Ungeschützt auf dem Bau

Hautkrebs ist die Berufskrankheit Nummer eins

07:47 Minuten
Bauarbeiter arbeiten mit nacktem Oberkörper in München auf einem Dach.
Typisches Bild auf Baustellen - Männer arbeiten in der Hitze ohne ausreichenden Sonnenschutz. © picture alliance / dpa Themendienst / Tobias Hase
Von Philip Banse · 26.08.2019
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Braungebrannt und muskulös – so präsentieren sich gerade in den Sommermonaten viele Bauarbeiter auf Baustellen. Die Berufsgenossenschaft Bau warnt vorm Arbeiten mit freiem Oberkörper. Es droht Hautkrebs.
"Heute werden wir die Baustelle Garnisonskirche in Potsdam besuchen. Der Fokus wird heute sicher mehr auf dem UV-Schutz liegen betreffs des Wetters. Wir haben heute einen UV-Index von 5. Wir werden uns die Bauarbeiter mal genauer ansehen, die auf der obersten Lage dort mauern und halt mal sehen, inwiefern sie vom Sonnenlicht geschützt sind."
Marco Siegling arbeitet bei der Berufsgenossenschaft Bau, einer gesetzlichen Unfallversicherung, die auf Baustellen auch kontrolliert und aufklärt über Arbeitssicherheit.

Heute hat sich Marco Siegling auf einer prominenten Baustelle in Potsdam angekündigt. Die Garnisonskirche wird wieder aufgebaut: Drei Meter dicke Wände, der Turm soll 60 Meter hoch werden, aktuell haben die Bauarbeiter zwölf Meter geschafft. Marco Siegling schaut nach oben: Zwei Maurer mörteln in der prallen Sonne Ziegel auf Ziegel.
"Hier oben sieht man es schon: Der eine Kollege mit freiem Oberkörper. Der Bauarbeiter, immer braun gebrannt. Mal sehen, ob er eingecremt ist. Wir fragen ihn mal."

Weißer Hautkrebs kann Metastasen bilden

Auf deutschen Baustellen ist der weiße Hautkrebs auf dem Vormarsch. Das Plattenepithelkarzinom, eine Variante des weißen Hautkrebs, die auch Metastasen bilden kann, wurde vor vier Jahren zur Berufskrankheit erklärt.
"Und ist von der Stunde Null an bei den zu entschädigenden Berufskrankheiten von null auf eins gesprungen."
Sagt Klaus-Richard Bergmann, Hauptgeschäftsführer der Berufsgenossenschaft Bau, bei der 2,8 Millionen Bauarbeiter und Bauarbeiterinnen gegen Unfälle und Berufskrankheiten versichert sind.
"Es ist die Berufskrankheit, bei der wir mit Abstand die meisten Fallzahlen haben. Letztes Jahr 2944. Tendenz steigend. Rasant steigend."


Natürlich hat das auch etwas damit zu tun, dass der weiße Hautkrebs noch eine neue Berufskrankheit ist: Viele Bauarbeiter, die schon lange weißen Hautkrebs haben, tauchen jetzt erst in der Statistik auf. Dennoch: Anette Wahl-Wachendorf, die ärztliche Direktorin des Arbeitsmedizinischen Dienstes der BG BAU, fordert, dass mehr getan werden müsse:
"Es wird besser, wir beobachten, wenn wir auf Baustellen gehen, dass viele Fragen von Arbeitgebern kommen, die wollen, dass wir sie dazu beraten. Es wird besser, aber es ist noch nicht ausreichend, keineswegs."
Als Berufskrankheit anerkannt ist das Plattenepithelkarzinom, eine Variante des weißen Hautkrebs, und dessen Vorstufe, die aktinische Keratose. Die Deutsche Krebshilfe schreibt: "Ist der Tumor noch nicht größer als ein Zentimeter, besteht eine Heilungschance von nahezu 100 Prozent." Die die ärztliche Direktorin der BG BAU bestätigt:
"Also Plattenepithelkarzinom, das, was entschädigt wird, oder auch aktinischen Keratose ist hervorragend heilbar, ganz hervorragend."
Bauarbeiter mit freiem Oberkörper an der Baustelle der Garnisonskirche in Potsdam.
Bauarbeiter an der Baustelle der Garnisonskirche in Potsdam.© Deutschlandradio / Philip Banse

Von 100 Erkrankten sterben fünf

Wenn der Tumor denn früh erkannt wird. Unbehandelt oder spät entdeckt kann auch diese Art des weißen Hautkrebs tödlich enden: Von 100 Erkrankten sterben fünf, sagt ein Hautarzt der Deutschen Krebshilfe. Behandlung und Entschädigungen kosten die Bauindustrie viel Geld, schreibt die BG Bau: zuletzt über 13 Millionen Euro pro Jahr.
Aufklärer und Kontrolleur Marco Siegling steigt im Gerüst an der Potsdamer Garnisonskirche nach oben, hoch zum Maurer, der mit freien Oberkörper in der prallen Sonne Ziegel auf Ziegel schichtet.
"Hallo! Wer hat sie den heute eingecremt? Ah, er cremt hier alle ein? Wie wäre es dann mal mit etwas Langärmligem, dann sparen sie sich das eincremen."
Der Maurer heißt Karsten Kramer, ist 52, braungebrannt, arbeitet seit über 30 Jahren im Hochbau und guckt jetzt, als solle er mit Zahnpasta weiter mauern.
"Geht gar nicht. Wir hatten 40 Grad. Das macht mir keiner vor, sich langärmlig in Sonne zu stellen."

Morgens einmal eincremen reicht nicht

Von seinem Arbeitgeber hat Kramer Sonnencreme bekommen, aber egal welcher Lichtschutzfaktor: Morgens einmal eincremen reicht nicht. Arbeitsschutz-Aufklärer Siegling behauptet, dass 5 bis 10 Prozent der Bauarbeiter im Hochbau an Hauptkrebs erkranken. Maurer Kramer fragt nach:
Kramer: "Ist es weißer oder schwarzer Hautkrebs?"
Siegling: "Weißer."
Kramer: "Na, da kann man ja was machen."
Siegling: "Kann man was machen, aber ist Hautkrebs und ich schädige meine Haut."
Kramer: Das gehört zum Bau. Man bekommt Rückenprobleme oder jetzt was wegen der Sonne, aber das ist das Risiko.
Marco Siegling kramt in einer Tüte, er hat Zollstöcke mitgebracht, Bleistifte und Nackenschutz, beigefarbene Tücher aus atmungsaktivem Stoff, die man hinten am Helm befestigen kann. Die Bauarbeiter schauen Siegling an, als hielte er ihnen sein Schnupftuch hin.
"Es ist nur eine Empfehlung. Wir können den Baufirmen nicht direkt vorschreiben, was sie zu machen haben. Sie haben sich aber an die Gesetzmäßigkeiten zu halten."


Das Arbeitsschutzgesetz sieht vor, dass Arbeitgeber technische Maßnahmen ergreifen müssen, um die Arbeiter vor der Sonne zu schützen. Zum Beispiel, indem sie Sonnensegel spannen oder Wetterschutzdächer aufbauen.
"Wie soll ich hier eine Palette Ziegel runternehmen, wenn ich dort ein Sonnensegel habe?! Es geht technisch nicht!"
Heiko Bärwald ist Bauleiter auf der Baustelle. Auch ein aufwändiges Wetterdach hält er für nicht machbar:
"Das bezahlt ihnen keiner. Da haben sie zwar gegen Regen und UV einen Schutz, aber sie müssen das Dach entweder permanent auf und zumachen, das kostet Technik und Arbeitszeit. Das bezahlt ihnen keiner."
Ein Arbeiter trägt auf einer Großbaustelle eine Holzlatte. Er hat einen Helm auf und trägt ein Shirt.
Auch wenn es sehr warm ist, Arbeitsschutzexperten raten wegen der UV-Strahlung, Shirt und Helm zu tragen.© picture alliance/FrankHoermann/SVEN SIMON

Statt Bußgelder setzt die BG Bau auf Freiwilligkeit

Marco Siegling verlässt die Baustelle, wie er sie vorgefunden hatte: freie Oberkörper, Muskel-Shirts, kein Sonnensegel, den Nackenschutz bekam der Bauleiter, der meist im Büro sitzt. Statt Bußgelder setzt die BG Bau auf freiwillige Verhaltensänderung, kommt aber an Grenzen:
"Wenn Sie", sagt Klaus-Richard Bergmann, Hauptgeschäftsführer der Berufsgenossenschaft Bau, "jungen Männern im besten Alter testosterongeschwängert erzählen, dass sie ihren mühsam antrainierten Bizeps nicht in strahlender Sonne der Menschheit zeigen können, sondern stattdessen orangefarbene Schutzkleidung tragen sollen, unter der man auch noch schwitzt, dann haben sie ein Akzeptanzthema."
Bußgelder seien die Ausnahme, es wirkten nur Augenhöhe und gute Argumente. Und vielleicht ein neues Design, für Bauhelme zum Beispiel:
"Erstes Ziel: Sonnenschutz mit reinkriegen. Die haben in der Regel einen Nackentuch, die Krempe sind anders geformt um eine Beschattung zu erreichen. Und: Die Dinger müssen einfach hip aussehen, damit die Kerle die auch tragen. So ein Skater-Helm oder ein Bergsteiger-Helm, der wird gern getragen. So ein Bauarbeiterhelm eher nicht."
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