Proteste gegen Energiepolitik

"Generalisiertes Misstrauen" gegenüber der Demokratie

Viele Menschen demonstrieren auf einer Straße, in der Mitte ist eine alte Reichskriegsflagge mit schwarzem Kreuz zu sehen.
Protest in Leipzig: In Ostdeutschland ist es vor allem die extreme Rechte, die Menschen mobilisiert. Simon Teune warnt vor wachsender Gewaltbereitschaft. © imago / xcitepress / benedict bartsch
Simon Teune im Gespräch mit Ute Welty · 20.10.2022
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Migration, Corona, Energiekrise: Unabhängig von der jeweiligen Regierungspolitik gehen wütende Menschen auf die Straße. Der Soziologe Simon Teune sieht hier eine gefährliche Entwicklung, ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem demokratischen System.
In Sachsen, aber auch in anderen Bundesländern kommt es in diesen Wochen erneut zu größeren Protesten. Der Soziologe Simon Teune sieht zwei unterschiedliche Traditionen und Deutungsmuster, die Menschen dazu motivieren, auf die Straße gehen.
Die eine Tradition werde von der extremen Rechten und von verschwörungsideologischen Netzwerken angeführt. Zuerst sei es um die Flüchtlingspolitik und dann um die Coronamaßnahmen gegangen. Nun sei es die Energiekrise.

Narrative von Umsturz oder Umverteilung

Teune erkennt jeweils dasselbe rechte Narrativ: Die Regierung wolle demnach Deutschland zugrunde richten und müsse weg; man brauche etwas "jenseits des demokratischen Systems".
Auf der anderen Seite würden linke Gruppen, Sozialverbände und Gewerkschaften die Deutung pflegen, wonach es ein Problem mit der sozialen Gerechtigkeit in der Krise gebe und eine Umverteilung notwendig sei. Nach den "Unteilbar"-Demonstrationen etwa würden sich nun wieder linke Netzwerke zusammenschließen, um Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit "zusammenzudenken".

Extreme Rechte mobilisiert im Osten

Beide Traditionen seien sehr unterschiedlich in West- und Ostdeutschland vertreten, sagt Teune. Im Osten gelinge es der extremen Rechten, vor allem in kleineren Städten in Sachsen sehr erfolgreich Menschen auf die Straße zu bringen. Die Erzählung, dass es einen Umsturz brauche, sei eine "gefährliche Entwicklung", betont der Soziologe. Denn das Ressentiment könne immer wieder neu eingesetzt und interpretiert werden, egal bei welchem Thema.

"Es geht um ein generalisiertes Misstrauen gegenüber dem demokratischen System und den Institutionen – und nicht nur den politischen Institutionen, sondern auch den Kontrollinstitutionen wie den Medien."

Daraus werde auch die häufig zu beobachtende Aggression von Protestierenden legitimiert, sagt Teune: "Wenn man das Gefühl hat, im Grunde genommen wird man selbst angegriffen und in die Ecke gedrängt, dann ist es auch legitim, selbst zum Angreifer zu werden. Dann ist es legitim, Gewalt einzusetzen."

Öffentliche Mordfantasien gegenüber Politikern

Neben Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten würden auf Demonstrationen auch Mordfantasien gegenüber Politikern "ganz offen ausgesprochen", nicht nur in den sozialen Medien. "Das ist eine neue und sehr gefährliche Entwicklung", warnt der Forscher. "Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass das auch in Taten endet."
Die Verfestigung dieses Weltbilds lasse sich nicht ohne Weiteres rückgängig machen, sagt Teune, etwa durch politische Maßnahmen. "Man kann nur daran arbeiten, dass diese Deutung nicht für noch mehr Menschen attraktiv gemacht wird, indem man zum Beispiel gerade den Menschen, die jetzt in der Situation besonders betroffen sind, zielgerichtet Hilfe zukommen lässt."
(bth)

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