Ausgrenzung in der Punkszene

"Bedroht in ihrer angeblichen Freiheit"

09:18 Minuten
Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski stehen in punk-typischer Aufmachung vor einer Backsteinmauer und schauen in die Kamera.
Die Herausgerinnen Diana Ringelsiep (r.) und Ronja Schwikowski kritisieren das Verhalten vieler älterer Punks: "Keine Regeln" gelte auch für Punks nicht mehr, wenn es um die Rechte diskriminierter Minderheiten gehe. © Claus-Peter K.
Diana Ringelsiep im Gespräch mit Martin Böttcher · 13.09.2022
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Diana Ringelsiep ist Co-Herausgeberin einer Dokumentation mit Texten von FLINTA-Punx. Darin berichten Frauen, Lesben oder etwa Intersexuelle über ihre Erfahrungen mit Ausgrenzung und dass "für sie die Punkszene eben nicht der sichere Ort war".
Die Punkszene ist männerdominiert, sehr männerdominiert. Und genau darum unterscheidet sie sich in punkto Machtgefüge kaum von der Gesellschaft, von der sich Punks eigentlich abzugrenzen versuchen: dem Mainstream. Nicht mehr bereit dazu sind die FLINTA-Punx. FLINTA steht für Frauen, Lesben, Intersexuelle-, Nicht-Binäre-, Transgender- und Agender-Personen.
Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski haben als Herausgeberinnen in ihrem Buch "Punk as F*ck" eine Bestandsaufnahme der Punkszene geschaffen. Ihr Anspruch ist es, die Zustände in der Szene nicht länger zu akzeptieren und sich für Reflektionsbereitschaft und das Recht auf Mitgestaltung einzusetzen.

Erzählungen von Sexismus, die weh tun

50 FLINTA schreiben in "Punk as F*ck" über ihre Erfahrungen in der Punkszene und beschreiben darin, dass auch eben in dieser als Rebellion gestarteten Szene die gleichen Ungleichgewichte und diskriminierenden Verhaltensweisen dominieren.
"Vielen Punks tut es weh, mit dieser Wahrheit konfrontiert zu werden, denn es ist nun einmal so, dass wir alle in der selben Gesellschaft sozialisiert worden sind und deshalb gelten auch in der Punkszene teils dieselben Missstände gerade im Bereich Sexismus", sagt Diana Ringelsiep. Vielen Punks tue es wohl weh, wenn sie sich von der verhassten Mainstreamgesellschaft dann doch nicht so sehr unterscheiden.
Für sie selbst, sagt Diana Ringelsiep, sei ihr Eintreten in die Punkszene mit einer Befreiung von verhassten Normen verbunden gewesen: eine Utopie. "Irgendwann aber hat diese Utopie erste Risse bekommen." Dies sei geschehen, als sie realisiert habe, weshalb Frauen und FLINTA in der Szene so unterrepräsentiert seien und immer in der Minderheit seien in den Cliquen.

Auf der Bühne, in Fanzinen, wo unsere Musik besprochen wird - warum haben wir da nicht die gleiche Bühne und die gleichen Möglichkeiten wie unsere männlichen Freunde - und wenn man das erst mal begriffen hat, fängt man an, darüber nachzudenken und kann so schnell nicht damit aufhören."

Diana Ringelsiep, Herausgeberin von "Punk as F*ck"

Am Anfang standen Berichte von Freundinnen

Zu Beginn ihrer Dokumentation der Erfahrungsberichte standen die Berichte von Freundinnen, wie Diana Ringelsiep erklärt. "Und dann wurde uns gesagt, dass das doch nur Einzelschicksale sind", so die Autorin. Doch habe genau diese Einordnung sie sehr geärgert, weil sie eben sehr viele seien, die genau diese ausgrenzenden Erfahrungen gemacht hätten.
Und so habe sie dann die Idee verfolgt, mit ihrem Buch die Stimmen eben von Personen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammenzufassen. Das Buch wolle Diversität abbilden: "Wir haben hier gezielt recherchiert und gekuckt, dass wir auch alle Altersklassen abbilden." Ebenso wichtig seien die unterschiedlichen Regionen und Bevölkerungsstrukturen: "Ostdeutschland, Dorf und Großstadt - von Flensburg bis Bayern."

Die Szene hält sich für offen und bewusst

Eins der Probleme sei, dass die Punkszene sich eigentlich als offen und bewusst selbst wahrnimmt, es aber dann beim genaueren Hinschauen gar nicht ist, so Diana Ringelsiep.
"In der Szene etwa berichten viele, dass die Punkszene eben nicht der sichere Ort war, dass sie sich etwa anfangs gar nicht getraut haben, sich zu outen, weil sie nicht sicher waren, wie die Punks darauf reagieren. Und das ist dann auch schmerzhaft, das zu lesen und nachzuempfinden."
Insbesondere für ältere Punks sei die Bestandsaufnahme in diesem Buch schmerzhaft, weil sie nun vielleicht spürten, dass mit diesem Buch und der damit verbundenen Anklage auch Regeln aufgestellt würden, so Diana Ringelsiep. Oft käme hier das Argument: "Hört auf damit: Punk darf alles, Punk darf eben nur keine Regeln haben."
Diese Grenzen aber lägen genau da, wo sich einzelne austobten und dies auf dem Rücken diskriminierter Minderheiten geschehe. "Punk muss immer nach oben boxen gegen Autoritäten und muss gegen Missstände ankämpfen, aber darf eben niemals nach unten treten, und das ist etwas, was viele ältere Punks nicht so gut nachvollziehen können. Sie fühlen sich bedroht in ihrer angeblichen Freiheit."
(sru)
"Punk as F*ck. Eine Bestandsaufnahme aus der Punkszene"
Diana Ringelsiep und Ronja Schwikowski (Herausgeberinnen).
Ventil Verlag, Mainz 2022, 24 Euro
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