Der Architekt und ökologisch engagierte Künstler Friedensreich Hundertwasser schreibt in einem Manifest:
"Jedes Mal, wenn wir die Wasserspülung betätigen, im Glauben,
eine hygienische Handlung zu vollziehen,
verstoßen wir gegen kosmische Gesetze,
denn in Wahrheit ist es eine gottlose Tat,
eine frevelhafte Geste des Todes.
Wenn wir auf die Toilette gehen,
von innen zusperren und unsere Scheiße wegspülen,
ziehen wir einen Schlussstrich.
Warum schämen wir uns?
Wovor haben wir Angst?
Was mit unserer Scheiße nachher geschieht,
verdrängen wir wie den Tod.
Das Klosettloch erscheint uns wie das Tor in den Tod,
nur rasch weg davon, nur schnell vergessen die Fäulnis und Verwesung.
Dabei ist es gerade umgekehrt. Mit der Scheiße beginnt erst das Leben.
Die Scheiße ist viel wichtiger als das Essen."
Jan-Ole Boness geht auf einem Acker in der Schorfheide, rund 50 Kilometer nördlich von Berlin, in die Knie.
"Mal schauen, was wir hier haben", sagt er. "Jetzt sind wir hier gerade in der mineralischen Düngung, ganz im Süden, ich hole mir mal hier so eine Pflanze raus. Hier haben wir eins, zwei, drei, vier, fünf Triebe."
Partner im Feldversuch: Der Landwirt Rainer Dickmann (links) von der Schorfheider Agrar GmbH mit Florian Augustin von Finizio und Ökograrmanager Jan-Ole Boness.© Deutschlandradio / Anna Goretzki
Der Winterroggen schmiegt sich noch an die Erde. Es ist März. Boness zählt die Triebe der Pflanzen, die hier im letzten Herbst ausgesät wurden. Der Ökoagrarmanager will herausfinden, ob schon Wachstumsunterschiede festzustellen sind. Denn die weißen Stangen, die in regelmäßigen Abständen auf dem Feld stehen, markieren Ackerstreifen, auf denen ganz unterschiedlich gedüngt wurde.
Dünger aus menschlichem Kot im Feldversuch
"Die bestehen einmal aus einer normalen organischen Stallmistdüngung, dann ist die zweite Variante unser Kompost aus Fäkalien, die dritte Variante wäre eine mineralische Düngung, also flüssiger mineralischer Stickstoff, und die vierte Variante ist keine Düngung", erklärt er.
Ein Feldversuch, der so in Deutschland noch nie durchgeführt wurde. Jan-Ole Boness sagt: "Wir haben hier einen Pilotversuch für die Anwendung von einem neuen, organischen Recyclingdünger aus Inhalten von Trockentoiletten."
Ein Dünger aus menschlichem Kot. Gesammelt in Toiletten, die Urin und Fäzes, also Kot, getrennt voneinander auffangen. Nur die Fäzes wurden zu Humusdünger verarbeitet. Diese hat
die Firma Finizio aus dem nahen Eberswalde zuvor hygienisiert, also von Keimen befreit, erklärt Gründer und Geschäftsführer Florian Augustin, der neben Jan-Ole Boness auf dem Acker steht.
"Wir wollen nicht erst die Seuchenhygiene auf dem Acker feststellen, sondern wir wollen im Vorhinein wirklich klarstellen, dass das wirklich ein seuchenhygienisch unbedenkliches Produkt ist", sagt er.
"Das haben wir ja auch mit den Laborergebnissen von dem Humusdünger, den wir hergestellt haben, unter Beweis stellen können. Also dass wir den Humusdünger in purer Form auf Krankheitserreger untersucht haben, auf Schadstoffe untersucht haben, auch auf Medikamentenrückstände untersucht haben, die dort gar nicht mehr nachweisbar waren mit gängiger Laboranalytik."
Ein Experiment mit Sondergenehmigung
Das war Voraussetzung dafür, die Sondergenehmigung zu erhalten, den Recyclingdünger aus menschlichen Exkrementen aufs Feld zu bringen. Denn das ist in Deutschland eigentlich streng verboten. Und: Sie mussten einen Landwirtschaftsbetrieb finden, der von dem Vorhaben eines solchen Feldversuchs überzeugt werden konnte. Das war bei der Schorfheider Agrar GmbH der Fall, bei der Rainer Dickmann Geschäftsführer ist.
"Wir können nicht sagen, dass wir keine Vorbehalte hatten. Wir haben das Anliegen der Firma Finizio geprüft, und wir sind hier in Groß Schönebeck nach wie vor auf dem Dorf. Und wir sind noch in einem Alter, dass wir das sogenannte gute alte Plumpsklo von früher noch kennen, und zu diesen Zeiten wurde damals nicht nach einem Düngegesetz gefragt", erzählt er.
"Da wurden die menschlichen Fäkalien dann einfach auf dem Dunghaufen mitverarbeitet und wurden dann auf den Feldern ausgebracht. Und im Verlauf der Jahre hat man moderne, neue Klärwerke errichtet und ist man ausgewichen praktisch, aus dem Kreislaufsystem ausgebrochen und hat ein lineares System praktisch entwickelt, wo dann die Stoffe am Ende zwar alle rausgefiltert werden, aber die wertvollen Nährstoffe, die ja in den Fäkalien sind, die sind ja nicht zurückgeführt worden, sondern die werden am Ende in irgendwelchen Müllverbrennungsanlagen verbrannt."
"Die Scheiße kommt nie auf unsere Felder zurück"
Pflanzen entziehen dem Boden Nährstoffe. Mit unserer Nahrung nehmen wir sie auf und scheiden einen Großteil - meistens - in Wasserspültoiletten wieder aus. Mit dem Bau moderner Kläranlagen wurde der Nährstoffkreislauf unterbrochen.
Der ökologisch engagierte Künstler und Architekt Friedensreich Hundertwasser in seinem Manifest "Scheißkultur - Die heilige Scheiße" aus dem Jahr 1979:
"Die Scheiße kommt nie auf unsere Felder zurück,
auch nie dorthin, wo das Essen herkommt.
Der Kreislauf vom Essen zur Scheiße funktioniert.
Der Kreislauf von der Scheiße zum Essen ist unterbrochen."
Hundertwassers Feststellungen sind auch heute noch, über 40 Jahre später, aktuell.
Auf dem Versuchsacker wird erforscht, was passiert, wenn man Hundertwassers Manifest Taten folgen lässt.© Deutschlandradio / Anna Goretzki
Das Problem ist alt, die Bemühungen, großflächig und offiziell eine Nährstoff- und Sanitärwende einzuläuten, sind jung. Es sind zahlreiche Akteurinnen und Akteure in ganz Deutschland, die sich dafür einsetzen, dass wir den Umgang mit unseren Ausscheidungen überdenken. Und zwar, so sagen sie, weil es extrem schädlich für Umwelt und Klima sei, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Bei jedem Toilettengang spülen wir mit mindestens drei Litern Trinkwasser unsere Ausscheidungen weg. 40 Liter sind es durchschnittlich pro Einwohner – täglich. Und das in Zeiten, in denen Wasser immer knapper wird, auch hierzulande.
Das Abwasser mischt sich in der Kanalisation mit Regenwasser. Das Regenwasser transportiert Reifenabrieb, Schwermetalle und andere Schadstoffe. Mit hohem Energieaufwand müssen Kläranlagen diese Mischwasser reinigen.
Wertvolle Stoffe verschwinden in der Toilette
Akteurinnen, allen voran auch die Wissenschaftlerin Ariane Krause vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenanbau in Großbeeren, kämpfen für die Erneuerung unseres Sanitärsystems.
"Ein Systemwechsel geht dahin, sich anzuschauen, was sind die verschiedenen Abwasserströme, wo liegen welche Wertstoffe und Nährstoffe drin und die dann aufzufangen und gezielt zu behandeln und zu schauen, wie viel an Nährstoffen wir damit recyceln können und wie weit wir den Energieverbrauch reduzieren können. Und auch den Gebrauch an Frischwasser", erklärt sie.
"Wertstoffe und Nährstoffe auffangen" - damit meint Ariane Krause, Fäzes und Urin erst gar nicht die Toilette hinunterzuspülen, sondern getrennt voneinander aufzufangen, um dann die darin enthaltenen Nährstoffe zu recyceln. Sie ist auch im
Netzwerk für nachhaltige Sanitärsysteme e. V., kurz NetSan, aktiv. Ein Zusammenschluss von Menschen aus Wissenschaft, Forschung, von Start-ups, Unternehmen und Einzelpersonen, die sich für einen "nachhaltigen und klimaschonenden Umgang mit menschlichen Ressourcen" einsetzen.
Das Sanitärsystem grundlegend umgestalten
NetSan möchte unser Sanitärsystem grundlegend umgestalten. Und zwar mit Toiletten, die anders funktionieren. Ohne Wasserspülung und ohne Urin und Fäzes zu vermischen. Solche Trockentrenntoiletten, oft auch nur Trenntoiletten oder Kompostklos genannt, gibt es schon lange. Firmen wie beispielsweise Nowato, Kompotoi, Ökolocus oder Goldeimer bauen sie. Auch die Firma Finizio in Eberswalde.
Der Geschäftsführer Florian Augustin betritt über eine Rampe eine geräumige und helle Holzkabine: "Was hier eben besonders ist, ist, dass wir hier so eine Einstreuspülung installiert haben. Weil nach jedem Toilettengang eingestreut werden soll, um die Hinterlassenschaften abzudecken, also nach jedem großen Geschäft."
Augustin dreht an einem Edelstahlgriff. Eine Portion Strohmehl fällt in die Toilette. Das Toilettenhäuschen steht neben einem Spielplatz im Park am Weidendamm in Eberswalde. Einen Anschluss an die Kanalisation gab es hier nicht, auch deshalb war die Stadt leicht davon zu überzeugen, ein neuartiges Sanitärsystem zu installieren.
Florian Augustin sagt: "Das ist eine Trenntoilette. Das ist ein sehr unscheinbares Trennsystem. Viele denken sich, hier wird ja gar nicht getrennt, weil die Trennung quasi unsichtbar stattfindet in einem versteckten Ableitungsrohr."
Kot wird zu Humus
Das große Geschäft fällt in einen Feststoffbehälter, den Finizio regelmäßig abholt und leert. Die so gesammelten Fäkalien behandelt die Firma in ihrem "Humuswerk" weiter.
Auf einer betonierten Teilfläche des Recyclinghofs der Kreiswerke Barnim befindet sich eine Pilotanlage zur Herstellung von Humusdünger aus Inhalten von Trockentoiletten, "H.I.T." nennen sie den Dünger kurz und bündig. Florian Augustin steht in der Märzsonne und weist auf einen Edelstahl-Behälter ungefähr von der Größe eines Überseecontainers.
Wegen der Pandemie herrscht Flaute bei den Trenntoiletten: Finizio-Gründer und Geschäftsführer Florian Augustin (links) und Mitarbeiter Johannes Hölzel.© Deutschlandradio / Anna Goretzki
"Also das Ganze ist ja ein behälterbasiertes Sanitärsystem, wo eben auch die Behälterlogistik eine sehr wichtige Schlüsselfunktion trägt", erklärt er. "Und hier haben wir ein Konzept entwickelt, wie das Ganze so geruchsarm und effizient und auch hygienisch wie möglich zugehen kann. Also wir haben hier einen Container, in dem die Inhalte, also die Feststoffe aus den Trockentoiletten gesammelt werden und auch gleich im ersten Behandlungsschritt hygienisiert werden."
Im Moment ist der Container leer. Wegen der Pandemie waren alle Musikfestivals, die Finizio mit Trockentrenntoiletten ausstattet, abgesagt. Ohne Festivals keine Fäzes, so Augustin.
Mikroorganismen auf Hochtouren
"Also dieser Container hat ein Volumen von 30 Kubikmeter. Das besteht aus einem wärmeisolierten Edelstahl und am Boden dieses Containers ein Belüftungsrohr, an das ein Ventilator angeschlossen ist, der gerade mal 80 Watt an Strom braucht. Also das ist letztendlich wie zwei alte Haushaltsglühbirnen, die hier zur Belüftung dieser Biomasse eingesetzt werden", sagt er.
"Und dieser geringe Stromverbrauch an Belüftung reicht aber aus, dass die Mikroorganismen in diesem Container auf Hochtouren geraten und die Verdauung dieser Biomasse schon voranbringen und dabei Temperaturen bis zu 75 Grad Celsius entstehen und so Krankheitserreger im ersten Schritt auch schon inaktiviert werden."
Damit meint Florian Augustin Salmonellen, Kolibakterien, Clostridium perfringens, also ein stäbchenförmiges Bakterium, und Spulwurmeier.
"Wir haben Vorher-Nachher-Analysen gemacht, wo wir innerhalb von zehn Wochen von Entleerung der Behälter bis zum fertigen Humusdünger diese Indikator-Organismen unter jegliche hygienische Grenzwerte bringen", erklärt er. "Wir kommen so weit, dass Kolibakterien gar nicht mehr nachweisbar sind. Clostridium perfringens auch nicht mehr. Salmonellen auch nicht mehr, Spulwurmeier sind auch nicht mehr nachweisbar. Also das können wir auf jeden Fall mit diesem Verfahren sicherstellen."
Die Seuchenhygiene – ein Streitpunkt
Ein Pressesprecher des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit:
"Nach unserer Kenntnis werden diese schädlichen Bestandteile in der Trockentoilette aber auch in der Kompostierung nicht hinreichend abgetötet und abgebaut. Es besteht also die Gefahr, dass gesundheitsschädliche Mikroorganismen und Schadstoffe über den Boden in die Nahrungskette gelangen können. Eine wesentliche Voraussetzung für die Zulassung von Düngemitteln aus Abfällen, wie menschlichen Exkrementen, ist also, dass sie mit Blick auf die Seuchenhygiene und die Schadstoffbelastung nachweislich unbedenklich sind."
Der Landwirt und promovierte Bodenkundler Haiko Pieplow widerspricht:
"Wir wissen aus wissenschaftlichen Studien auch, dass Krankheitserreger nicht von Pflanzen aufgenommen werden. Sie finden sie nicht mehr in der Tomate wieder. Was Sie nicht dürfen, ist, Fäkalien unbehandelt über Lebensmittel sprühen. Dann haben sie natürlich eine Kontamination. Aber das sind die Fehler, die nach dem Krieg gemacht wurden, aus Unwissenheit, hinter denen sich heute Verwaltungen noch verstecken. Wir sind von den Erkenntnissen schon wesentlich weiter."
Bisher haben die wenigsten Kläranlagen in Deutschland eine weitergehende Reinigungsstufe, die auch Mikroplastik, Pharmaka, Krankheitserreger, Kosmetika, Pflanzenschutzmittel und Industriechemikalien filtern. Vieles davon findet sich dann im Klärschlamm wieder.
"Nein, eigentlich noch schlimmer," sagt Matthias Barjenbruch, Professor für Siedlungswasserwirtschaft an der TU Berlin, "der Rest gelangt dann in die Umwelt. Ein Teil geht auch in den Klärschlamm, das meiste geht ungefiltert in den Ablauf."
Die Sanitärwende will - auch darauf zielt das Projekt zirkulierBAR ab - dieser Umweltverschmutzung ein Ende bereiten. Mithilfe von unabhängigen Forschenden soll der Nachweis erbracht werden, dass menschliche Ausscheidungen, Fäzes und Urin, so hygienisiert und behandelt werden können, dass sie für Mensch und Umwelt keine Gefahr darstellen.
Menschliche Fäkalien nach geltendem Recht Abfall
Bislang unterliegen menschliche Fäkalien, die nicht mit Wasser vermischt wurden, dem Abfallrecht. Damit Fäkalien zu Dünger werden dürften, müssten sie erst einmal nicht mehr als Abfall deklariert werden, sagt die Rechtsanwältin Caroline Douhaire. Sie arbeitet in einer Berliner Kanzlei, die sich auf Umwelt- und Planungsrecht spezialisiert hat, und ist Expertin für Düngerecht und Düngemittelrecht.
"Damit menschliche Fäkalien als Dünger genutzt werden können, müssten diese in die Liste zugelassener Ausgangsstoffe aufgenommen werden", erklärt sie. "Da stehen sie ja derzeit nicht drin. Entweder in die Liste der nationalen Düngemittelverordnung oder die der europäischen Düngeproduktverordnung. Und Voraussetzung dafür ist wiederum, dass eben eine Nutzung zu Düngezwecken ohne Gefahren für die Umwelt oder für die menschliche und tierische Gesundheit überhaupt möglich ist. Das müsste man eben erst einmal sicherstellen, indem man entsprechende Sicherheitsanforderungen regelt."
In Deutschland regelt die Düngemittelverordnung, auf europäischer Ebene die Düngeproduktverordnung, welche Stoffe als Dünger aufs Feld dürfen. Beispielsweise tierische Exkremente in Form von Jauche, Gülle oder Festmist – auch Klärschlamm.
"Der darf zumindest heute noch unter bestimmten Bedingungen als Düngemittel verwendet werden", sagt Caroline Douhaire. "Menschliche Fäkalien, die nicht mit dem Abwasser vermischt werden, die also nicht im Klärschlamm landen, sondern die zum Beispiel in Kompost oder Trockentoiletten separat gesammelt werden, die sind gerade nicht in dieser Liste aufgeführt. Und das bedeutet eben, dass sie nicht zu Düngezwecken aufs Feld gebracht werden dürfen. Allgemein kann man sagen, dass die Nutzung von menschlichen Fäkalien als Dünger gesetzlich derzeit einfach nicht vorgesehen ist und deswegen mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten behaftet ist."
Fäzes: Risiko oder Ressource?
Verfahren, Krankheitskeime abzutöten oder Arzneimittelrückstände und Hormone aus menschlichen Ausscheidungen zu filtern, gibt es bereits.
Kai Udert forscht dazu und entwickelt an der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz in der Schweiz - kurz EAWAG - neue Technologien, um Ressourcen aus Abwasser zurückzugewinnen. Wenn Fäzes und Urin getrennt gesammelt werden, kann man sie einfacher behandeln und die Nährstoffe besser nutzbar machen, so der Umweltingenieur.
Denn mit dem Urin scheiden wir Medikamentenrückstände und Hormone aus, über die Fäzes vorrangig Krankheitserreger, so Udert:
"Diese Krankheitserreger, die zu den großen Seuchen im 19. Jahrhundert geführt haben, wieso man eigentlich diese Abwasserreinigung, so wie man sie heute kennt, eingeführt hat, die sind im Fäzes enthalten und diese kann man natürlich ganz gezielt behandeln. Die Frage ist immer: Sieht man Fäzes mehr als ein Risiko oder als eine Ressource. Beides ist möglich. Aber gerade heutzutage mit diesen verschiedenen Technologien, die wir haben, ist das sehr gut möglich, diese herauszuholen."
Nährstoffgewinnung aus Urin und Kot
Kai Udert meint damit die Risikostoffe und Krankheitserreger. An der EAWAG forschen sie zur Ressourcenrückgewinnung aus Urin wie auch aus Fäzes. Die wichtigsten Nährstoffe im Urin sind Stickstoff, Kalium, Phosphor und auch Schwefel. Mehr als die Hälfte des Phosphors wird mit dem Urin ausgeschieden.
Der Rest Phosphor befindet sich im Kot, außerdem Kalzium und Magnesium, so Kai Udert: "Wir haben einfach durch diese getrennte Behandlung und diese gezielte Behandlung der Ausscheidungen plötzlich so viele Optionen, um Nährstoffe zurückzugewinnen und sinnvoll anzuwenden."
Seit 2018 ist in der Schweiz ein aus Urin gewonnener Flüssigdünger zur Düngung von essbaren Pflanzen zugelassen, dessen Entwicklung Udert geleitet hat.
"Das ist eigentlich das Schöne an diesem neuen Verfahren, etwas, wo wir sonst immer in einer Lock-in-Situation sind. Durch diese sehr große Infrastruktur, die wir aufgebaut haben mit Kanalisation und riesigen Kläranlagen, das sind ja mit die größten Fabriken, die Städte haben, sind wir gefangen in einem System, das wir gar nicht mehr optimieren können, gemäß den Ansprüchen, die wir eigentlich heute haben an den Umweltschutz", sagt er.
"Es geht ja heute nicht nur darum, dass man die Umwelt schützt, sondern wir verstehen auch, dass wir Kreisläufe wieder schließen müssen. Sonst geht dieser ganze Umweltschutz gar nicht."
"Wir essen nicht das, was bei uns wächst"
Noch einmal der Künstler Friedensreich Hundertwasser:
"Wir essen nicht das, was bei uns wächst,
wir holen Essen von weit her, aus Afrika, Amerika,
China und Neuseeland.
Die Scheiße behalten wir nicht.
Unser Unrat, unser Abfall wird weit weggeschwemmt.
Wir vergiften damit Flüsse, Seen und Meere,
oder wir transportieren sie in hochkomplizierte teure Kläranlagen,
selten in zentralisierte Kompostierfabriken,
oder aber unser Abfall wird vernichtet."
Wenn die Nährstoffe, die wir ausscheiden, nicht zurück aufs Feld gelangen, müssen sie woanders herkommen, denn zum Wachsen brauchen Pflanzen Nährstoffe, die unersetzbar sind. Am meisten Phosphor und Stickstoff. Phosphor liefern beispielsweise tierische Ausscheidungen, die aufs Feld ausgebracht werden.
Alternativ setzen Landwirte synthetisch hergestellte Phosphor- oder sogenannte Mehrnährstoffdünger ein. Das dafür notwendige Phosphat lagert unter Tage. Hauptsächlich in Marokko, China, Ägypten, Algerien, Syrien und Brasilien. Dort wird es umweltbelastend und energieaufwendig abgebaut - und die Reserven sind endlich.
Phosphor ist endlich – und essenziell für unsere Ernährung
Das dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstehende Bundesinformationszentrum Landwirtschaft schreibt: "Bauen wir weiterhin so viel Phosphat ab wie heute, reichen die weltweiten Phosphatreserven verschiedenen Schätzungen zufolge noch etwa 300 Jahre."
Manche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sagen, dass sich die nicht-erneuerbare Ressource Phosphor schon in 50 bis 100 Jahren erschöpfen könnte - mit verheerenden Folgen für die Ernährung der Weltbevölkerung. Synthetisch kann Phosphor bisher nicht hergestellt werden.
Das Problem der Endlichkeit des Phosphors sieht auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und setzt auf die Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm und dessen Asche:
"Seit Inkrafttreten der neuen Klärschlammverordnung im Jahr 2017 konnte die Phosphorrückgewinnung wesentlich vorangetrieben werden. So hat eine großtechnische Anlage zur Phosphorrückgewinnung den Regelbetrieb aufgenommen. Weitere Demonstrationsanlagen sind im Bau oder in Planung. Eine mögliche bodenbezogene Verwertung von menschlichen Fäkalien wurde bislang nicht verfolgt."
Was halten die Menschen von Humusdünger aus Kot?
Vor allem aus seuchenhygienischen Bedenken. Die Akzeptanz einer Nutzung von menschlichen Fäkalien zu Düngezwecken könnte hoch sein - darauf lässt unsere nicht repräsentative Umfrage schließen.
Zwei von 20 zufällig befragten Menschen würden kein Gemüse essen, welches mit hygienisiertem Recyclingdünger aus menschlichem Kot gedüngt wurde:
"Ja, kann ich mir vorstellen. … Also ich weiß nicht, ob ich explizit drauf hingewiesen werden will."
"Ich glaube, ich hätte mehr Probleme damit, Lebensmittel zu essen, die Dünger bekommen haben, der chemischer Natur ist."
"Nee, also könnte ich mir gar nicht vorstellen. Ich weiß nicht, wenn man so an Fäkalien denkt und dann mit Essen zusammen."
"Ja, kann ich mir vorstellen - ist doch nichts anderes als der Mist von der Kuh oder vom Pferd."
"Nein, auf keinen Fall - aufgrund der Dinge, die Menschen so einnehmen an Medikamenten und so weiter an den Giftstoffen, das würde ich unbedingt ablehnen."
"Also sollte es tatsächlich der Umwelt und der Menschheit etwas bringen und dem Gesundheitswesen und Wirtschaft… ja!"
"Ist ja nichts Schlechtes dran, wenn man aus einem Abfallprodukt dann was Gutes macht."
Aber wie viel künstlicher Dünger könnte eigentlich ersetzt werden?
"Da gibt es eine Zahl, die sehr oft zitiert wird", erklärt die Expertin für zirkuläre Nahrungsmittelproduktion Ariane Krause.
"Die sagt, je nachdem, auf welchen Nährstoff wir schauen, ob Stickstoff oder Phosphor oder Kalium, können zwischen 17 und 25 Prozent des im Moment eingesetzten synthetischen Mineraldüngers ersetzt werden. Allerdings beinhaltet das, dass wirklich 100 Prozent der Fäkalien in Deutschland getrennt aufgefangen und zu Dünger veredelt werden. Das halte ich in der Perspektive zehn, 20 Jahre für sehr unrealistisch, aber durchaus eine Utopie oder eine Vision, die wir haben können als Wissenschaftler*innen, aber auch als Gesellschaft."
Ein Haus ohne Anschluss an die Kanalisation
Haiko Pieplow lebt diese Vision schon. Er ist Referent beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Die Haltung des Ministeriums zu Fragen der Nutzung von menschlichen Fäkalien als Dünger teilt er aber nicht.
Das Bio-Solar-Haus, in dem Bodenkundler Haiko Pieplow mit seiner Frau in Bernau lebt, hat keinen Anschluss an die Kanalisation.© Deutschlandradio / Anna Goretzki
Aus Überzeugung leitet er das Berliner Büro des Ithaka-Instituts, einem internationalen Netzwerk für Kohlenstoff-Strategien und Klimafarming, und lebt in Bernau mit seiner Frau in einem Bio-Solar-Haus ohne Anschluss an die Kanalisation.
"Ich bin hier auf meinem Grundstück nicht rechtswidrig, sondern ich habe mir tatsächlich eine abwasserlose Lösung geschafft, die nicht dem Anschluss- und Benutzerzwang unterliegt", erzählt er. "Also es gibt nichts, wo ich mich entledigen will oder entsorgen will. Es ist alles im Kreislauf. Ich brauche das alles im Garten."
Eine Pflanzenkläranlage reinigt das Abwasser. Fäzes kompostiert er und verwendet den Kompost anschließend als Pflanzendünger im Garten und Wintergarten. Möglich macht es die Trockentrenntoilette im Bad, zu der er führt: "Ganz normales Bad, fensterlos und man riecht keine Gerüche. Die Trockentrenntoilette ist permanent in Betrieb."
Noch einmal Friedensreich Hundertwasser:
"Die Humustoilette ist ein Statussymbol.
Wir haben das Privileg, Zeuge zu sein,
wie sich mithilfe unserer Weisheit
unserer eigener Abfall,
unsere eigene Scheiße in Humus umwandelt,
so, wie der Baum wächst und die Ernte reift.
Bei uns zu Hause, als wär’s unser eigener Sohn.
Homo - Humus - Humanitas,
drei Schicksalswörter gleichen Ursprungs.
Humus ist das wahre schwarze Gold."
"Geschäftsmodell" für unser tägliches Geschäft
Haiko Pieplow sagt: "Wir müssen dieses Wissen um die dunkle Materie, wie es so schön heißt, wieder zu einem intelligenten Geschäftsmodell entwickeln. Und dafür brauchen wir junge Leute, die Mut haben und die es auch gibt, die sich mit diesen neuen Geschäftsmodellen auseinandersetzen."
Enno Schröder von dem jungen Hamburger Start-up Goldeimer, das unter anderem Trockentrenntoiletten auf Festivals aufstellt und die so gesammelten Fäzes im Humuswerk von Finizio zu Humusdünger aufarbeiten lässt, sagt:
"Wir sind bereit und das gilt nicht nur für uns, sondern eben auch für alle anderen, die sich in der nachhaltigen Sanitärszene in den letzten Jahren so tummeln und da auch wirklich Innovation vorangetrieben haben. Wir sind bereit, verschiedenste Technologien anzuwenden, zum Beispiel, um aus Urin Arzneimittelrückstände oder andere Schadstoffe zu entfernen oder eben auch eine Hygienisierung durch eine thermophile Kompostierung zu gewährleisten. Aber das, was dem Ganzen halt im Wege steht, ist nicht die technische Innovation, sondern ist der politische oder regulatorische Rahmen."
Kreislaufsysteme der Umwelt zuliebe
Ein Pressesprecher des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit:
"Grundsätzlich leisten Kreislaufführungen einen Beitrag, um die gesetzten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Jedoch können und sollen nur solche Kreisläufe etabliert werden, von denen keine weiteren Gefahren ausgehen. Für das Beispiel der bodenbezogenen, landwirtschaftlichen Anwendung von oder mit menschlichen Exkrementen hergestellten Kompostdüngern trifft dies nicht zu. Hier sind nach derzeitigem Wissensstand erhebliche Gefahren zu befürchten. Daneben wären Untersuchungen der Düngewirkung dieser Kompostdünger in Bezug auf die verschiedenen landwirtschaftlichen Kulturen erforderlich."
"Man muss die Hygiene und die Krankheitserreger, man muss das ernst nehmen,", sagt Kai Udert, "aber die Technologie hat sich weiterentwickelt. Auch das Verständnis hat sich weiterentwickelt. Und wir sind heute so weit, dass wir Verfahren bauen können, die vor Ort die Ausscheidungen so behandeln können, dass sie wirklich kein Risiko mehr darstellen."
Die optimale Pflanzenernährung bestünde laut Ariane Krause in einer Kombination von Humusdünger aus menschlichen Fäzes und Flüssigdünger aus Urin. Die Leiterin des Projekts zirkulierBAR und ihre Mitstreiter warten im Moment auf den Bewilligungsbescheid durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ist der da, können sie in den nächsten drei Jahren eine Blaupause erarbeiten für eine technisch ausgefeilte Lösung für den Umgang mit unseren Ausscheidungen: von der Toilette über die Entsorgung bis zum Feld.
"Wir brauchen einfach mehr Klugscheißer"
Für Ariane Krause wäre das ein wichtiger Schritt, denn: "Ich will gerne in einer Gesellschaft leben, die schonender mit Ressourcen umgeht, die Böden so bewirtschaftet, dass sie langfristig nutzbar sind, dass wir die Bodenfruchtbarkeit pflegen, dass wir Bodendiversität nicht verlieren. Für mich steckt in diesem Ansatz, wie wir mit menschlichen Fäkalien umgehen, auch sehr viel, wie wir insgesamt als Menschen mit den Ressourcen umgehen und wirklich in so einer kleinen regionalen Kreislaufwirtschaft dann auch leben zu können. Und ich hoffe, dass wir eine gute Zusammenarbeit mit der Politik hinbekommen."
Sie wollen die Einstellung der Bevölkerung und der Politik zu einem neuen klimagerechten und umweltfreundlichen Umgang mit unseren Ausscheidungen erforschen - und für Akzeptanz werben. Dazu gehört auch: Die Qualitätssicherung standardisieren, um eine schadlose Schließung des Nährstoffkreislaufes zu ermöglichen. Denn ein anderer Vorteil wäre laut Ariane Krause: Humusdünger aus Fäzes erhöht die Bodenfruchtbarkeit, macht den Boden klimafit. Je humushaltiger der Boden, desto besser seine Wasserspeicherfähigkeit.
"Wir brauchen einfach mehr Klugscheißer", sagt der Bodenkundler Haiko Pieplow. "Der Begriff des Klugscheißers muss wieder neu definiert werden. Die Zukunft haben die Trockentrenntoiletten, Sammelsysteme, wie wir es einfach von der Müllabfuhr kennen, wo also der Wertstoff Urin und der Wertstoff Fäkalien mit abtransportiert werden und dann von kompetenten Unternehmen regional wieder zu Dünger und Humus umgewandelt werden, der dann in der regionalen Landwirtschaft wieder zum Einsatz kommt."
Es sprechen: Winnie Böwe, Thomas Holländer, Alexander Ebeert
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Technik: Hermann Leppich
Redaktion: Carsten Burtke