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WG-Probleme, Kochkünste und Sehnsüchte

Szene aus dem Film "Wir sind die Neuen"
Szene aus dem Film "Wir sind die Neuen" © dpa / picture alliance / X-Verleih
Von Hartwig Tegeler |
Fünf Filme, ein Ranking - und eine Antwort auf die Frage, ob es sich lohnt, diese Filme anzuschauen. Auf den vorderen Plätzen geht's französisch zu.
Platz 5: WIR SIND DIE NEUEN von Ralf Westhoff
"Okay, fangen wir an. - Probeaufnahme 'Louis' 'Täter', die Erste. - Sie haben nicht 'Action' gesagt. - Also gut, ich sage 'Action. Action!!!"
"Kann ich hier unten schlafen, während ihr euch einfach weiter in der Küche unterhaltet. - Näh! - Is hier, oder? Hey, ich habe nur ein Bett. Der hat sich in mein Bett gelegt. - Also, wenn die alle so sind, krieg ich langsam Angst um meine Rente."
Ralf Westhoffs Geschichte über die Frau und die zwei Männer um die 60 in einer WG, die als Nachbarn eine spießige WG junger Leute bekommen, ist ziemlich genaues Zeitbild und dabei wunderbar gespielt von den "Alten": Gisela Schneeberger, Michael Wittenborn und Heiner Lauterbach.
Platz 4: CAN A SONG SAVE YOUR LIVE? von John Carney
"Bin vor einem Jahr zu Hause ausgezogen, habe mich volllaufen lassen, und dann habe ich deinen Song gehört. Wollen wir ein Bier trinken? - Ja."
Engländerin in New York. Singt in einem Club. Musikproduzent - auch nicht gerade auf der Höhe seiner Zeit - hört Song und rettet sich und die einsame Sängerin. Keira Knightley und Mark Ruffalo. John Carney, der schon vor acht Jahren - mit seinem Film ONCE - das Hohelied auf die Kraft der Songs sang, entfaltet in seinem Film erneut die Magie der Musik.
Das funktioniert, auch wenn die tolle Schauspielerin Keira Knightley keine begnadete Sängerin ist, aber eine tolle Musikerin spielen kann. Nach CAN A SONG SAVE YOUR LIFE? gerne die verstaubte Gitarre aus dem Schrank holen, denn der Originaltitel des Film lautet immerhin BEGIN AGAIN.
Platz 3: MR. MAY UND DAS FLÜSTERN DER EWIGKEIT von Uberto Pasolini
"London, Bezirksamt Kensington, Kundenservice. John May am Apparat."
Uberto Pasolini hat einen gemeinen dramaturgischen Trick: Den ganzen Film über verzieht John May - Eddie Marsan -, der Beamte der Londoner Sozialbehörde keine Miene, wenn er Menschen zu Grabe trägt, die einsam gestorben sind. Mr. May tut dies voller Mitgefühl, während ihm sein Vorgesetzter im Nacken sitzt, der das Credo einer neoliberalen Welt rausbläht.
"Ich denke, für die Lebenden ist es vielleicht besser, nichts davon zu wissen. Also keine Beerdigungen, keine Trauer, keine Tränen."
Mr. May verliert seinen Job, aber bei seinem letzten Fall trifft er die Tochter des Verstorbenen und lächelt. Eddie Marsan fängt an zu lächeln, hat keinen Job mehr, aber lächelt auf einmal. Ein wuchtiges Kinobild, das einen Moment des Widerstands zeigt gegen die gesellschaftliche Eiseskälte.
Platz 2: MADAME MALLORY UND DER DUFT VON CURRY von Lasse Hallström
"Madame Mallory sagt, wenn sich jemand bei ihr um einen Job bewirbt, dann gibt es kein Vorstellungsgespräch."
"Sie lässt sich einfach ein Omelett machen. Sie nimmt nur einen Bissen, und dann lässt sie ihren Gaumen entscheiden."
Könnte man nun Lasse Hallströms Film MADAME MALLORY UND DER DUFT VON CURRY mit den Geschmacksnerven erfassen, würde man einen Zuckerschock bekommen bei diesem indisch-französischen Küchen-Kulturkampf. Ich empfehle zum Geschmacksausgleich den Griff ins DVD-Regal zu Marco Ferreris Film DAS GROSSE FRESSEN von 1973. Da geht´s schmutzig, versaut, verfressen und böse zu. Gutes Rezept gegen zu viel Lasse Hallström.
Platz 1: MONSIEUR CLAUDE UND SEINE TÖCHTER von Philippe des Chauveron
Monsieur Claude hat schon drei mit einem Araber, Juden und Chinesen verheiratete Töchter. Nummer Vier will nun einen Schwarzen heiraten. Aber der ist ein echter Witzbold, oder?
"Glücklicherweise haben sie nicht fünf Töchter. - Warum? - Die fünfte hätte wohl einen Roma geheiratet."
MONSIEUR CLAUDE UND SEINE TÖCHTER hat in Deutschland die 2 Millionen-Besucher-Marke geknackt. Ein enormer Erfolg, der natürlich zur Frage führt, warum eine französische Sozialkomödie, die den latenten Rassismus einer Gesellschaft in perfekter Inszenierung quasi "weglacht", so erfolgreich ist? Vielleicht, weil die Menschen ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Harmonie haben. Keine Multikulti-Utopie, sondern den Wunsch, dass alles gut wird. Ob diese Feel-Good-Sehnsucht Basis für ein Zusammenleben sein kann? Im Kino, klar.
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