Ein Akt des Terrorismus
In Dresden wird gegen die rechtsextremen Gewalttäter der "Gruppe Freital" verhandelt. Ein Novum ist, dass diese des Terrorismus angeklagt werden. Die Gruppe hatte 2015 die Unterkünfte Asylsuchender angegriffen - eindeutig ein Akt des Terrorismus, sagt Extremismusforscher Matthias Quent.
2015 erregten die Angriffe der so genannten "Gruppe Freital" auf Flüchtlingseinrichtungen in Sachsen und auf die Unterstützer von Geflüchteten bundesweit großes Aufsehen. Was die Mitglieder dieser rechtsextremistischen Gruppe getan haben ist eindeutig strafbar, also kriminell, aber handelt es sich tatsächlich um Terror? Dies wird heute am sächsischen Oberlandesgericht in Dresden zu klären sein.
Die Wahrnehmung von Juristen und Sozialwissenschaftlern
Für den Extremismusforscher Matthias Quent lautet die Antwort klar: Ja – die Gewaltakte der "Gruppe Freital" sind als Rechtsterrorismus einzustufen. Der Soziologe und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) begründet dies:
"Terrorismus beginnt aus sozialwissenschaftlicher Perspektive da, wo planmäßig und konspirativ Gewalttaten vorbereitet und durchgeführt werden, die sich richten stellvertretend gegen Repräsentanten von politischen Institutionen oder eben sozialen Gruppen. Terrorismus ist zumindest politisch inspiriert und hat das Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten."
Die Verhältnismäßigkeit wahren
Quent räumte jedoch ein, dass zwischen der sozialwissenschaftlichen und der juristischen Definition von Terrorismus "mitunter Welten liegen". Ein relatives Novum sei, dass rechtsextreme Gewalttäter auch des Terrorismus angeklagt würden. Insofern sei der Prozess "Indikator für einen Paradigmenwechsel".
Auf die Frage, ob demnächst das Risiko einer inflationärer Benutzung des Begriffes "Terrorismus" bestehe, sagte Quent:
"Wenn wir uns anschauen, wann wir im öffentlichen Diskurs, beispielsweise im Zusammenhang mit islamistischen Gefährdern, über Terrorismus sprechen, dann sollten wir schon auch die Verhältnismäßigkeit wahren und sagen: Warum sollten wir bei Menschen, die deutscher Abstammung und rassistisch motiviert sind, ein anderes Maß anlegen?"
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: In Dresden beginnt heute der erste Terrorismusprozess im Freistaat Sachsen. Angeklagt sind Mitglieder der sogenannten Gruppe Freital.
((Bericht))
Das aber ist genau die Frage, die ab heute das Oberlandesgericht in Dresden klären muss im Zusammenhang mit den dort angeklagten Mitgliedern dieser sogenannten Gruppe Freital. Und über diese Frage – wo ist sie eigentlich, diese Grenze von Straftaten, mit welcher Motivation auch immer, zum Terrorismus –, genau darüber wollen wir jetzt mit Matthias Quent reden. Er ist der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, schönen guten Morgen, Herr Quent!
Matthias Quent: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wo beginnt denn Terrorismus für Sie?
Quent: Terrorismus beginnt aus sozialwissenschaftlicher Perspektive da, wo planmäßig und konspirativ Gewalttaten vorbereitet und durchgeführt werden, die sich richten stellvertretend gegen Repräsentanten von beispielsweise politischen Institutionen oder eben sozialen Gruppen. Terrorismus ist zumindest politisch inspiriert und hat das Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten bei eben jenen, auf die die Taten eben zielen. Hier im Falle von Freital eben die Gruppe der Einwanderer, der Geflüchteten und deren Unterstützer, also insbesondere in der linken Szene.
Kassel: Das klingt für mich jetzt so … Wir wollen beide natürlich dem Urteil dieses Gerichts nicht vorgreifen, aber das klingt für mich so, als ob für Sie diese Frage im Bezug auf den Prozess eigentlich schon beantwortet ist: Das war für Sie Terrorismus?
Quent: Für mich war das Terrorismus. Nun ist es nichts Neues, dass zwischen den juristischen Definitionen und den sozialwissenschaftlichen mitunter Welten liegen. Das heißt, es ist in der Tat eines der ersten Male, dass gegen rechte Gewalttäter, die so vorgegangen sind, auch wegen Terrorismus prozessiert wird, verhandelt wird. Denn lange Zeit war es so, dass als Terrorismus eigentlich nur das verstanden wurde, was sich gegen den Staat richtet, was den Staat direkt angreift, das heißt also, der sozialrevolutionäre Terrorismus darunter fiel, und das, was wir hier sehen, rassistisch motivierter Terrorismus – oder wie man vielleicht auch sagen würde: vigilantistischer Terrorismus –, der wurde eigentlich so ein bisschen immer beiseitegewischt, weil der sich nicht gegen den Staat als solchen richtete beziehungsweise weil der Staat sich nicht angegriffen fühlte, das haben wir ja im Komplex des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes sehr schmerzhaft erfahren. Und insofern ist dieses Verfahren in Freital jetzt durchaus auch ein Indikator für einen Paradigmenwechsel.
Die Gruppe hat sich sehr schnell radikalisiert
Kassel: Wie sehr ist die Frage, ob es sich tatsächlich um Terrorismus handelt, auch abhängig von der Organisationsform? Denn es sollen ja zum Beispiel in Dresden auch Fragen geklärt werden zu möglichen Zusammenhängen zwischen der Gruppe Freital und der NPD und anderen Organisationen. Ist das wichtig zur Klärung dieser Frage?
Quent: Für die Frage des Terrorismus ist die Planmäßigkeit, die Organisation, auch das Level der Konspirativität, das aus meiner Sicht dort vorliegt – denn es wurden beispielsweise Chiffren genutzt, es wurde sich auf verschlüsselten Kanälen unterhalten –, das spielt eine Rolle, um eben diese Intensität, den Organisationsgrad auszuleuchten. Was andere Verbindungen, etwa zur NPD, auch in das Pegida-Milieu angeht, so ist das natürlich auch eine politische Frage. Denn was in Freital ganz besonders war, was sich auch unterscheidet von allem, was wir bisher wissen von rechten Gewalttätern, ist, dass diese Gruppe sich sehr, sehr schnell radikalisiert hat und dass sie bisher in absolut überwiegendem Maße, mit einer Ausnahme, polizeilich nicht in Erscheinung getreten ist. Rechte Gewalttäter sind normalerweise oft allgemein kriminell bekannt bereits und straffällig geworden, das war bei denen nicht so, das ist also tatsächlich auch eine Veränderung bei dem, was zu beobachten ist.
Kassel: Aber wir reden ja über Strukturen, über Organisationsformen. Heißt das im Umkehrschluss, es kann eigentlich keine Einzeltäter geben, die man als Terroristen bezeichnen kann?
Quent: Auch da unterscheidet sich wieder die sozialwissenschaftliche Herangehensweise von der juristischen. Das heißt, rein sozialwissenschaftlich gibt es keine Radikalisierung, die im luftleeren Raum passiert, die sich also jenseits von bestimmten Diskursen, von der Bestärkung aus Gruppen bewegt, was nicht heißt, dass es nicht auch – wie im Fall beispielsweise Anders Breivik – Täter gibt, die auch durchaus kalkulierend alleine handeln und ihre Taten dann alleine durchführen. Das heißt aber wie gesagt eben nicht, dass sie aus einem Diskursklima, auch aus einer politischen Bewegung zu isolieren sind.
Die Täter erzeugen ein Klima der Angst
Kassel: Aber anders davon. Ein Teil Ihrer Definition, wenn ich Sie richtig verstanden habe, für Terrorismus ist ja auch diese Absicht, ein Klima der Angst zu erzeugen und eine ganze Bevölkerungsgruppe, wenn nicht vielleicht sogar einen ganzen Ort so unter Druck zu setzen. Ob jemand alleine das kann, ist nun wieder eine andere Frage, aber diese Intention kann ja ein Einzeltäter auch haben, und das würde ihn ja dann quasi auch zum Terroristen machen?
Quent: In der Tat, dann sprechen wir von den sogenannten einsamen Wölfen, dem Lone-Wolf Terrorism. Das gibt es durchaus und diese Wirkungen sind auch möglich. Aber in der Entstehungsgeschichte stehen diese … Auch diese einsamen Wölfe leben ja nicht auf isolierten Inseln, sondern bewegen sich in einem bestimmten Klima, wo sie sich – das haben wir bei allen Fällen gesehen, beispielsweise bei Anders Breivik, dem norwegischen Rechtsterroristen – eben auch beziehen auf die Diskurse der rechtsextremen Bewegung, und daran teilgenommen haben, auch wenn sie dann alleine handeln.
Kassel: Ich möchte den Spieß zum Schluss aber doch noch mal umdrehen: So sehr wir natürlich nicht verharmlosen dürfen und so sehr es vielleicht auch eine positive Entwicklung ist, Taten wie die der sogenannten Gruppe Freital tatsächlich Terrorismus zu nennen, muss man nicht auch ein bisschen darauf achten, dieses Wort – Terror, Terrorismus, mehrere Worte schon, Terrorist – nicht inflationär zu verwenden? Sollten wir nicht auch vorsichtig sein, nicht sagen, alles, was ein bisschen über Alltagskriminalität hinausgeht, ist für uns in Zukunft gleich Terrorismus?
Inflationäre Benutzung von "Terror"?
Quent: In der Tat, da muss man sehr fein differenzieren, um auch in der Analyse noch trennscharf sein zu können, da stimme ich Ihnen absolut zu. Das ist aber gegeben durch diesen Grad der Organisiertheit, durch den Grad der Vorbereitung, durch die Motivation und eben durch diese Zielsetzung, Angst und Schrecken zu verbreiten. Und das ist ein Unterschied zwischen … Man könnte auch in manchen Situationen von einer Form des Freizeitterrorismus sprechen, also bei weniger vorbereiteten Gewalttaten, dann besteht in der Tat die Gefahr der inflationären Benutzung dieses Begriffes. Aber auf der anderen Seite, wenn wir uns anschauen, wann wir im öffentlichen Diskurs beispielsweise im Zusammenhang mit islamistischen Gefährdern über Terrorismus sprechen, dann sollten wir schon auch die Verhältnismäßigkeit wahren und sagen: Warum sollte das bei Menschen, die deutscher Abstammung und rassistisch motiviert sind, warum sollten wir da ein anderes Maß anlegen?
Kassel: Der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, Matthias Quent über den Terrorismusbegriff und seine Definition, die sozialwissenschaftlich und juristisch nicht immer völlig identisch ist, auch das haben wir jetzt gelernt. Herr Quent, ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch!
Quent: Sehr gern!
Kassel: Tschüß nach Jena! Wir werden natürlich über den Prozess, der in Dresden vor dem Oberlandesgericht beginnt gegen die Mitglieder der sogenannten Gruppe Freital, weiterberichten hier im Programm von Deutschlandradio Kultur.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.