattel. "Wir wollen mal gucken, ob es einen Schlafplatz gibt. Aber das sieht ehrlich gesagt ziemlich überfüllt aus. Und dann? Tja…Ich frage mal."
Schlafplätze für vier Personen? Kein Problem. Weil viele Randonneure einen anderen Rhythmus haben, wird ständig etwas frei.
"Ich würde sage, wir nehmen uns unsere Taschen." – "Sachen packen und nichts wie hin da." – "Ja, super Sache."
0.01 Uhr. Die App meldet, dass Mona Loudéac erreicht hat.
"Ach, hallo!" Sie hat unterwegs einen Bekannten aus Hamburg getroffen.
"Im Moment sind wir komplett fertig. Regen und Schlafentzug. So, da denkt man, jetzt geht gar nichts mehr. Und vor allem macht mein Knie mir Schmerzen. Das ist ja eh nicht so geeignet für Bergfahren."

Schon dreißig Stunden unterwegs

Mona ist schon dreißig Stunden unterwegs. Eine halbe Stunde hinlegen, mehr ist nicht drin. Auf dem Parkplatz wartet ihr Mann. Er darf zwar nicht auf der Strecke fahren, aber an den Kontrollen warten.
"Viertel nach vier wecken und dann sind wir vielleicht halb fünf beim Frühstück, okay?" – "Was kostet das?"
Übernachten kostet fünf Euro. Duschen vier. Aber das bringt eh nicht viel.
"Ich bin jetzt im Schlafsaal."
Teilnehmer des Radmarathons haben sich in einem Schlafsaal auf Feldbetten hingelegt.
Der Radmarathon verläuft oft Kopf an Kopf – auf der Straße wie im Schlafsaal.© imago / Philipp Hympendahl
Die Nacht hindurch eilt der Weckdienst über die Flure, öffnet vorsichtig Türen und sucht nach der richtigen Bettnummer. "It’s time to go." – "Thank you."...
"Brest!" "Brest!" Die einen sind noch auf der Hin-, andere schon auf der Rückreise. Die Bucht von Brest. Radfahrer nutzen die alte Brücke, Autos die neue mit schrägen Seilen.
"12.39 Uhr. Wir stehen jetzt auf der Brücke in Brest und die meisten Randonneure bleiben stehen, machen Fotos. Wir haben auch ein Gruppenfoto geschossen."
Gerald Meier und Claus Vogel, P149 und P266, blicken auf die Stadt am Ufer der Bucht. Ein Traum in Blau.
"Lass uns ein Bild machen! Und dann fahren wir weiter. Das sind ja noch fünf Kilometer. Ich weiß auch nicht. Aber, jetzt haben wir die Hälfte. Wie lange haben wir jetzt gebraucht? Um acht Sonntag sind wir los. Jetzt ist es 11.15 Uhr. Dann kannst du es ausrechnen. Gestern 24, plus viereinhalb sind 28,5 und die elf dazu, 40 Stunden."

Und dann die gleiche Strecke zurück

Aus der Nähe betrachtet ist Brest keine Schönheit. Die deutschen Besatzer nutzten den Militärhafen, verschanzten sich, als die Alliierten in der Normandie landeten, und gaben erst auf, als die Stadt in Schutt und Asche lag.
Rainer und Christian wirken erschöpft. "Wir haben eigentlich ganz gut geschlafen. Es war ziemlich kalt. Dann haben wir so bis, weiß nicht, 04:15 Uhr geschlafen, danach noch gefrühstückt. Wir haben jetzt wirklich nach 30 oder 31 Stunden die Hälfte geschafft und das ist schon mal recht gut. Ich denke, wir werden schon noch einige Kilometer schaffen heute."
Jetzt geht es mit wenigen Ausnahmen die gleiche Strecke zurück.
"Es hat jetzt ein bisschen genieselt. Das ist so ein ganz leichter Nieselregen und die Bretonen sagen dazu wohl "il brouille".
Ständig sieht man Randonneure, die sich am Straßenrand umziehen. Nicht schwitzen, aber auch nicht frieren! Daran versucht Rainer sich zu halten.
"Wir haben unterwegs viele Teilnehmer aus Asien oder Südamerika gesehen, die in dickste Jacken eingemummelt waren. Vermutlich machen denen die klimatischen Verhältnisse hier tatsächlich zu schaffen."
Um 22 Uhr sind Rainer und Christian wieder dort, wo sie die gestrige Nacht verbracht haben. Zur nächsten Station sind es noch viereinhalb Stunden. Dann ist es 02.30 Uhr, und man braucht sich eh kein Bett mehr zu suchen. Um halb fünf meldet sich Rainer.
"Im Speisesaal von der Kontrolle in Tinténiac übernachtet, einfach auf dem Boden gelegen und jetzt zwei Stunden geschlafen. Und jetzt wollen wir die letzte Etappe angehen. Hier liegen viele auf dem Boden rum, manche mit Rettungsdecken zugedeckt, manche auch ohne."
Mona ist offenbar auch auf der Rückreise. Um 0.48 Uhr wird sie an der Kontrollstation Carhaix registriert.
"Mittwoch. Es ist klar: mein Zeitfenster kann ich nicht mehr einhalten. Ja, zwischendurch war auch mal der Moment, dass man mal darüber nachdenkt zusammenzupacken und aufzuhören..."
"Bei den Randonneuren ist es meistens so, dass man außerhalb der Brevets eigentlich nicht so viel Kontakt hat, aber trotzdem fühlt man sich aufgrund der Erlebnisse, die man hat, schon auch richtig befreundet. Mit Christian habe ich schon viele Abenteuer erlebt sozusagen. Wir haben Paris-Brest schon mehrmals bestanden, meistens auch wirklich gemeinsam, was gar nicht so einfach ist, weil wenn man auf so einer langen Strecke in der Geschwindigkeit nur ganz, ganz wenig auseinander ist, dann fällt es schwer, gemeinsam zu fahren. Aber wir haben das schon ein paar Mal geschafft."
64 Stunden haben sich die beiden ausgerechnet. Wenn nichts dazwischen kommt, sollten sie Rambouillet spätestens um 22 Uhr erreichen.
"So, ich bin jetzt hier auf dem letzten Stück. Ein endloses Asphaltband: Wind, extrem rauer Asphalt. Manchmal meint man, man kommt überhaupt nicht von der Stelle."

Rainer kramt sein Schulfranzösisch heraus

Am Ziel, dem Hof der historischen Bergerie, warten 150 Meter Kopfsteinpflaster. Erstaunlich frische Randonneure filmen mit dem Handy filmende Zuschauer. Andere können sich kaum noch im Sattel halten. Der Kopf wippt hin und her. 100 Teilnehmer aus Thailand, 390 aus Indien und 430 aus Japan. Paris-Brest-Paris ist in Asien beliebt. Unter großer Anteilnahme erreicht der erste Fahrer des "Cochin Bikers Club" das Ziel.
Leju K D hat an Kontrollstellen höchstens anderthalb Stunden geschlafen. Er ist dieses Jahr schon 1000, 1200 und 1400 Kilometer gefahren. Von Delhi nach Nepal und wieder zurück. Verglichen mit Indien geht es auf den Straßen in Frankreich entspannt zu. Wenig Leute, wenig Verkehr. Indien ist ja dicht bevölkert und Teilnehmer am Straßenverkehr haben Radwanderer überhaupt nicht auf der Rechnung. Im Bundesstaat Kerala im Südwesten Indiens herrscht tropisches Klima. Und in der Bretagne sinken die Temperaturen im Sommer nachts auf drei bis fünf Grad.
"Bonsoir." – "You speak English?" – "Et Francais, mais oui..."
Rainer zückt sein Fahrtenbuch und kramt sein bestes Schulfranzösisch hervor. Die Prüfung ist bestanden. "Herzlichen Glückwunsch! Ich darf Ihnen diese Medaille überreichen und einen Gutschein für ein Abendessen hier im Zelt. Wenn Sie möchten, können Sie auch duschen."
Radfahren kann ein Rausch sein, aber Aufmerksamkeit empfiehlt sich. "Man muss ja auch unheimlich konzentriert sein während der Fahrt. Es fahren ja wirklich auf zehn Zentimeter Abstand teilweise, wenn wir im Windschatten fahren wollen. Da muss man ja höllisch aufpassen."
"Physisch war das wahrscheinlich raubend für den Körper, aber man kommt wieder und kann Werte wieder so aus unterschiedlichen Blickwinkeln einschätzen. Und das ist dann auf der anderen Seite unglaublich erfrischend."
Was ist wichtig im Leben? Essen, Trinken, Schlafen, Zuspruch, Anerkennung und Freundschaft.
Alle Fahrer, die Donnerstagnachmittag eintreffen, liegen außerhalb des Zeitrahmens.

Die Leiden der Langstreckenfahrer

"Aber gemacht haben sie es trotzdem. Ich meine, man muss die Leistung sehen. Es gibt so viele Dinge, die da eine Rolle spielen. Es können körperliche Sachen sein, dass man sich durchsitzt. Es können Verdauungsprobleme sein, dass man nichts essen, nichts trinken kann. Oder… ich habe gesehen, eine junge Frau, relativ zierlich, die hatte eine Helmlampe und hinten einen schweren Akku dran. Da kann ich nur vor warnen. Das ist mir selber mal so gegangen. Diese Gewichtsverteilung auf die lange Strecke führt dazu, dass man die Halsmuskulatur überhaupt nicht mehr anspannen kann. Dann hängt der Kopf nach unten, ein sogenannter Shermer's Neck."
Das Leiden der Langstreckenradfahrer, benannt nach Michael Shermer, der das Race Across America nur fortsetzen konnte, weil er das Kinn mit der Hand hochhielt. Joachim Mühlberg, T224, hat die 90-Stunden-Marke um 16 Minuten verpasst. Das Pech begann mit dem Ausfall der Helmlampe.
"Mir ist mitten in der dunkelsten Finsternis die Kette abgesprungen. Dann hat man dieses relativ schwere Fahrrad mit den ganzen Anhängseln dran, muss die Kette aufspannen, fuhrwerkt irgendwo im Dunkeln rum, denn der Nabendynamo geht aus, wenn das Rad steht."

Wo bleibt Mona?

Mike Dabelstein, X257, hat es geschafft, aber Schlaf bitter nötig. "Die erste Nacht habe ich in Tinténiac übernachtet nach 360 Kilometern. Die zweite Nacht bin ich dann durchgefahren, musste dann eben nur am Tag mich kurz mal hinlegen, eine halbe Stunde oder so Augen zugemacht. Die dritte Nacht habe ich dann zweimal mich an so eine Hauswand gelehnt, weil ich einfach müde war und nicht mehr Rad fahren konnte."
Ein Teilnehmer im gelben Trikot hat sich erschöpft auf den Boden gelegt, sein Rad lehnt neben ihm an der Wand.
Auch wenn dieser Fahrer das gelbe Trikot trägt: Der Marathon ist ausdrücklich kein Rennen.© imago / Philipp Hympendahl
Und wo bleibt Mona? Die letzte Zwischenzeit wurde Mittwoch um 11.27 Uhr aus Loudéac gemeldet. "Jetzt ist es vier Uhr gleich. Donnerstag.… Donnerstag?… Ja, Donnerstagmorgen. Ja, und ich fahre auch weiter. Jetzt geht es gleich los. Jetzt fahre ich noch so weit, wie ich komme. Irgendwann heute Nacht muss ich dann ja mal irgendwo ankommen. Ja, ich hoffe, bis dahin ist es dann geschafft. Schauen wir mal."
Kurz vor Mitternacht trifft ein völlig erschöpfter Radler ein, glücklich darüber, dass die Stempelstelle noch offen ist.
"Thank you very much. There are still four more people in the forest."
"Gestern Nacht kurz vor zwölf war ich dann fertig."
Mona hat die Unterkunft angesteuert, um erst mal auszuschlafen. Auf der Rückfahrt von Brest lief nichts mehr nach Plan. "Ich hatte eine Panne und musste in die Werkstatt. Total nette Leute, die haben das Rad sofort auf den Ständer gehängt und die Schaltung repariert. Auf der Rückfahrt musst du irgendwann mal pennen, das geht sonst nicht. Und dann ist gar nichts mehr aufzuholen. Das geht dann nicht."
"Your roadbook?" – "I have a roadbook. But I was out of time."
"Ihr Fahrtenbuch für den Eintrag." – "Ich habe es, aber ich habe doch die Zeit überschritten."
"Souvenir." – "Oh, thank you.
"Egal, wer das geschafft hat, bekommt eine Medaille."
Merci beaucoup!" – "Congratulations."
"Ach, das ist ja süß. Ich krieg ja trotzdem eine. Das ist ja jetzt echt groß, ne."
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