Potsdam

Streit um Wiederaufbau der Garnisonkirche

Demonstranten zeigen Transparente, mit denen sie gegen den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche
Protest gegen den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche am 11.09.2016. © imago/epd/Foto: Rolf Zoellner
Von Stefanie Oswalt · 06.11.2016
Die Potsdamer Garnisonkirche war das Wahrzeichen des preußischen Militärs und Schauplatz des "Tags von Potsdam" 1933, als Hitler und Reichspräsident Hindenburg einen symbolischen Händedruck vollzogen. Die im Krieg zerstörte Kirche wurden 1968 gesprengt, um den Wiederaufbau wird seit Jahren gestritten.
"Wir haben den drei-Türme-Blick. Und dazu gehört die Garnisonkirche, das hat die Silhouette ausgemacht von Potsdam. Und die Silhouette brauchen wir wieder."
"Ich glaube, wir brauchen auch sehr viele Impulse für den Frieden. Ich bin nur sehr skeptisch, dass das gelingt durch den Wiederaufbau eines barocken Kirchturms."
"Es ist ja auch das Schloss genau so wieder aufgebaut worden. Und bei allen Gebäuden wird versucht, sie nach den alten Standarten wieder aufzubauen. Und ich finde, wenn die jetzt modern wieder aufgebaut wird, das passt nicht."
So äußern sich Potsdamer Bürger und Bürgerinnen zum Wiederaufbau der Garnisonkirche, nach einem evangelischen Gottesdienst unter dem Motto "Frieden lernen" im vergangenen September. Ausgerichtet hat den Gottesdienst die Nagelkreuzgemeinde Potsdam, deren Kapelle auf dem Grundstück der ehemaligen Garnisonkirche steht, das ZDF hat ihn bundesweit übertragen. Prominente Befürworter des Wiederaufbaus kamen da zu Wort, etwa die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Irmgard Schwaetzer, der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe und der ehemalige Landesbischof der EKBO, Wolfgang Huber. Er ist Vorsitzender des Kuratoriums der Garnisonkirchenstiftung.
"Potsdam hatte in früheren Zeiten drei barocke Kirchtürme, der Turm der Garnisonkirche ist der einzige, bei dem es überhaupt die Möglichkeit gibt, ihn wieder aufzubauen, so dass in diesem Fall auch die Rekonstruktion einen städtebaulich und architektonisch guten Sinn macht. Aber es verbindet sich mit einem neuen Inhalt, der aus der kritischen Auseinandersetzung mit der besonderen Geschichte dieses Orts gewachsen ist."

Erbaut unter Friedrich Wilhelm I.

Möglich ist der originalgetreue Nachbau des 1968 gesprengten Turms, weil detailreiche Fotos und Aufmaße erhalten sind. Sie wurden bei Sanierungsarbeiten der Kirche in den 1930er Jahren angefertigt. Erbaut wurde die Garnisonkirche 1730-35 unter Friedrich Wilhelm I. Ihr Architekt, Philipp Gerlach, entwarf in Berlin zahlreiche Paläste und Plätze. Zudem gestaltete er acht Kirchen, wobei die Potsdamer Garnisonkirche mit ihrem 90 Meter hohen Turm als eines seiner besten Bauwerke gilt. In der Neuen Deutschen Biographie heißt es:
"Gerlachs Bauten setzten dem Berliner und Potsdamer Stadtbild bedeutsame Akzente: In Potsdam beherrschte seine Garnisonkirche in straff gegliederter Klarheit den Straßenraum und bildete mit ihrem an holländischen Vorbildern orientierten Turm das Wahrzeichen der Stadt."
Das Wahrzeichen der Stadt – aber auch das Wahrzeichen des preußischen Militärs und seit dem "Tag von Potsdam" bis heute auch das Wahrzeichen für die Verknüpfung von militärischem Preußentum und Nationalsozialismus. Und damit kommt der Streit in das Projekt. Denn Architektur ist immer Ausdruck von Zeitströmungen, von Werte- und Geschichtsverständnis, sagt Hans Misselwitz. Er stammt aus Ostberlin, ist Theologe und zählte in der DDR zu den Bürgerrechtlern. In den 1990er-Jahren leitete er die Brandenburgische Landeszentrale für Politische Bildung. Er spricht für die Initiative "Christen brauchen keine Garnisonkirche".

"Wenn man so eine Kirche wiederaufbaut, dann muss man wissen, was man mit dem Aufbau an Erwartungen und auch an Rehabilitation im Grunde miterzeugt. Und das ist die Frage: Ist das die Rehabilitierung einer Geschichte, die da ist – oder wenn man schon aufbaut, müsste man das nicht zeichenhaft klarmachen, auch architektonisch meinetwegen, dass das etwas anderes ist."
Wolfgang Huber während eines Gottesdienstes in Potsdam
Bei einem Gottesdienst in der Potsdamer Industrie- und Handelskammer wirbt der Berliner Altbischof Wolfgang Huber am 11.09.2016 für den Wiederaufbau des Turms der zerstörten Garnisonkirche.© imago/epd/Foto: Rolf Zoellner
"Nie wieder Preußen! Nie wieder Preußen!"
Ähnlich sehen es die Kritiker der Bürgerinitiative "Potsdam ohne Garnisonkirche", die am Vormittag des Gottesdienstes vor dem Grundstück in der Breiten Straße gegen die Aufbaupläne protestieren. Es sind vorwiegend junge Leute, die fürchten, hier werde in Zeiten brennender Asylbewohnerheime und eines Erstarkens der AfD ein falsches Signal gesetzt.
"Ich stell mir jetzt vor, dass Potsdamer und Touristen, die einfach der Nazi-Geschichte anders aufgeschlossen gegenüber sind, die sehen nur: Da ist dieser alte Turm, den sie aus den alten Aufzeichnungen auch kennen: Da steht er wieder."

Projekt aus Kostengründen abgespeckt

Ein Bruch mit der Vergangenheit ist bei der gegenwärtigen Planung äußerlich kaum erkennbar. Ursprünglich sollte der Wiederaufbau der historischen Turmhülle mit dem Bau eines neu gestalteten Kirchenschiffs verknüpft werden. Inzwischen aber ist das Projekt aus Kostengründen erst einmal abgespeckt. Das Geld reicht nur für den Turmbau mit seinen Seitenflügeln, ohne Turmhaube und Schmuckelemente, insgesamt 1.200 Quadratmeter Nutzfläche. Wolfgang Huber:
"Beginnend mit einer Kapelle, darüber Seminarräumen, einer Bibliothek, Ausstellungsräumen, in denen man die Geschichte erinnert, eine Aussichtsplattform, von der man eine einzigartige Aussicht auf die Stadt von Potsdam hat."
Im April 2016 genehmigte die Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für das Projekt ein zinsfreies Darlehen von über drei Millionen Euro, die EKD will weitere 1,5 Millionen beisteuern. Nun möchte die Stiftung zügig mit dem Bau beginnen. Kritiker wie Misselwitz finden aber, die Geschichte der Kirche sei noch nicht richtig durchgearbeitet. Dazu gehöre auch eine Auseinandersetzung mit der Abbruchgeschichte in der DDR-Zeit, über die in den künftigen Nutzungskonzepten für die Kirche wenig Konkretes zu erfahren sei:
"Die Kulturbarbarei Ulbrichts und die Zerstörung machen diese Kirche zum Opfer und die Frage, woher dieses Opfer kommt oder dass dieses Opfer eben kein Opfer ist, sondern eine Konsequenz ist, darüber ist in diesen Texten nichts zu lesen, so dass man fürchten muss, dass vielleicht nicht die jetzigen Akteure, aber künftige Akteure relativ wenig Zeit verschwenden werden, darüber nachzudenken, warum es hier um ein elementares Versagen geht."

Wenig Widerstand der protestantischen Kirche gegen Nazis

Elementares Versagen nämlich einer protestantischen Kirche, die dem Nationalsozialismus wenig Widerstand entgegen gesetzt habe. Gerade die Garnisonkirche sei besonders belastet. Wolfgang Huber umreißt die Aufgaben der Geschichtsarbeit an diesem Ort dagegen anders:
"Soldaten wurden in den Krieg geschickt. Der Ort wurde politisch instrumentalisiert, schon im 19. Jahrhundert ganz stark und im 20. Dann durch den ´Tag von Potsdam`. Es war ein Zankapfel, nicht erst neuerdings. Anstoß erregend für das SED Regime, deshalb hat Ulbricht den Rest des Turms niederreißen lassen. Die Geschichte ist ambivalent, vieldeutig, nicht so einlinig, wie sie oft dargestellt wird, der Widerstand gegen das Naziregime machte sich auch an diesem Ort fest, und all dies wollen wir bündeln."
Aus der Einleitung zum Nutzungskonzept für die Garnisonkirche:
"An diesem leeren Ort kann sich jeder Mythos frei entfalten; hier findet sich jeder in seinem (Vor)urteil bestätigt. Wenn dieser Platz leer bleibt, können wir tatsächlich glauben, was wir wollen, und werden deshalb nicht wissen, was wir sollen."
Aber was sollen wir wissen? Der Historiker Manfred Gailus von der Technischen Universität Berlin und der Journalist Matthias Grünzig stellen fest, dass aktuelle Forschungsergebnisse in den Publikationen der Garnisonkirchenstiftung weitgehend unberücksichtigt sind.
Manfred Gailus: "Es gibt eine endlose Kette von Veranstaltungen in dieser Kirche beginnend 1919, wo sich alle antidemokratischen, antirepublikanischen Kräfte sammeln und dann gegen Ende hin auch in wachsendem Maße Nationalsozialisten. Und nach 1933 ist diese Kirche wiederholt, in sehr vielen Fällen eine politische Bühne für die Nationalsozialisten. Das heißt für die politische Partei Hitlers."
Matthias Grünzig: "Man kann also sagen: Dieser 21. März 1933, dieser berühmte ´Tag von Potsdam` war also nicht irgendwie eine Ausnahme oder etwas Besonderes, sondern er steht voll in dieser Tradition."

Abriss war Kompromiss zwischen Kirche und Staat

Gailus erforscht seit Jahrzehnten die Verstrickungen von Protestantismus und Nationalsozialismus. Grünzig hat in zweijähriger Archivarbeit die Geschichte der Garnisonkirche von 1918 bis 1968 untersucht. Ende des Jahres werden seine Ergebnisse als Buch im Metropol-Verlag erscheinen. Grünzig sagt, er habe bei seinen Recherchen keinen Hinweis auf eine Verbindung der Garnisonkirche zum Widerstand gegen Hitler gefunden. Er hat auch herausgearbeitet, dass die Abrissentscheidung zu DDR-Zeiten Ergebnis eines Kompromisses zwischen Kirche und Staat gewesen sei. In der Kirche hätte man sich zu jener Zeit von den großen Wiederaufbauprojekten verabschiedet, statt dessen sollten kleine Gemeindezentren gebaut werden.
"Die Behauptung, Walter Ulbricht hätte einen Abrissbefehl gegeben ist falsch, ganz klar. Das ist mit der Aktenlage nicht zu vereinbaren."
Man darf also gespannt sein, welche Geschichte der wiederaufgebaute Turm präsentieren wird, und worauf sich die Versöhnungsarbeit beziehen soll. Immerhin hat sich die Garnisonkirchenstiftung eine weitere renommierte Persönlichkeit der evangelischen Kirche ins Boot geholt – den Friedensbeauftragten der EKD, Renke Brahms. Derweil läuft das Spendensammeln weiter. In den letzten Monaten vermeldet die Stiftung einen erhöhten Spendeneingang, darunter auch zwei anonyme Großspenden. Bis zur Beantragung der Freigabe der Fördermittel durch den Bund fehle eine gute Million. Im nächsten Jahr möchte die Stiftung mit dem Bau beginnen.

Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Manuskriptes hieß es, der Turm werde 12.000 Quadratmeter Nutzfläche haben. Das ist leider nicht korrekt, wir haben es im Fließtext berichtigt.

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