Proteste und Populismus

Wenn Sorgen politisch gekapert werden

06:43 Minuten
Auf der Straße stehen vier Männer, zwei von ihnen tragen Schilder, auf denen steht "Ami go home" und "Tesla nein danke"
Demonstration gegen den US-Elektroautobauer Tesla im brandenburgischen Grünheide © imago/Christian Ditsch
Dieter Rucht im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 20.02.2020
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Der Konflikt um das geplante Tesla-Werk in Brandenburg ist nur ein Beispiel: Berechtigte Sorgen, aber auch Angstmacherei treffen immer häufiger aufeinander. Eine Ursache sei die zunehmende Polarisierung, sagt der Soziologe Dieter Rucht.
Wird sich das Grundwasser gefährlich absenken? Wird der Verkehr belastende Ausmaße annehmen? Und ist das gesamte Verfahren rechtsstaatlich in Ordnung? Im Konflikt um die geplante Tesla-Fabrik in Brandenburg seien Fragen wie diese durchaus berechtigt, sagt der Soziologe Dieter Rucht.
Auf der anderen Seite würden aber "dramatische Konsequenzen an die Wand gemalt" und man operiere mit Halbwahrheiten und Halbwissen. Beispiel dafür sei die angebliche Erhaltung der Waldfläche, deren Rodung jetzt gerichtlich gestoppt wurde. Das sei aber kein Wald im klassischen Sinne, sondern diene der industriellen Holznutzung, so Rucht.
Den Eindruck, dass Proteste heute schneller politisch gekapert werden, bestätigt der emeritierte Professor:
"Das populistische Element, das in den letzten Jahrzehnten in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eher schwach ausgeprägt war, hat inzwischen zugenommen. Wir haben zunehmend eine Polarisierung bezogen auf ganz unterschiedliche Fragen. Auf beiden Seiten werden Emotionen geweckt und geschürt. Das führt dann dazu, dass die Rationalität, die Sachlichkeit, die Nüchternheit in der Auseinandersetzung ein Stück weit auf der Strecke bleiben."

Parteien im Dauerwahlkampf-Modus

Hinzu komme, dass die Parteien einem zunehmenden Wettbewerb ausgesetzt seien und ihre Stammklientel verlören. Deshalb seien sie "ständig im Dauermodus des Wahlkampfes", so Rucht. "Es geht immer darum, Wasser auf die eigenen Mühlen zu lenken und den Gegner zu diskreditieren."
Es sei zudem "Teil der Rhetorik vieler Proteste", so Rucht weiter, partikulare Anliegen zu "verkleiden" und zu sagen, man agiere für das Gemeinwohl: "Da werden oft hehre Werte bemüht, die dann im Konkreten dieser Sachlage gar nicht standhalten."
(bth)
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