„Private Show“: Patrick Angus im Kunstmuseum Stuttgart

Männer schauen Männer an

Patrick Angus, Reclining Nude Darien, 1989
Patrick Angus, Reclining Nude Darien, 1989 © Kunstmusem Stuttgart
Von Johannes Halder |
Als der „Toulouse-Lautrec vom Times Square“ wurde er bekannt. Patrick Angus war der Chronist des schwulen Lebens im New York der 1980er-Jahre. Das Kunstmuseum Stuttgart widmet dem amerikanischen Maler nun in eine großartige Einzelausstellung.
New York, in einem Schwulenclub 1984. Auf der Bühne lässt ein junger Mann die Hosen runter, im kalten Kegel des Schweinwerferlichts entblößt er seinen Rücken. Im Publikum stehen und sitzen Männer, rauchen und starren ins schummrige Halbdunkel, einer fasst sich ans Geschlecht.
"Boys do fall in Love", heißt das Bild, das Patrick Angus damals gemalt hat. Soll heißen: Natürlich gibt es das, dass Männer Männer lieben. Und Patrick Angus hat sie gemalt: junge Männer in Clubs und Hotelzimmern, in Sexkinos und Kneipen, ihre nackten Körper unter der Dusche, in der Sauna, beim Sex auf dem Bett.
Es sind historische Bilder, die Clubs gibt es so nicht mehr. Nach der verheerenden Aids-Epidemie mussten sie schließen, heute gibt es andere; und das, was Angus damals malte, war eine verborgene, tabuisierte Welt, sagt die Kuratorin Ulrike Groos:
"In New York war es ja so, dass in den Clubs, wo er sich hauptsächlich auch aufgehalten hat, es verboten war, zu fotografieren. Das heißt, er hat vieles aus der Erinnerung festgehalten, erst als Zeichnung oder direkt als Gemälde dann umgesetzt. Er hat eine Bildwelt gezeigt, öffentlich gemacht, die so sonst überhaupt nicht bekannt war."

Die Revolte in der Christopher Street - ein Wendepunkt

Man erinnert sich. 1969 gab es die Revolte in der New Yorker Szene-Bar Stonewall in der Christopher Street. Die drangsalierten Schwulen wehrten sich gewaltsam gegen die permanenten Razzien und Verhaftungen durch die Polizei. Ein Wendepunkt.
"Schwule Männer sehnen sich danach, sich selbst zu sehen, und tun es nur selten", sagte Angus. "Offensichtlich müssen wir uns selbst darstellen. Und das sind meine Bilder."
Manchmal sind diese Bilder ziemlich explizit. Männer lieben Männer, Männer schauen Männer an, in der Wohnung des Künstlers am Kamin, am Strand, im Park; junge Männer, die sich anbieten und posieren, und alte Männer, die starren, gieren, hoffen.
Auch wenn der Maler in einem frühen abstrakten Bild mal Glitter in die Farbe mischt – seine Bilder haben nichts Tuntenhaftes oder Schmuddeliges, sondern zeigen Schwulsein als Selbstverständlichkeit.
"Wie Schwule leben, lieben, was ihre Sehnsüchte sind, was auch ihre Enttäuschungen sind, zum Beispiel zeigt er ja ganz genau, wie solche Kontaktaufnahmen stattgefunden haben zwischen Strichern und zwischen den Kunden. Auch diese Enttäuschungen, die damit verbinden sind, auch diese Sehnsüchte, auch diese Melancholie, die über diesen Bildern hängt, die natürlich zeigt, dass das auch ein schwieriges Leben gewesen ist."
Schwierig auch für den Maler selbst.

David Hockney als großes Vorbild

"Es gab ja damals zum Beispiel auch diesen Skandal, als er Anfang der 90er Jahre in Santa Barbara eine Ausstellung zeigen wollte in einer Galerie, und man dort dann eine Trennwand eingerichtet hat, um diese dezidiert auch sexuellen Szenen eben nicht der Öffentlichkeit zu zeigen. Und da hat er sich vehement dagegen gewehrt und hat gesagt: Das ist unser Leben und ich möchte, dass dieses Leben mit allem, was dazugehört, bekannt wird."
Angus war damit nicht allein. Auch der 16 Jahre ältere David Hockney hat seine Homosexualität gelegentlich zum Thema gemacht, wenn auch wesentlich subtiler. Hockney ist überhaupt sein großes Vorbild, viele seiner Zeichnungen und Gemälde sehen denen Hockneys zum Verwechseln ähnlich. Und dass Hockney einst sechs Arbeiten von ihm erworben hat, ist ein Kompliment an einen Epigonen, der ihm durchaus ebenbürtig ist. Auf einer Zeichnung von 1979 taucht er sogar auf, wie er dem Jüngeren die Hand schüttelt.
Angus feiert nicht so sehr die Schönheit des männlichen Körpers, er verbindet mit seinen Milieustudien auch ein gesellschaftliches Anliegen.
"Es sind schon auch schöne Körper, aber es ist natürlich auch häufig der Kontrast, der ihm wichtig ist zwischen diesen Strichern, die sich ja auch sehr aufreizend präsentiert haben, und dann den Freiern, die ja teilweise in Anzug mit Bauch, auch sehr unattraktiv dargestellt werden, und natürlich auch diese Gegensätzlichkeit zeigen."

Porträts von überwältigender Schönheit

Angus‘ Malerei ist manchmal eine Spur zu ruppig, rau und expressiv, doch in der lakonischen Art, wie er seine Motive setzt, eine reine Augenweide. Seine Serien von wunderbaren, farbstarken Landschaften und seine zahlreichen Porträts sind von überwältigender Schönheit.
"Er war wirklich ein klassischer Porträtist. Also er hat sehr stark am lebenden Modell gearbeitet, Aktstudien auch betrieben und man sieht diese große Könnerschaft in diesen Arbeiten."
Die Stuttgarter Schau ist sehr einfühlsam inszeniert. Niemand wird hier überrumpelt, die Bilderfolge baut in den beiden ersten Etagen geschickt eine erotisch aufgeladene Spannung auf – das Vorspiel sozusagen –, und erst ganz oben kommt der Höhepunkt. Dort, in intimer Atmosphäre vor dunkelvioletten Wänden, sehen wir dann auf den Bildern das, was der Titel ganz ohne Peinlichkeit verspricht: eine "Private Show" – eine Privatvorstellung.

Die Ausstellung "Patrick Angus – Private Show" ist im Kunstmuseum Stuttgart bis zum 8. April 2018 zu sehen.

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