Potsdam

Deserteursdenkmal in der Garnisonsstadt

Die verwitterte Anlage eines Denkmals
Die Zeit für Kriegerdenkmäler ist vorbei - in Potsdam gibt es bereits seit 25 Jahren ein Denkmal für Deserteure © picture alliance / dpa / Andreas Keuchel
Von Vanja Budde · 11.11.2015
In Potsdam gibt es schon seit 25 Jahren ein Deserteursdenkmal, nicht besonders auffällig, aber mitten in der Stadt, am Platz der Einheit. Ausgerechnet in Potsdam, der Garnisonsstadt, deren Bürgerschaft früher Uniformen und Soldaten über alles liebte.
Den vier Blöcken aus weißem Carrara-Marmor fehlt die Mitte: Eine Auslassung zeichnet die Konturen eines Männerkörpers nach. Ein Denkmal, das eine Welt in Kriegstrümmern andeutet und in dessen Zentrum der steht, der sich entzogen hat: der Deserteur. Nur wenige Potsdamer, die über den Platz der Einheit eilen, wissen nicht, wessen hier gedacht wird.
"Ja, es ist das Denkmal des unbekannten Deserteurs. Ich finde, das sind die wahren Helden. Denn sie haben sich dem Befehl verweigert und wollten andere Menschen nicht töten."
"Ja, ich finde es großartig, dass es hier so was gibt und dass man daran mahnen darf, dass auch das erlaubt sein muss heutzutage, finde ich super."
Ältere Herren reagieren zurückhaltender als jüngere. Ob ein Deserteur ein Denkmal verdient habe, das komme auf den Einzelfall an, meint einer.
"Ist eine schwierige Sache, darüber nachzudenken. Ich war Gott sei Dank nie in dieser Situation und habe diese Entscheidung nie treffen brauchen. Wenn ich sie treffen müsste, wüsste ich nicht, wie."
Stadt des "Soldatenkönigs"
Hinzu kommt: Potsdam war Jahrhunderte lang Garnisonstadt, die Stadt des "Soldatenkönigs" mit seinen Langen Kerls.
"Ach, ich mag Potsdam auch mit den Langen Kerls. Gehört doch dazu. Deswegen denke ich auch trotzdem, dass ich kein Militarist bin."
Die Skulptur des türkischen Künstlers Mehmet Aksoy ist mittlerweile als Potsdamer Denkmal etabliert: Dass es ursprünglich in Bonn aufgestellt werden sollte, das wissen die wenigsten Passanten. Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels von der CDU hatte in den 80er-Jahren kategorisch erklärt, seine Stimme werde es für ein – Zitat – "Denkmal in Bonn, das die Fahnenflucht verherrlicht", nicht geben.
Die 1988 begründete Städtepartnerschaft zwischen Bonn und Potsdam und Kontakte von Friedensaktivisten in Ost und West führten dazu, dass die Skulptur, die Bonn ablehnte, zur Wiedervereinigung 1990 mitten in Potsdam aufgestellt wurde. Auch in Potsdam traf das Denkmal für den unbekannten Deserteur nicht auf ungeteilte Begeisterung.
Tobias Büloff: "Es gab regelrecht Hassbriefe, die sich dagegen gewehrt haben, dass man Deserteuren gedenkt, und das Denkmal wurde auch zum Teil beschmiert, und es gab immer wieder auch Aktionen gegen dieses Denkmal, aber mittlerweile ist mein Eindruck, dass die Potsdamerinnen und Potsdamer sich an das Denkmal gewöhnt haben und dass es durchaus auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema von Desertieren gibt. Ich glaube, dass das Thema auch mittlerweile reif ist, darüber nachzudenken und sich darüber auch kontrovers auszutauschen."
Tobias Büloff ist Mitarbeiter der Stadt Potsdam für Erinnerungskultur. Die Stadtverordneten hatten sich damals trotz der Widerstände in Teilen der Bevölkerung fast einstimmig für das Denkmal ausgesprochen. Ziel der Initiatoren sei es gewesen, den Blick auf die Stadt als Hort des preußischen Militarismus zu erweitern:
"Dass man versucht, den etablierten Traditionen, die ja auch mit Militär ganz stark verbunden sind, einen Kontrapunkt zu setzen, eine andere Traditionslinie zu stiften, zu sagen: 'Okay, Potsdam ist ganz stark mit dem Militär verbunden. Aber zu dem ganzen Militärischen gehört eben auch das Ausscheren quasi aus Reih und Glied'."
Ob die Stadtverordneten heute wieder so entscheiden würden?
1990 war Potsdam im Umbruch. In der Übergangszeit war viel möglich. Ob die Stadtverordneten wohl heute wieder so entscheiden würden?
"Ja, das ist eine gute Frage. Ich glaube, heute würde das viel schwieriger werden. Weil man vielleicht auch heute solche kontroversen Themen eher scheut."
Begleitend zum Denkmal haben der Pädagoge Jörg Kwapis und seine Mitstreiter eigens einen Verein mit einem sehr langen Namen gegründet: "Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam".
Jörg Kwapis: "Es gibt ja hier eine interessante Bandbreite in dieser Stadt. Die eine Richtung verliert sich in der Historisierung der ganzen Innenstadt. Das hat was mit Gebäuden zu tun, Wiederherstellung der historischen Mitte, aber auch in so einem Trachtenverein wie den Langen Kerls, ganz klar. Das finden die toll, irgendwie bunte Uniformen, war das Besonderes die Lange Garde und so weiter. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt's, das sind zum Teil dieselben Leute, die die Langen Kerls schick finden, die sagen: Es ist toll, dass sich die Stadt Potsdam, die ja eine Garnisonsstadt war, quasi ganz anders entwickelt hat."
Potsdams Kasernen wurden in den vergangenen Jahren zu ebenso schicken wie teuren Wohnquartieren umgebaut. Die Stadt setze der Militärgeschichte ganz bewusst etwas entgegen, sagt Kwapis, auch mit Mehmet Aksoys Skulptur aus weißem Marmor.
"Es fehlen noch weitere Schritte, den unbekannten Deserteur bekannt zu machen. Das wäre eine weitere Forschung in Potsdam. Wir haben ein Denkmal für den unbekannten Deserteur. Wir wissen aus der ganzen Geschichtsaufarbeitung der NS-Zeit, dass Dinge nachvollziehbarer werden, wenn sie konkret werden. Als Verein haben wir zum Schicksal von NS-Zwangsarbeiterinnen hier in der Region mit Schülern geforscht. Schicksale erlebbar zu machen, macht auch nachvollziehbar, warum sich Menschen entscheiden, nicht auf ihre Mitmenschen zu schießen. Das wäre hier auch noch zu leisten."
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