Produktiver Kulturperformer

Von Andi Hörmann · 22.02.2012
Thomas Meinecke ist eigentlich Urgestein der deutschen Popkultur: Anfang der 80er-Jahre gab er in München die heute legendäre Avangarde-Zeitschrift "Mode & Verzweiflung" heraus. Mit seiner Band F.S.K. ist er seit über 30 Jahren aktiv. Und "Lookalikes" ist sein mittlerweile sechster Roman.
Pfeifender Wind und Schneeverwehungen in den Winternächten. Schafweiden mit klingenden Glöckchen an Sommertagen. In der Übergangszeit: Das Trällern der Vögel.

Lose Baumgruppen formen sich zu einem Hain, Häuser zu einem Weiler. Hügelig ist das voralpine Oberbayern um den Ort Berg - ein Dorf mit etwa 100 Einwohnern.

"Ich mag die Alpen. Ich mag die Landschaft hier. Ich gehe auch Ski fahren. Ich gehe auch im See schwimmen. Aber das hat alles nichts damit zu tun, dass das, was mich wirklich interessiert, alles Themen sind, die aus der Stadt kommen."

Thomas Meinecke ist in Hamburg geboren. 1977 kommt er zum Literaturstudium nach München. Auf dem Land lebt er seit 1994 mit seiner Frau, der bildenden Künstlerin Michaela Melián. Eine halbe Autostunde von München entfernt, zwischen Starnberger See und Loisachtal.

Ein etwa 200 Jahre altes Bauernhaus mit Holzveranda und niedrigen, weiß gestrichenen Zimmerdecken: Die Arbeitsräume im Erdgeschoss waren mal ein Kuhstall. Heute stapeln sich hier Pappschachteln voller CDs. In den Holzregalen: Vinyl. Ein Musikarchiv führt wie ein dunkler Gang, Schritt für Schritt, in das fensterhelle Arbeitszimmer. Tausende von Tonträger sind alphabetisch geordnet: C, D, E. F, wie F.S.K. Die Band von Thomas Meinecke.

"Ne, die stehen da nicht. Meine Bücher stehen auch nicht in meinem Bücherregal. Es gibt so auf dem Dachboden und im Keller Belegexemplare der F.S.K.-Platten und meiner Bücher."

Musiker und Journalist, Schriftsteller und DJ: Im Schaffen von Thomas Meinecke ist das Performative, die Aufführung, Dreh- und Angelpunkt:

Thomas Meinecke legt in Clubs Platten auf:

Er liest aus seinen Büchern:

"Justin Timberlake hängt seine Film-Stills auf und stört sich ein bisschen an der fetthaltigen Abluft einer großgastronomischen Friteuse..."

Singt literarische Texte:

"Ja, wer hätte denn gedacht, dass die Berge so erotisch sind Bevor Dr. Arnold Fanck den Bergfilm erfand"

Und seit mehr als 30 Jahren nimmt Thomas Meinecke mit seiner Band F.S.K. Musik auf.

Das etwa 15 Quadratmeter große Arbeitszimmer ist überladen, aber aufgeräumt. Ein kitschiger Kronleuchter mit geschliffenen Glassteinen hängt von der Decke. Der legendäre 1210er-Plattenspieler thront über einem Röhrenverstärker mit goldenen Drehknöpfen. An der Wand: Veranstaltungsplakate. Foucault-Tagung mit der feministischen Philosophin Judith Butler, Poetik-Dozentur in Frankfurt am Main. "Mode & Verzweiflung" steht auf einem schwarz-weißen Poster. Das Motiv: Eine Frau mit Bob-Haarschnitt, die sich ihr weißes T-Shirt in den Schoß zieht.

"'Mode & Verzweiflung' war eine Zeitschrift, die ich mit Freunden 1978 gegründet habe. Damit geht diese Angeber-Wand los. Das sind einfach Plakate, wo ich es schön fand, dass man das gemacht hat. Aber eigentlich müsste da ein Vorhang davor sein, den man sich nur selber ab und zu aufmacht, weil es mir selber auch immer ein bisschen peinlich ist."

Die zwei Deckenbalken über dem Schreibtisch sind zur Pinnwand umfunktioniert. Hier hängen Relikte aus der Vergangenheit. Bierdeckel, Bildchen, eine von der Sonne zerflossene Musikkassette - jede Menge bunter Popkultur-Nippes:

"Hier ist ein Aufkleber von den Master-Tapes der Neptunes. Das Studio in Virginia Beach, wo sie angefangen haben, die Neptunes, mit Kelis, zu produzieren. Das habe ich mal besichtigt. Und der andere Balken ist aber der sogenannte katholische Balken. Da ist so leicht voodoofiziertes, katholisches Zeugs dran. Teilweise aus so Übergangsreligionen aus der Karibik, aber auch Papstbildchen und eher so religiöser Kitsch."

"Die Widersprüche, die der Katholizismus auch bereithält, sind irgendwie auch ähnlich wie das, was ich an dieser ganzen Gegend und an den Leuten in Oberbayern auch so mag. So eine Art produktiver Umgang mit Widersprüchen. Das gefällt mir auch an dem, was ich sehe, wenn ich hier aus dem Fenster kucke: so eine relativ bukolische, liebliche Landschaft, in der die verrückten Märchenkönige rum regiert haben. Und wenn man da nach Westen raus kuckt, sieht man da hinten so ein Haus in dieser Baumgruppe, also einen Kilometer westlich von hier, in dem so konstituierende Treffen der Kommune 1 waren. Es gibt auch Fotos von Uschi Obermaier, die da im Garten mit nacktem Oberkörper auf Trommeln schlägt. Also es gab immer in dieser Gegend das Andere auch."

Das Andere, das Fremde im Vertrauten. Im Erdgeschoss: der alte Kuhstall als Arbeitsraum. Im ersten Stock: der ehemalige Heustadel als Wohnraum. Dazwischen durchdringt der forschende Blick von Thomas Meinecke aus einer katholisch geprägten Ländlichkeit das Städtische - die urbane Popkultur. Das Wohnen auf dem Dorf ist für ihn weniger Landflucht als vielmehr produktiver Raum für das Heranzoomen von Modephänomenen der Stadt. Das Kleinkarierte gibt es höchstens in seinen offen getragenen Oberhemden.

"Mode hat mich immer total interessiert. Große Karos, kleine Karos - muss man sehen wie sie kommen. Es liegt natürlich auch immer in der Luft. Man kann es vielleicht auch hier erschnuppern, wenn man das Fenster aufmacht: Wann kommt wohl die Schlaghose wieder, oder so? Aber irgendwie interessiert mich das brennend. Die ganze Zeit."

Thomas Meinecke schreibt keine Literatur über Popphänomene, sondern Literatur, die wie Pop funktioniert. Auch seine Texte sind Performance. Immer wieder fällt der Vergleich zu Sample, Remix, oder gar DJ-Set. Alles ist Teil eines Referenzsystems. So wie sich bei Thomas Meinecke das Dorf zur Stadt bezieht - und umgekehrt.

"Ich bin einfach vielleicht nirgendwo so richtig eingepflanzt worden. Also wie gesagt: von null bis drei Hamburg, dann von drei bis elf Heidelberg, dann noch mal von elf bis 21 Hamburg und jetzt schon von 21 bis 56 Oberbayern. Das hat jetzt eher dazu geführt, dass ich mich hier total heimisch fühle. Hier gibt es auch einen hübschen, kleinen Friedhof, über den man so laufen kann und sich vorstellen kann: Ja, eigentlich nicht schlecht, wenn man da mal liegt."

Service:
Wer Thomas Meinecke live erleben will: Am Donnerstag, den 23. Februar 2012 liest er in Köln um 21 Uhr in der King-Georg-Klub-Bar aus seinem Roman "Lookalikes" – und legt anschließend noch Platten auf.
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