Fehlentscheidungen inbegriffen

Ein brutales Foul, ein aberkanntes Tor, ein Handelfmeter, der keiner war - es sind keine guten Wochen für Schiedsrichter. Hellmut Krug, Leiter des Schiedsrichterwesens, nimmt den Unparteiischen beim Derby Leverkusen gegen Köln unter die Lupe.
Über die Pressetribüne ganz oben in der der Bay Arena weht ein kalter Wind. "Das ist der Preis für den guten Überblick", witzelt Hellmut Krug und hüllt sich in Steppmantel und Wollmütze. Der gebürtige Gelsenkirchener leitet nach zwanzig Jahren an der Pfeife mit zwei Kollegen das Schiedsrichterwesen im deutschen Profifußball. Heute ist er als Schiedsrichterbeobachter unterwegs. Krug kommt gerade aus der Kabine, von der Vorbesprechung mit Thorsten Kinhöfer, dem Unparteiischen. Gerne hätte man da Mäuschen gespielt.
"Das ist eine rein interne Sache, die der Einstimmung dient und der Bewusstmachung von möglicherweise bestehenden oder aufkommenden Problemen. Das ist nichts für die Öffentlichkeit."
Es sind keine guten Wochen für die Schiedsrichter. Das brutale Foul an Marco Reus, das aberkannte Dortmunder Tor in Paderborn am vergangenen Spieltag. Und ein Handelfmeter in Stuttgart, der keiner war. Gepfiffen von: Thorsten Kinhöfer. Hellmut Krug klappt den Arbeitstisch runter und legt Schreibblock und Stift bereit. Er wird die heutige Leistung von Kinhöfer beurteilen. Die Anwendung der Regeln, die individuellen Strafen, das Stellungsspiel, die Zusammenarbeit mit den Assistenten an der Linie. Seinen Bericht kann Kinhöfer am Donnerstag nach dem Spiel online abrufen, mit den wichtigsten Szenen und der Bewertung auf einer Skala von der sehr guten 10 bis runter zur 1.
"In einem Notenbereich von eins bis zehn findet eigentlich nur einen Staffelung zwischen 7 und 9 statt, drunter ganz selten, drüber ganz selten. Es gibt einen Notendurchschnitt, der liegt zwischen 8,4 und 8,5."
Das Spiel hat begonnen. Leverkusen ganz in Rot, Köln in ungewohntem Hellblau. Schon nach vier Minuten der erste Aufreger.
Schiedsrichterentscheidung aus 50 Metern Entfernung
Nach einer simplen Ballstafette kommt Kölns Kapitän Matthias Lehmann im Strafraum zu Fall, umgerissen von Leverkusens Torwart Bernd. Thorsten Kinhöfer hat die Situation leicht versetzt von hinten gesehen. Er gibt Elfmeter und zeigt Leno die gelbe Karte. Der Gefoulte läuft an...
... 1:0 für die Gäste. Lehmann hat den Ball in die von ihm aus gesehen rechte Ecke geschoben, während sich Leno für die andere entschieden hatte.
Nach 15 Minuten ein Befreiungsschlag der Kölner, weit in die gegnerische Hälfte. Stürmer Anthony Ujah setzt nach, spitzelt den Ball an Leno vorbei – und fällt über den Torwart.
Kein Elfmeter entscheidet Thorsten Kinhöfer – aus 50 Metern Entfernung. Der Konter hat ihn in der Vorwärtsbewegung überrascht. Vielleicht war Ujahs Flugeinlage ein bisschen zu spektakulär.
Es ist ein zähes Spiel. Köln verbarrikadiert sich am eigenen Strafraum, die Gastgeber finden keine Lücken. Bis zur 26. Minute. Hakan Calhanoglu, Leverkusens Nummer 10, jagt einen Freistoß über die Mauer. Kölns Keeper Timo Horn lässt abprallen – und Nationalspieler Karim Bellarabi hämmert den Ball ins Netz.
Der Ausgleich. Das war’s aus einer ersten Halbzeit, die fußballerisch nicht viel geboten hat. Aber da waren ja noch die Elfmetersituationen. Hellmut Krug schaut sich die Szenen auf dem Bildschirm der ARD an. Die erste ist klar. Aber die zweite...
"Leno geht wieder sehr ungestüm raus. Etwas, was stutzig macht an der Situation, ist, dass Ujah den Ball noch schnell nach rechts legte, um dann abzuheben. Dann gibt’s aber einen Kontakt zum Torhüter – eine ganz, ganz schwierige Situation. Ich bin sehr unschlüssig an der Stelle."
Krug hat auch gesehen, dass der Assistent in der Leverkusener Hälfte auf Ballhöhe war. Das gesamte Schiedsrichtergespann ist über Funk miteinander verbunden. Wie hat der Assistent die Szene gesehen, was hat er Kinhöfer mitgeteilt?
"Wir werden uns die Szene noch einmal in Ruhe in der Kabine ansehen. Ich möchte auch hören, was der Schiedsrichter dazu sagt, was er gesehen hat. Dann werden wir sicher ein Urteil fällen am Ende des Tages."
Kein Kommentar zum übersehenen Foul
Die Geschichte der zweiten Halbzeit ist schnell erzählt. Nach 60 Minuten spitzelt Canhanoglu einen Freistoß in den Winkel.
Damit ist das Spiel entschieden. Köln muss den Abwehrriegel lockern und wird ausgekontert. 5:1 gewinnt Leverkusen.
Nach dem Schlusspfiff verschwindet Hellmut Krug zur Besprechung in der Schiedsrichterkabine. In der Mixed Zone drängen sich Reporter um Kölns Trainer Peter Stöger.
"Also, so wie ich es gesehen habe, sollte es normalerweise keine zwei Meinungen geben zu dieser Situation. Ich meine, mit 0:2, einem möglichen 0:2 und mit Sicherheit 10 gegen 11 wäre es ein Stück weit einfacher gewesen für uns."
Auch Hellmut Krug schließt sich dieser Sichtweise an, als er ein paar Minuten später aus der Schiedsrichterkabine zurückkehrt.
"Was ich schon vor den Tribüne vermutete hatte, hat sich bewahrheitet: Es handelte sich da tatsächlich um ein Foul von Leno an Ujah und es hätte einen zweiten Strafstoß geben müssen. Thorsten stand halt unheimlich weit weg vom Geschehen, hat auch gezögert und gezaudert einen Moment."
Und weil auch der Assistent an der Linie nicht habe erkennen können, dass Leno Ujah tatsächlich berührt hat, ist der Elfmeterpfiff ausgeblieben. Natürlich hätte man das gerne von Thorsten Kinhöfer selbst gehört, aber der Schiedsrichter möchte lieber nichts sagen.
"Weil ein Thorsten Kinhöfer jetzt komplett bedient ist. Der möchte jetzt einfach seine Ruhe haben, der möchte nach Hause. das kann sich keiner vorstellen, der nicht in der Materie steckt, wie sehr ein Schiedsrichter jetzt damit zu kämpfen hat, wie sehr ihn das beschäftigen wird."