Protokolle aus der Arbeitswelt

"Das hier trifft uns alle"

04:39 Minuten
Vor blauem Hintergrund ist ein blauer Handschuh mit Atemmmaske aufgestellt.
Es mangelt nicht nur an Schutzkleidung, sondern auch an Personal und Struktur. © Getty Images / Moment RF / Kseniya Ovchinnikova
Von Jan Brandt · 15.04.2020
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Wir haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller gebeten, denjenigen eine Stimme zu verleihen, die trotz Corona fürs Gemeinwohl arbeiten. Heute erzählt Jan Brandt aus dem Alltag eines Krankenpflegers. 
Hier bei uns in der Klinik ist es noch ruhig. Wir haben viele Betten freigeräumt, einen Teil des Hauses abgesperrt, und jetzt warten wir auf den Sturm. Die nächsten vier Wochen werden hart, das weiß ich jetzt schon, da kommt was auf uns zu, das begreifen wir noch gar nicht.
Das wird super belastend. Wir werden alle umfallen. Es gibt zwar einen Plan, einen Katastrophenplan. Wer wann wo zum Einsatz kommt. Aber das habe ich nur von einem Anästhesisten gehört. Uns wird nichts gesagt. Wir wissen nicht, wie es weitergeht und arbeiten von Tag zu Tag.

"Länger habe ich es nicht ausgehalten"

Einer der Mitarbeiter soll erkrankt sein. Der ist so alt wie ich, Mitte 40, und jetzt liegt er auf Intensiv und ringt mit dem Leben. Vor 20 Jahren habe ich auch mal auf Intensiv gearbeitet. Nur ein Jahr. Länger habe ich es nicht ausgehalten.
Ich weiß, wie hart das ist, was man da draufhaben muss. Und ich kenne nur ganz wenige von damals, die noch immer dabei sind. Viele verkraften das nicht. Die sind dann fertig mit den Nerven. Oder abgestumpft. Oder haben Bandscheibe.

"Einer hat am Telefon geweint, einer hat mich beschimpft"

Vor zwei Wochen war ich einen ganzen Tag lang damit beschäftigt, Patienten aus ganz Berlin anzurufen und ihnen abzusagen, Patienten mit Tumorverdacht. Da standen Biopsien an. Das machen wir ambulant. Ein kurzer Eingriff. Aber ich musste ihnen sagen, dass wir das gerade nicht machen können, dass wir das verschieben müssen.
Auf wann, haben sie gefragt. Das weiß ich nicht. Das konnte ich denen nicht sagen. Auf Mai, Juni. Auf Herbst. Für manche ist es dann ja vielleicht schon zu spät, dann haben sie vielleicht schon Metastasen. Viele hatten schon mit dem Anruf gerechnet.
Einer hat am Telefon geweint, einer hat mich beschimpft. Der meinte, dass er als Privatpatient ja ein Anrecht auf diese Untersuchung habe, dass er bevorzugt behandelt werden müsse, schließlich würde er ja auch dafür bezahlen. Und da habe ich Blutdruck gekriegt. Und ihm die Meinung gesagt.

"Neue Termine geben wir nicht heraus"

Die Sache ist die: Für die Biopsie brauchst du ein Antibiotikum. Das ist nicht mehr zu kriegen. Seit Wochen gibt’s Lieferengpässe, weil das ausschließlich in China hergestellt wird. Ich kenne welche, die haben noch was über die Apotheken bekommen, Fünfzigerpacks. Dabei brauchst du nur zehn.
Einige Patienten haben mir davon erzählt, dass sie das jetzt zu Hause haben. Die haben uns das angeboten. Aber wir dürfen das nicht annehmen, aus Hygienegründen. Das ist doch Irrsinn.
Jetzt machen wir die Untersuchungen zwar wieder, wägen aber ab, wer sie am dringendsten braucht. Neue Termine geben wir nicht mehr heraus, schreiben uns nur die Namen auf, melden uns irgendwann. Inzwischen haben wir auch Patienten von anderen Abteilungen dazubekommen.

"Wir werden nicht getestet"

Das ist ein Wahnsinnsdurchlauf. Wir sitzen in engen Räumen und können keinen Abstand halten. Anders als andere arbeiten wir nicht in Schichten. Wenn es einen von uns erwischt, sind gleich alle betroffen. Auch die Ärzte stehen unter Stress. Die sollen noch möglichst viel machen, bevor die ganz große Welle kommt. Wir müssen ja auch Geld verdienen.
Erst seit zwei Wochen benutzen wir Atemmasken, aber keine FFP3s, ganz normale. Wir haben nur eine Packung bei uns stehen. Für uns alle. Die ganze Abteilung. Und wenn die leer ist, war’s das. Deshalb können wir die auch nicht wechseln. Wir niesen da rein. Wir atmen da rein. Wir schwitzen darin. Und dann müssen die trocknen, und dann setzen wir die wieder auf.
Vor ein paar Tagen hatte ich eine Erkältung, Husten, Halsschmerzen. Ich dachte, wir haben ja die Coronaambulanz bei uns im Haus, da gehst du hin. Die haben aber keinen Abstrich gemacht. "Sie haben ja kein Fieber", haben sie gesagt. Wir werden nicht getestet, weil es zu wenig Röhrchen gibt.

"Wenn ich den Wieler höre, kriege ich Blutdruck"

Von der Coronakommission kommt jeden Tag eine andere Ansage, alles per E-Mail. Erst hieß es, wir sollen den Mundschutz überall tragen. Dann nur noch bei Patientenkontakt. Dann doch wieder im ganzen Haus. Kann sein, dass es morgen heißt, wir dürfen gar nichts mehr machen.
Wenn ich den Wieler vom RKI höre, kriege ich gleich wieder Blutdruck. Jetzt haben sie die Quarantäne-Empfehlungen gelockert: Wer ungeschützt mit Infizierten gearbeitet hat, darf weitermachen, solange keine Symptome auftreten.
Dabei wissen wir doch längst, dass die Ansteckung am größten ist, bevor die ersten Symptome auftreten. Mein Sohn hat Asthma. Was, wenn ich den anstecke? Wenn ich selbst schwer erkranke? Oder meine Frau? Wer kümmert sich dann um ihn?

"Überall im Kiez stehen die Leute an ihren Fenstern"

Ich weiß, dass das Klatschen allein nichts bringt. Dass wir mehr Personal brauchen, mehr Geld, eine Gefahrenzulage, und dann, danach eine echte Gesundheitsreform, Krankenhäuser ohne Fallpauschalen. Aber abends stehen wir jetzt auch immer auf dem Balkon und klatschen.
Und überall im Kiez stehen die Leute in ihren Fenstern. Wir klatschen uns gegenseitig Mut zu. Und meine Frau und ich wir klatschen für unseren Sohn. Damit er merkt: Wir sind nicht allein. Das hier trifft uns alle.

Von Jan Brandt ist erschienen:
"Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt. Von einem, der zurückkam, um seine alte Heimat zu finden / Von einem, der auszog, um in seiner neuen Heimat anzukommen"
Wendebuch, DuMont Buchverlag, Köln 2019
424 Seiten, 24 Euro

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