Demos gegen Energiepolitik

Rechte besetzen den Begriff "Ostdeutschland"

11:57 Minuten
Eine Menschenmenge schwenkt Deutschlandfahnen. Auf einer davon ist zu lesen: "Wir sind das Volk". Im Hintergrund: der Reichstag, Sitz des deutschen Bundestags.
Protest im Zeichen "ostdeutscher" Identität: Auf Initiative der AfD demonstrieren Menschen am 8. Oktober 2022 in Berlin gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung. © imago / ZUMA Wire / Dan Herrick
Steffen Mau im Gespräch mit Jana Münkel · 11.10.2022
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Bei Protesten gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung skandieren wütende Menschen "Ost-, Ost-, Ostdeutschland". Rechte Bewegungen vereinnahmen den Begriff, meint Soziologe Steffen Mau: als politische Chiffre für Unzufriedenheit.
Unmut über steigende Energiepreise, Inflation und nach Ansicht vieler Menschen unzureichende Gegenmaßnahmen der Bundesregierung mache sich derzeit im Osten Deutschlands besonders deutlich Luft, sagt Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Berliner Humboldt-Universität.
Zwar nehme die Zufriedenheit der Menschen mit der Demokratie in beiden Landesteilen gleichermaßen ab, "aber im Osten ist das intensiver", so Mau, "und es gibt eine spezifische Protestkultur, die sich über Jahre entwickelt hat, und einen organisatorischen Kern, der sowas relativ schnell auf die Beine stellen kann."

Kanalisieren von Unzufriedenheit

Bei Protesten wie der Demonstration am 8. Oktober in Berlin auf Initiative der AfD sei deutlich erkennbar, dass rechte Akteure versuchen, "sich an die Speerspitze dieser Aktivitäten zu stellen und diese Arten von Unzufriedenheit einzusammeln und zu kanalisieren."
Auf der Berliner Demonstration skandierten die ersten Reihen: "Ost-, Ost-, Ostdeutschland!". Der Begriff werde von rechten Akteuren genutzt, um aus dem Ärger und den Ängsten der Menschen politisch Kapital zu schlagen, sagt Mau.
"Die Idee ist vermutlich, diesen Begriff, der jetzt eine Leerstelle ist und auch von verschiedenen Gruppen und Perspektiven unterschiedlich befüllt wird, als rechte politische Chiffre zu besetzen."

Umdeutung einer "Problemzone"

Dabei werde das in der öffentlichen Wahrnehmung verfestigte Bild von Ostdeutschland als "Problemzone" und damit das Image vom "braunen" oder "rechte Osten" von den Akteuren bewusst "aufgegriffen und nochmal verstärkt, sagt Mau.

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Dahinter stecke die "infame Strategie", quasi zu sagen: "Dann sind wir eben rechts!", so Mau. Anklänge an die Bürgerrechtsbewegung in der späten DDR aber auch eine gewisse Skepsis gegenüber westlichen Werten, vielleicht sogar "ein völkisches Denken" würden als Gegenmodell zum Westen in Stellung gebracht. Dessen ungeachtet werde der Begriff "Ostdeutschland" auf Demonstrationen durchaus auch von Westdeutschen mitskandiert.

Zu wenige Antworten auf berechtigte Sorgen

Trotz offensichtlicher Schnittmengen dürften die derzeitigen Proteste aber nicht mit denen von Kritikerinnen und Kritikern der Coronamaßnahmen oder mit der Bewegung Pegida in einen Topf geworfen werden, betont Mau. Viele Menschen, die wegen der steigenden Energiepreise besorgt seien, liefen bei rechtpopulistisch vereinnahmten Demonstrationen mit, ohne unbedingt die politische Ausrichtung der Initiatoren zu teilen.
In der gegenwärtigen Krise werde die Loyalität der Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie auf die Probe gestellt, sagt Mau. Lange Zeit sei Demokratie in Deutschland mit Wachstum und Wohlstandssteigerung einher gegangen. Damit die Menschen angesichts der bevorstehenen Engpässe das Vertrauen nicht verlieren, müsse die Politik klarer kommunizieren und bessere Antworten auf die Krise finden.

Die Politik muss mehr machen

"Man kann ja vieles gar nicht mehr nachvollziehen, das war in der Coronakrise so, das ist jetzt bei diesen ganzen Entlastungspaketen auch so." Auch Fragen von Gerechtigkeit seien "ganz zentral dafür, ob Leute eine Veränderung oder eine Zumutung für legitim halten", so Mau. "Da muss Politik mehr machen. Da ist sie nicht besonders gut in der Kommunikation - aber auch nicht besonders gut im Maßnahmenkatalog."
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