Psychoanalytikerin Erika Freeman

Die Therapeutin der Stars

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Porträt von Erika Freeman bei der „Woman of the Year Gala” 2019 in Wien.
"Man muss a bissel meschugge sein, um nicht verrückt zu werden", sagt Erika Freeman. © imago / SKATA
Von Alexander Musik · 23.04.2021
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Marlon Brando lag bei ihr auf der Couch genauso wie Woody Allen oder Marilyn Monroe. Die Rede ist von der jüdischen Psychoanalytikerin Erika Freeman. Sie stammt ursprünglich aus Wien, musste als Elfjährige vor den Nazis fliehen. Heute ist sie 93.
Treffpunkt: das legendäre Hotel Imperial an der Wiener Ringstraße, wie immer, wenn Erika Freeman in Wien ist. Dr. Freeman muss man sie nennen, sagt sie lachend. Schließlich habe sie in ihre Dissertation über den Stellenwert der Familie im Kibbuz viel Arbeit gesteckt.
Es ist ein Tag im Herbst. Händedruck trotz Corona. Eigentlich besitze sie ja eine eigene Wohnung hier in Wien, allerdings im zweiten Stock. Und die Treppen seien schon ein wenig anstrengend. Das wirkt fast kokett. Welches Verhältnis hat die 93-Jährige zu Wien und Österreich?
"Meine Heimat ist Amerika. Wenn man so behandelt wird und so bedroht wird, jeder stirbt, dann ist es schwer, an dieses Land als Heimat zu denken", sagt sie.
"Und doch haben sich die Österreicher geändert, hoffentlich. Im Allgemeinen sind New Yorker a bissel mehr lässig und die Wiener a bissel mehr trotzig. Bissel mehr oder vielleicht nicht, vielleicht ist es nur eine Erinnerung. Aber schön ist es hier doch, und meine Rache an Hitler ist dieses Hotel, und da bin ich wirklich zu Hause, und die Menschen sind sehr nett eigentlich."

Späte Rache an Hitler

Rache, weil auch Hitler, wenn er in Wien war, im "Imperial" abgestiegen war. Erikas Mutter Rachel versteckte sich während des Krieges an verschiedenen Wiener Adressen. 1945 kam sie ums Leben, Opfer einer der letzten alliierten Luftangriffe auf Wien. Der Vater wurde früh ins KZ verschleppt, er konnte fliehen.
Die Tante, Ruth Klüger-Aliav, arbeitete im Untergrund, für den Mossad, sie schmuggelte ab 1939 und nach dem Krieg Juden nach Palästina.
"Meine Tante war Aliya Bet, das heißt, sie war illegale Immigrantin damals", erzählt Erika Freeman. "Mein Vater war im Schattenkabinett der Sozialdemokraten der Außenminister, deshalb war er auch sofort in Theresienstadt in der kleinen Festung. Meine Mutti war die erste Frau, weibliche Hebräischlehrerin in Europa, überhaupt. Und ich weiß noch nicht, was ich der Welt schuldig bin, aber irgendwas, weiß ich, muss ich noch tun. Ein paar Sachen habe ich schon getan."

Eine kämpferische Frau

Zum Beispiel, erzählt die alte Dame, habe sie das Internationale Komitee Frauen für Frauenrechte gegründet. Hintergrund: 1975 beschloss die UNO, Zionismus mit Rassismus und Rassendiskriminierung gleichzusetzen. Plötzlich sollte es erlaubt sein, Israel rassistisch zu nennen und das kleine Land am Mittelmeer mit Südafrika oder Rhodesien gleichzusetzen.
Das konnte diese kämpferische Frau, die auch Golda Meir beriet, nicht gelten lassen. Bei einem Mittagessen sprach sie, von ihrer Tante in höchste gesellschaftliche Kreise eingeführt, die Ehefrau Jimmy Carters, Rosalynn, darauf an.
Die behielt es nicht für sich, und der spätere US-Präsident nahm sich der Sache tatsächlich an, wie sie behauptet. 1991 wurde die umstrittene Resolution durch die UN-Generalversammlung jedenfalls annulliert.

Bloß nicht alles glauben

"Psychoanalyse muss man lernen, Politik habe ich sowieso studiert, es hat mich immer interessiert", sagt Erika Freeman.
"Talent muss man haben und wissen, wie man die Zwei zusammenbringt. Das habe ich Gott sei Dank a bissel, und a Massel habe ich auch, dass man mir zuhört. Und ich denke nicht genau wie jeder andere, ich komme mit etwas, das hat man noch nicht gehört, damals die Menschen, die ich beraten habe. Warum ich das gedacht habe, weiß ich nicht, aber ich habe ein anderes Gehirn wie andere. Und ich verstehe mich darauf, dass jeder alles glaubt, was ich sage. Und sogar Freud hat gesagt, schau, ihr müsst ja nicht alles glauben."
Theodor Reik, aus Wien geflohener Freud-Schüler, war einer ihrer Lehrer an der Columbia-Universität. Schnell machte sich Erika Freeman einen Namen. Ihre psychoanalytische Praxis zog viele Berühmtheiten an: Marlon Brando, Marylin Monroe, Woody Allen, Liv Ullmann, Burt Lancaster. Manche wurden Freunde. Freeman bewahrt Stillschweigen darüber, was die Künstler ihr von sich erzählten.

"Meschuggesein ist das Tor in die Zukunft"

"Menschen haben gewusst, wer ich bin, ein Mensch sagt es einem anderen, und ich habe immer gewusst, wem ich helfen kann. Wir können nicht jedem Menschen helfen, und man muss das wissen. Und man darf nicht so arrogant sein zu glauben, ich kann jedem helfen. Ich will jedem helfen, aber manchem Menschen helfe ich mehr, wenn ich ihnen nicht helfe", erählt sie.
"Man muss a bissel meschugge sein, um nicht verrückt zu werden, und jeder Schauspieler, jeder Künstler, jeder Mensch, der originell ist, ist a bissel meschugge. Und die Welt akzeptiert das nicht! Eigentlich glaub ich, dieses Meschuggesein ist das Tor in die Zukunft. Weil jeder, der etwas für die Zukunft geschafft hat, war a bissel meschugge."
Erika heiratete 1955 selber einen Künstler, den Maler und Bildhauer Paul Freeman, der längst verstorben ist. Die Geschichten sprudeln nur so aus dem Mund der 93-Jährigen. Man könnte sie gut für 75 halten. Wer zuhört, dem schwirrt der Kopf: Eleanor Roosevelt, Richard Nixon, die Mühen der Staatsgründung Israels, Ben Gurion, Golda Meir, die ungeliebten Briten. Aber auch das geliebte Land Amerika und immer wieder die zionistische Tante Ruth Klüger-Aliav.
Geschichten, die wichtig sind für die Nachgeborenen, denen sie sie in Österreich erzählt. Immer wieder spricht sie auch an Schulen. "Und Kinder wissen ja nicht, was es zu wissen gibt. Und man ist neugierig, das heißt, man ist offen für alles. Und da soll man vorsichtig sein, was man dort hinein gibt für die Kinder zu wissen und zu erinnern und weiterzubringen. Das hat alles ein starkes Ergebnis für die Kinder."

"Wenn die Welt in 20 Jahren noch besteht, ist sie besser"

Zeitzeugen wie Erika Freeman werden immer weniger. Zumal solche, die nach den erlebten Schrecken ihre Fröhlichkeit bewahrt haben, um den Titel der Autobiografie des Schriftstellers Fred Wander zu zitieren – ebenfalls ein exilierter Wiener Jude und 20 Jahre älter als Erika Freeman.
Wie wird die Welt in 20 Jahren aussehen? Wenn die Welt dann noch da ist, ist sie eine bessere Welt, sagt Erika Freeman.
"Man muss einander helfen, dann rettet man die Welt", meint sie. "Weil, jetzt haben wir elektrischen Strom. Wir haben alles. Ideen. Freiheit ist keine Sache, vor der man zurückschreckt. Und was noch mehr kommen wird, ist in der Zukunft und ist in dem Gehirn von jemandem, der vielleicht noch nicht einmal geboren ist. Jedes Mal, wenn wir etwas ändern, zahlen wir mit Blut! Alle Könige weg, Erster Weltkrieg, Blut. Faschisten weg: Blut. Aber wir müssen nicht immer so viel Blut vergießen. Man kann es auch rascher, mit dem Gehirn."
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