Psychische Belastungen als Berufskrankheit

Rettungssanitäter: Traumatisiert durch den Job

06:36 Minuten
Illustration: Ein Mann untersucht einen Blutfleck auf der Straße.
Die Arbeit als Rettungssanitäter kann sehr belastend sein. © imago images / Ikon Images / Paul Jackson
Von Katharina Thoms · 21.06.2021
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Jahrzehntelang arbeitet Uwe T. als Rettungssanitäter. Doch das Erlebte, darunter der Amoklauf von Winnenden, lässt ihn nicht los: Er wird berufsunfähig. Seine Versicherung will das aber nicht als Berufskrankheit anerkennen. Uwe T. kämpft dagegen an.
Uwe T. ist Mitte 50. Jahrzehntelang war er Rettungssanitäter. Seit Jahren kämpft er nun mit Versicherungen und Gerichten, lebt inzwischen getrennt von seiner Familie. Der Job habe ihn kaputtgemacht. Für das Deutsche Rote Kreuz hat er Tausende Rettungseinsätze gefahren.
Menschen helfen, das habe er echt gern gemacht, sagt Uwe T. Aber es waren auch immer Extremsituationen. Nicht nur, aber vor allem auch der Amoklauf in Winnenden und Wendlingen bei Stuttgart. Vor zwölf Jahren erschoss der Täter 15 Menschen und sich selbst. Uwe T. war im Einsatz, als der Täter zwei Menschen in einem Autohaus erschoss. Szenen, die nicht mehr aus dem Kopf verschwinden.
Auch viele andere Einsätze seien sehr belastend gewesen. Wenn es um junge Menschen ging oder bei Kindstoden, "wo man dann Stunden versucht, ein Baby zu reanimieren". Hilfe, Betreuung, Nachsorge gab es in seinem Job keine.
Vor sechs Jahren ging es nicht mehr:
"Dann geht man heim von der Arbeit. Dann setzt man sich aufs Sofa. Man hat so ein Desinteresse an allem. Ob das Familie ist, Freunde – das macht alles keinen Spaß mehr."
Er wacht schweißgebadet auf, kann kaum noch schlafen. Wird immer dünnhäutiger, genervt von Frau und Kindern.
Schließlich kommt er in eine Klinik. Der Arzt diagnostiziert klar: posttraumatische Belastungsstörung. 100 Prozent erwerbsunfähig – Uwe T. kann und soll nicht mehr arbeiten, nirgends.
Der Zusammenhang Trauma zu Job sei klar, das hat er Schwarz auf weiß. Seine Versicherung stuft das anders ein: Das könne man nicht wie eine Berufskrankheit anerkennen.

Seit fünf Jahren durch alle Instanzen

"Wir haben dann Widerspruch eingelegt", sagt Rechtsanwalt Sven Kobbelt. "Der ist erneut abgelehnt worden."
Seit fünf Jahren streitet Kobbelt für Uwe T. vor Gericht, durch alle Instanzen, er will erreichen, dass die Unfallversicherung seine Rente und Therapie zahlt, er offiziell berufskrank ist.
Das Problem: Anerkannt wird nur, was auf der offiziellen Liste des Bundesarbeitsministeriums steht. Oder dort demnächst aufgenommen werden soll. Psychische Erkrankungen sind darunter nicht zu finden:
"Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, die einen Zusammenhang feststellen zwischen der Ausübung seines Berufes und dem Auftreten der Erkrankung. Und sie müssen von der Mehrheit der Wissenschaftler getragen werden", erklärt Kobbelt.
Weltweit zeigten viele Studien der vergangenen Jahre den Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Rettungsmitarbeitern, sagt Psychologe Alexander Behnke: "Das kann eine posttraumatische Belastungsstörung sein. Das kann aber auch eine Depression sein oder eine Angststörung."
Je nach Alter erkrankten Beschäftigte im Rettungsdienst bis zu zwölf Mal häufiger als die Normalbevölkerung, das zeigten Studien, sagt Behnke.
Das Landessozialgericht Stuttgart hat sich in seinem Urteil im Fall Uwe T. aber vor allem auf eine Studie aus Deutschland gestützt, eine Metastudie. Sie bewertet wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema: Und sie kritisiert dort methodische Mängel. Der Zusammenhang zwischen psychischer Erkrankung und Job im Rettungsdienst sei deshalb nicht klar nachgewiesen.
Was auffällt: Zwei Autoren der Metastudie arbeiten im staatlichen Gesundheitsdienst und sitzen im ärztlichen Sachverständigenbeirat des Arbeitsministeriums. Der wiederum entscheidet, was als Berufskrankheit auf die offizielle Liste kommt und was nicht.

Hoffnung auf das Bundessozialgericht

Die große Hoffnung für Rechtsanwalt Sven Kobbelt und Uwe T.: Das Bundessozialgericht lässt jetzt die internationale Studienlage prüfen.
"Das ist ein Paradigmenwechsel und eine wirklich bahnbrechende Entscheidung des Bundessozialgerichts", sagt Rechtsanwalt Kobbelt.
Denn egal wie das Urteil ausfallen wird - diese Entscheidung sei jetzt schon maßgeblich für alle künftige Verfahren zu Berufskrankheiten:
"Es kommt nicht darauf an, ob und wann und vielleicht und irgendwie sich der ärztliche Sachverständigenbeirat befasst, sondern die Gerichte können das selbstständig prüfen."
Ein Urteil erwartet Kobbelt erst kommendes Jahr. Uwe T. hofft, dass er dann endlich die Therapien bekommt, die er braucht, sowie eine ausreichende Rente. Und dass auch seine Kolleginnen und Kollegen eine ordentliche medizinische Behandlung bekommen, wenn sie sie brauchen.
(abr)
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