Prager Begegnungen

Blick vom Altstädter Brückenturm bei Sonnenuntergang über die Karlsbrücke auf die Prager Kleinseite mit der Prager Burg und dem Veitsdom
Prag bei Sonnenuntergang mit Blick vom Altstädter Brückenturm © picture alliance / ZB / Sebastian Kahnert
Mit Ricarda Junge und Anna Zonová · 30.11.2014
Zwei Autorinnen schreiben über den Nachklang von Geschichte.
Nach dem Berliner Mauerfall läuteten am 17. November 1989 Prager Studenten mit einem Protestmarsch die politische Wende in der Tschechoslowakei ein. Auf das brutale Vorgehen von Polizisten reagierten landesweit Tausende Tschechen und Slowaken mit Sympathiebekundungen. Sie klimperten mit ihren Schlüsseln als Zeichen an die Mächtigen, endlich nach Hause zu gehen.
Der blutige Auftakt ging über in jene "Samtene Revolution", ein neuer Wind wehte durch die Gassen der goldenen Stadt, brachte Farbe und neue Töne in die Politik. Symbolfigur dieser Zeit wurde Vâclav Havel. Nach politischen Statements und publizistischen Debatten, kamen auch die Bücher von Dissidenten und Reformkommunisten in den Handel, wurden Autoren wie Bohumil Hrabal, Pavel Kohout, Milan Kundera neu entdeckt. Auch jüngere Autoren beschäftigten sich literarisch mit den realsozialistischen Zeiten, mit Tabuthemen wie dem Prager Frühling, Exil, Vertreibung, das bizarre deutsch-jüdisch-tschechische Verhältnis.
Anna Zonová war 1989 Mitte zwanzig. Die Ausstellungskuratorin und Schriftstellerin erzählt in ihrem Roman "Zur Strafe und als Belohnung" von der Neubesiedlung der Sudeten 1945, nachdem die deutsche Bevölkerung vertrieben worden war. Hier treffen Nachkriegsschicksale aufeinander: aus Prag in die Provinz Verbannte, einfache Bauern aus Ruthenien, Kriminelle, aber auch Familien, die dem neuen Staat loyal gegenüberstehen. Zu Hause fühlt sich niemand, zu desperat ist die neue Gesellschaft, zu stark die Erinnerung an die Vertriebenen.
Die Zeit des Eisernen Vorhangs quer durch Europa drängt sich auch in die heile Welt von Ricarda Junges gerade erschienene Coming-Of-Age-Geschichte. Zu den beschwiegenen Familienerinnerungen gehört eine Leerstelle, jener Großvater, der nach der Flucht aus der DDR verschwand. Ungewöhnliche Verhältnisse und Geschichten, die das Leben in Europas Mitte prägen.
Moderation: Sigried Wesener