Publizist über neue Diskussion zum Reichstagsbrand

"Ich fürchte, die Kollegen haben sich einen großen Bären aufbinden lassen"

08:15 Minuten
Der Reichstag geht 1933 in Flammen auf. Am Tatort wird der vermeintliche Brandstifter Marinus van der Lubbe, ein holländischer Kommunist, festgenommen.
Der Reichstag ging 1933 in Flammen auf. Bis heute diskutieren HIstoriker darüber, wie es dazu kam. © AP Photo/picture alliance
Sven Felix Kellerhoff im Gespräch mit Shanli Anwar  · 27.07.2019
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Die "Hannoversche Allgemeine" hat die Erklärung eines SA-Manns zum Reichtagstagsbrand entdeckt: Diese schüre den Verdacht, die SA habe ihre Finger im Spiel gehabt. Historiker Sven Felix Kellerhoff sieht im Gegensatz zu den Kollegen keinen Grund, den Fall neu aufzurollen.
86 Jahre nach dem Reichstagsbrand ist eine neue Debatte darüber entbrannt, wie es sich damals zugetragen haben könnte. Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" ("HAZ") berichtet über den Fund eines neuen Dokuments, das den Verdacht schüre, dass die SA ihre Finger im Spiel gehabt haben könnte. Es geht um eine bislang unbekannten eidesstattlichen Erklärung des SA-Mannes Hans-Martin Lennings (1904-1962).

Ein SA-Mann als Zeitzeuge

Lennings, so Kellerhoff, soll in dem Dokument aus dem Jahr 1955 erklären, er habe am Abend des 27. Februar 1933 den Holländer Marinus van der Lubbe zwischen 20 und 21 Uhr im Auto zum Reichstag gefahren. Das Gebäude habe bereits gebrannt. Das würde bedeuten, dass der später als Brandstifter verurteilte und angeblich auf frischer Tat ertappte van der Lubbe nicht als Täter in Frage komme. Diese Deutung nährt Spekulationen darüber, die Nationalsozialisten hätten selbst hinter dem Brand gesteckt.
Im Deutschlandfunk Kultur sagte der "HAZ"-Journalist Conrad von Meding, der Reichstagsbrand und die These, van der Lubbe habe ihn angezündet, müsse nun neu unter die Lupe genommen werden: "Ich glaube, dass wir neu über die Fragestellung diskutieren müssen, von wem der Reichstag angezündet wurde, warum er angezündet wurde."
Der Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff
Der Historiker und Journalist Sven Felix Kellerhoff © Eventpress Rekdal/picture alliance
Dieser Deutung widerspricht der Historiker Sven Felix Kellerhoff, der bei der Zeitung "Die Welt" als Redakteur für Geschichte tätig ist und dort auch gerade einen Artikel dazu publiziert hat. Er sagt im Deutschlandfunk Kultur, er habe das Dokument noch nicht selbst angesehen. Er glaube zwar durchaus, dass die eidesstaatliche Versicherung authentisch sei, dass sie von Lennings 1955 verfasst worden sei, "aber das sagt ja nichts über den Inhalt, ob der authentisch ist, denn der bezieht sich ja auf das Jahr 1933". Kellerhoff weiter: "Ich fürchte, die Kollegen von der 'Hannoverschen Zeitung' haben sich da einen großen Bären aufbinden lassen."

Windige Experten

Statt mit "windigen Experten" zu sprechen, hätten sie sich besser selbst ins Bundesarchiv begeben und dort die Ermittlungsakten einsehen sollen. "Wer die Akten kennt, weiß, dass diese Darstellung des Herrn Lennings nicht sein kann." Der Tagesablauf von Marinus van der Lubbe sei genau bekannt.
Auch das Argument des "HAZ"-Journalisten von Meding, Lennings habe sich 1955 mit seiner Erklärung selbst belastet und sei dadurch glaubwürdig, nannte der "Welt"-Redakteur falsch. Kellerhoff sagt dazu, Lennings habe sich damit nicht belastet, sondern entlastet, "denn das, was der Mann einräumt, ist etwas, was nicht strafrechtlich vorwerfbar ist – er hat jemanden zum Reichstag gefahren." Zugleich sage Lennings aber laut "HAZ", er habe Anfang 1934, als die Hinrichtung van der Lubbes bevorstand, mit einigen anderen SA-Leuten dagegen protestiert. "Wenn das nicht entlastend sein soll, dann kann ich mir auch nicht helfen."
Lennings Aussagen seien Teil einer Entlastungsstrategie – und diese Entlastungsstrategie sei nach dem Untergang des Nazi-Regimes üblich gewesen. "Das ist tatsächlich der Diskurs der 50er-Jahre", sagte Kellerhoff. Natürlich habe es damals ein Interesse daran gegeben, die eigene Beteiligung herunter zu spielen.

Die Rolle der Ermittlungsakten

Als Lennings seine Erklärung abgab, hätten die Polizeiakten noch als verschollen gegolten, sagte der Historiker. "Auch das ist natürlich ein Hintergrund für diese eidesstaatliche Erklärung – er dachte, er könnte nicht überführt werden." Die Akten hätten sich zunächst in Moskau und dann in Ost-Berlin befunden. Zugänglich wurden sie erst nach der Wiedervereinigung, als sie Anfang der 1990er-Jahre ins Bundesarchiv übergegangen seien. Er selbst habe sie erstmals 1995 genutzt, sagte Kellerhoff.
Nach vielen Jahren der Beschäftigung mit diesem Thema habe er 2008 das Buch "Der Reichstagsbrand" veröffentlicht, sagte Kellerhoff. Der letzte Satz darin habe schon damals sinngemäß besagt, dass der Kriminalfall des Reichstagsbrandes geschlossen und geklärt sei.
Leider gebe es eine Gruppe von Menschen, die auch die "HAZ" jetzt zitiere, die immer wieder neu diese Nazi-Täter-These in die Öffentlichkeit brächten, "mit den absurdesten Argumenten".

Sven Felix Kellerhoff: "Der Reichstagsbrand. Die Karriere eines Kriminalfalls"
bebra-Verlag 2008
160 Seiten, 14,90 Euro

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