Kinokrise am Potsdamer Platz

Bonjour Tristesse

05:34 Minuten
Der sogenannte "Walk of Fame" in der Potsdamer Straße mit Blick auf den Potsdamer Platz in Berlin währen der Corona-Pandemie.
Für viele der Höhepunkt des Kinojahres: Hier flanieren im Februar Abertausende Filmfans während der Berlinale lang. © imago images / STPP / papp
Von Christian Berndt · 12.11.2022
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Um die Jahrtausendwende sollte der Potsdamer Platz einmal Hotspot der Kinokultur werden. Alljährlich zur Berlinale geht der Plan auf. Doch immer mehr Kino-Institutionen ziehen weg. Das stellt auch die Berlinale vor Probleme.
Zum ersten Mal fand die Berlinale im Februar 2000 am Potsdamer Platz statt, dem neuen Zentrum der Hauptstadt. Damals boomte das Kinogeschäft. Gleich mehrere Multiplex-Kinos eröffneten dort, wo nach der Wiedervereinigung die alte Mitte Berlins wieder zur neuen geworden war.
In den damaligen Pressekommentaren spürt man viel Begeisterung: „Wir haben uns, glaube ich, alle sehr auf den Potsdamer Platz gefreut, als es so weit war", sagt etwas Stefanie Schulte Strathaus, künstlerische Leiterin des Instituts für Film und Videokunst Arsenal. "Dass man dann wirklich, gerade im Winter bei schlechtem Wetter, einfach über die Straße gehen kann, das war natürlich schon eine Freude.“

Gebiet ist außerhalb der Berlinale nichts für Kinoabende

Vor dem Berlinale-Umzug waren die Festival-Kinos um den Kurfürstendamm verteilt. Auch das Arsenal zog im Jahr 2000 an den Potsdamer Platz – ins neue, zentrale Filmhaus. In drei Jahren wird das Arsenal allerdings in den Berliner Wedding weiterziehen, weil die Miete zu teuer wird. Für Schulte Strathaus kein Grund zur Traurigkeit:
„Wenn wir dann wegziehen, waren wir da 25 Jahre und hatten von Anfang an Probleme mit dem Platz, dass er sich nicht wirklich eignet für Kinobesuche, Kinoabende außerhalb der Berlinale. Also für die Berlinale war es wunderbar, sehr zentral, aber die Umgebung ist eine, die ansonsten wenig Kneipen oder Kulturleben bietet. Das Gebäude war auch nicht perfekt für die Nutzung eines Filmhauses, es gab ja mal andere Pläne.“

Räume sind nicht ideal für ein Museum

Vor dem Mauerfall sollte ein zentrales Filmhaus mit Arsenal, Deutscher Kinemathek und der Deutschen Film- und Fernsehakademie in damaliger Randlage an der Mauer gebaut werden. Nach 1989 erwarb der Sony-Konzern dieses Areal am Potsdamer Platz mit der Auflage, ein Filmhaus im neuen Sony Center zu errichten. Auch für die Deutsche Kinemathek, die dort im Jahr 2000 mit einzog, war der Bürokomplex nicht ideal, so deren Künstlerischer Direktor, Rainer Rother: 
„Wir haben geringe Raumhöhen, jeder, der sich mit Museen ein bisschen auskennt, weiß, dass das die Präsentationsmöglichkeiten arg beschränkt, und dann teilen die Fahrstühle die Ausstellungsräume. Und als Letztes: Wenn man in ein Gebäude zieht und das ist ein Museum, dann weiß die Bevölkerung, da ist ein Museum. Bei uns wissen selbst manche Berliner nicht, dass sich in diesem Gebäude ein wunderbares Museum befindet.“
Auch die Kinemathek muss 2025 ausziehen. In direkter Nachbarschaft am Martin-Gropius-Bau ist für jedoch ein neues Filmhaus geplant, wo auch die Kinemathek einziehen soll:
„Wir haben den bescheidenen Nachteil, kein Kino zu haben, das wird sich dann ändern. Und in der Tat wird dann die Deutsche Kinemathek nicht mehr die weltweit einzige Kinemathek ohne Kino sein, sondern wie alle anderen Kinematheken auch ein Kino bespielen, darauf freuen wir uns sehr.“

Keine Kinolandschaft mehr am Potsdamer Platz

Allerdings wird sich der Bau hinziehen, das heißt, die Kinemathek sucht eine Zwischenlösung. Aber nicht nur für die Filmkunst wird der Potsdamer Platz zu teuer, es trifft auch die Multiplexe. Als die Berlinale vor 20 Jahren hierherzog, blühte das Kino noch:
2002 wurden so viele Kinokarten verkauft wie seit 1972 nicht mehr. Aber das ist seit Jahren anders, 2019 schlossen die Cinestar-Kinos am Potsdamer Platz wegen hoher Mieten und niedriger Zuschauerzahlen.
Leere Tafeln, die über dem Eingangsbereich zum Kinofoyer im Sony-Center hängen. Im Hintergrund eine Rolltreppe.
Wie Sie sehen, sehen Sie nichts: Hier waren mal die Anzeigentafeln des Cinestar-Kinos am Potsdamer Platz. © Imago / Stefan Zeitz
Und das wird erst mal so bleiben, glaubt Schulte Strathaus:
„Es wird auf jeden Fall perspektivisch keine Kinolandschaft mehr geben am Potsdamer Platz. Aber eine Totgeburt war der Potsdamer Platz in gewisser Weise ganz sicherlich. Wahrscheinlich ging es damals auch einfach zu schnell nach dem Mauerfall."
Und jetzt wird auch die Anzahl der Kinoplätze im Cinemaxx am Potsdamer Platz um die Hälfte reduziert. Das hat – wie auch die Cinestar-Schließung – Auswirkungen für die Filmfestspiele, so die Geschäftsführerin der Berlinale, Mariette Rissenbeek:

Das bedeutet natürlich, dass weniger Leute in die Kinos können. Und wie wir damit umgehen, werden wir in den nächsten Wochen auch mit der Programmabteilung besprechen.

Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek

Die Berlinale zieht es in die Kieze

Die Cinemaxx-Kinos waren über 20 Jahre lang ein wichtiger Abspielort für die Berlinale – für die Presse und das Publikum. "Möglicherweise werden wir den Ort vor allem für Pressevorführungen und Marktvorführungen nutzen", sagt Rissenbeek.
In diesem Fall bliebe längerfristig am Potsdamer Platz nur der Berlinale-Palast fürs Publikum – hier läuft der Mietvertrag bis 2025 mit Option auf Verlängerung. Kartenengpässe wird es nicht geben, sagt Rissenbeek, dafür stehen in Berlin genügend Kinos zur Verfügung. Aber die Berlinale wird sich noch mehr auf die Stadt verteilen als bisher:
„Dass man für die Publikumsvorführungen weitere Optionen gesucht hat in der Stadt, ist schon etwas, was vor vielen Jahren begonnen hat. Wir wollen ja auch in die Stadt hinausgehen und in einer Vier-Millionen-Stadt auch Zuschauer bei sich im Kiez abholen.“
Was Filme betrifft, gibt es bei der Berlinale keinen Engpass – für 2023 wurden weit mehr Filme eingereicht als vor der Pandemie, meint Rissenbeek. Die Filmproduktion boomt wie nie, aber ob es für dieses Angebot irgendwann auch noch genügend Kinos geben wird, steht in den Sternen.
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