Quartalsberichte in der Kritik

Ein Wettrüsten der börsennotierten Unternehmen

06:49 Minuten
Blick in die Börse in New York
An der Börse zählen vor allem kurzfristige Unternehmenserfolg, meinen Kritiker. © picture alliance / dpa / Zuma Wire / Bryan Smith
Von Heike Wipperfürth · 29.10.2019
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Bei Quartalszahlen sind sich Hillary Clinton und Donald Trump ausnahmsweise einig: Sie befeuern kurzfristiges Denken der Top-Manager. Verhindern die Berichte, dass Großkonzerne langfristig planen?
Die Diskussion um die Pflicht für Quartalsberichte ist nicht neu: Seit 1970 müssen börsennotierte Unternehmen in den USA alle drei Monate aktuelle Zahlen veröffentlichen. Ein Aufwand, der bis zu 100.000 US-Dollar kosten und vier Tage per Quartal dauern kann.
Das sei aber noch nicht alles, sagt John Endean. Der Unternehmenslobbyist aus Washington ist ein erklärter Gegner der Quartalszahlen. Er verweist auf die Geschichte seines Klienten "Bentley Systems". Das Familienunternehmen habe sogar seinen geplanten Börsengang abgebrochen, um nicht dem ständigen Druck der Wall Street ausgesetzt zu sein.
Finanzanalysten müssten den Unternehmen helfen, auf den Cent genaue, kurzfristige Gewinnprognosen zu erstellen. "Damit will die Bentley Familie nichts zu tun haben. Sie orientiert sich am langfristigen Wachstum ihres Unternehmens", so Endean.

Weniger Unternehmen gehen an die Börse

Nicht nur die Softwarefirma mit 3500 Mitarbeitern ärgert sich über die ständige Meldepflicht. Laut Credit Suisse hat sich die Zahl der börsennotierten Unternehmen in den USA zwischen 1996 und 2016 halbiert, weil immer mehr Top-Manager die strenge Informationspflicht vermeiden wollen.
Sie können sich ihr Kapital auch anderswo holen – etwa bei Beteiligungsgesellschaften, die ihre Zukunftsprojekte finanzieren wollen. Und an der Börse notierte Unternehmen wie der Getränkehersteller PepsiCo und der Konsumgüterkonzern Unilever warnen: Sie müssten sich zu sehr auf kurzfristige Gewinne konzentrieren. Das lasse zu wenig Zeit für langfristige Pläne.
Dabei seien Gewinne Ansichtssache, sagt Shivaram Rajgopal. Der Finanzprofessor an der Columbia Universität in New York kritisiert, dass die Zahlen geschönt werden könnten: "Wenn Investoren gewisse Gewinne wollen und Firmen geben sie ihnen, besteht diese Möglichkeit. Und das ist gefährlich."

Manager verschieben Investitionen

Eine Umfrage der Beraterfirma McKinsey gibt dem Bilanzexperten Recht: 60 Prozent der befragten Geschäftsführer gaben zu: Sie schreckten nicht davor zurück, Projekte zu verschieben oder Ausgaben zu kürzen, um die dreimonatigen Ertragsziele zu erreichen. Die Manager werden ja nicht an ihrer langfristigen Leistung oder ihrem Zukunftspotential gemessen.
Bezeichnend ist auch, dass immer mehr US-Unternehmen den Gewinn durch den Rückkauf ihrer eigenen Wertpapiere im großen Stil erhöhen. Weil diese Papiere in den meisten Fällen von den Unternehmen vernichtet werden, sinkt die Anzahl der an der Börse gehandelten Aktien. Dadurch steigt der Gewinn je Anteil – ein wichtiges finanzielles Ziel, das die Profitabilität einer Firma zeigen soll. Laut Harvard Business Review gaben Großunternehmen zwischen 2003 und 2012 mehr als die Hälfte ihres Gewinns für Aktienrückkäufe aus. Da bleibt nicht viel übrig für langfristige Investitionen in das operative Geschäft.

Künstliche Intelligenz fördert Wettrüsten

Die Tricksereien der Unternehmen versteht man besser, wenn man weiß: Hedge Fonds durchforsten die Quartalsberichte mit Computerprogrammen, sobald sie bei der US-Börsenaufsicht gespeichert sind. David Zaring, ein Juraprofessor an der Universität von Pennsylvania, erklärt, dass Finanzfirmen viel Geld in Computerprogramme investierten, die die Berichte in Millisekunden analysierten. Daraus generierten sie Handlungsaufträge. "Es ist wie ein Wettrüsten, bei dem nicht viel Gutes herauskommt", kritisiert Zaring.
Soweit die Kritik an den Quartalszahlen. Was aber hat Donald Trump vor? Eine kleine Veränderung, die auch dem Unternehmenslobbyisten John Endean gefällt: "Man sollte Quartalszahlen mit Halbjahreszahlen ersetzen – so wie in England."
Viel verändert hat das dort allerdings nicht. Denn obwohl Großbritannien den Wechsel vor fünf Jahren vollzog, legen 90 Prozent der Unternehmen auch weiterhin einen umfassenden Quartalsbericht vor. Aus gutem Grund, sagt David Zaring: "Die Anleger haben den Unternehmen gesagt, dass sie auch weiterhin wissen wollen, was in jedem Quartal passiert."
Viele befürchten, dass halbjährige Berichte "Anreize für Manager schaffen, dass sie schlechte Nachrichten hinauszögern – in der Hoffnung, sie später mit guten Nachrichten ausgleichen zu können", ergänzt Finanzprofessor Rajgopal. Das beeinträchtige die Transparenz und Offenheit des amerikanischen Kapitalmarktes.

Experte fordert neue Gehaltsstruktur für Manager

Letztendlich sind sich Amerikas Investoren einig: Sie wollen an den Quartalszahlen festhalten. Eine Verzögerung des Informationsflusses um drei Monate sei nicht mehr zeitgemäß, sagt auch David Zaring: "Wir leben in einer Zeit, in der Informationen in Echtzeit übertragen werden." Es sei also durchaus möglich, dass börsennotierte Unternehmen ihre Bilanzen ständig auf den neuesten Stand bringen.
Und so stellt sich weiterhin die brennende Frage: Wie können Top-Manager dazu gebracht werden, längerfristig zu planen, obwohl sie alle drei Monate Zahlen vorlegen müssen? Zaring schlägt vor, ihre Bezahlung an den langfristigen Unternehmenserfolg zu binden – etwa durch Aktienoptionen. "Ihre Bezahlung sollte nicht länger damit verknüpft werden, wie sich der Aktienkurs kurzfristig entwickelt. "
Das Problem: Die Amtszeit eines Firmenleiters oder einer Leiterin in den USA dauert im Schnitt nur noch fünf Jahre. Da zählt jedes Quartalsergebnis – sonst sind sie ihren Posten noch viel schneller los.
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