Proteste der Opposition in Belarus

Ein Aufbruch, der auch schnell wieder vorbei sein kann

06:23 Minuten
Anhänger der Opposition stehen in Minsk nachts vor und auf einer errichteten Barrikade und demonstrieren gegen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Belarus.
Proteste gegen das Wahlergebnis in Belarus - kann Präsident Lukaschenko die Situation aussitzen? © imago images / ITAR-TASS / Natalia Fedosenko
Albrecht von Lucke im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 11.08.2020
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In Belarus kämpft die Opposition gegen das Wahlergebnis. Der Publizist Albrecht von Lucke fühlt sich an die Vorgänge in der Ukraine 2004 erinnert - und macht vor allem den Westen dafür verantwortlich, dass es Demokratiebewegungen weltweit so schwer haben.
Nach einer weiteren Gewaltnacht in Belarus hat Bundesaußenminister Heiko Maas auf eine rasche Entscheidung der EU über mögliche Sanktionen gegen das Land gedrängt. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja floh mittlerweile nach Litauen. Bei der Wahl am Wochende soll sie auf rund zehn Prozent gekommen sein, Präsident Lukaschenko nach offiziellen Angaben auf über 80 Prozent. Regierungsgegner gehen von Wahlfälschung aus.
Man fühle sich derzeit an die Orangene Revolution in der Ukraine 2004 erinnert, sagt der Publizist Albrecht von Lucke. Wenn ein solcher Aufbruch in der Bevölkerung entstehe, merke man, wie die Panik im Herrschaftsapparat um sich greife. Jetzt gehe es vor allem darum, wie groß die Machtressourcen Lukaschenkos seien - und um die Rolle Russlands.
In Belarus zeige sich momentan, was eine Diktatur wirklich sei, meint von Lucke. Mit Blick darauf sollten hierzulande noch einmal die Begriffe von Demokratie und Diktatur zurechtgerückt werden. "Wenn bei uns von der Covid-Diktatur die Rede ist, von Formen der Merkel-Diktatur, dann wird (in Belarus) ganz klar, was Diktatur wirklich bedeutet", betont er. Es sei dramatisch, was dort passiere.

Der Westen tut zu wenig für Demokratiebewegungen

Der Publizist befürchtet aber, dass alle Hoffnungen auf Demokratie in Belarus enttäuscht werden könnten. Hierfür gibt er auch dem Westen die Schuld. US-Präsident Trump habe den Willen zu einer universalistischen Weltordnung komplett ad acta gelegt und es damit anderen Ländern ermöglicht, Demokratiebewegungen zu zerschlagen. Und die Vorstellung, dass die Europäische Union einheitlich auftrete, sei fast vergessen.
Vor diesem Hintergrund komme es nun vor allem auf die Präsidentschaftswahl in den USA am dritten November an, so von Lucke. Wenn Trump erneut gewinne, werde es eine multipolare Welt geben. "Carl Schmitt, der verheerende Großraumstratege des Dritten Reichs, hat mal von 'Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte' gesprochen. Das ist genau das, was wir erleben." Es komme zu einer Abgrenzung von Regionen, kleine, neu-imperiale Strukturen kämen auf - und weder die Vereinten Nationen noch die USA versuchten, zu intervenieren.
Alexander Lukaschenko regiert Belarus seit 26 Jahren autoritär. Nach der Präsidentenwahl am Sonntag brachen landesweite Proteste aus; nach Medienberichten gab es Tausende Festnahmen. Die 37-Jährige Swetlana Tichanowskaja war die Hoffnung der Opposition und an Stelle ihres inhaftierten Ehemannes angetreten. Dieser ist ein bekannter Blogger und hatte Korruption und Missstände in Belarus angeprangert.
(ahe)
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