Todesstrafe für ein Kunstwerk

Von Kemal Hür · 29.04.2011
Der türkische Ministerpräsident Erdogan empörte sich über das "Denkmal der Humanität" des Künstlers Mehmet Aksoy - und ließ es kurzerhand abreißen. Der Bildhauer hat nun Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
Mehmet Aksoy wohnt und arbeitet in einem Vorort von Istanbul. Sein Wohnhaus und Atelier sind in einem gemeinsamen Bau untergebracht, der die Form eines riesigen Mistkäfers hat. Der Wohnbereich mit der offenen Küche befindet sich unter den verglasten Augen des Käfers. Im Garten stehen und liegen Aksoys Skulpturen. Der Künstler hat lange Jahre in Berlin gelebt und die deutsche Sprache nicht völlig verlernt. Zum Arbeiten sei ihm im Moment nicht zumute, sagt er.

"Ich kann nicht arbeiten, weil meine ganze Konzentration ist weg. Wie kann man dann Kunst machen? Das, glaube ich, für mich ist die größte Strafe, dass ich nicht arbeiten kann."

Das weitere Gespräch möchte der Bildhauer lieber auf Türkisch führen. Schließlich liegt sein Aufenthalt in Berlin lange Jahre zurück. Aksoy hat zwischen 1981 und 1989 dort gelebt. In Berlin und Potsdam stehen einige seiner Werke. Aber seine neueste Arbeit wird gerade im Nordosten der Türkei zerstückelt und abgerissen: Das Denkmal der Humanität. Zwei Hälften einer aufrechten menschlichen Figur stehen sich gegenüber und reichen einander die Hand. Aksoy sieht darin ein Denkmal gegen alle Kriege. Der türkische Ministerpräsident nannte es monströs und wollte es dort nicht sehen. Dass die 30 Meter hohe Skulptur nach diesem umstrittenen Geschmacksurteil nun abgerissen wird, erinnert den Künstler an die Zerstörung der Buddha-Statuen durch die Taliban in Afghanistan.

"Der Kopf wurde bereits abgerissen, die Skulptur wird völlig zerstückelt. Da gibt es keinen Unterschied. Die einen benutzen eine elektrische Säge, die anderen haben die Statuen zunächst beschossen, dann mit Dynamit in die Luft gejagt. Was hier passiert, ist ein Verbrechen, ein Verbrechen an der Kunst."

Und dagegen fühlt sich der Künstler machtlos. Ursprünglich hat die Stadtverwaltung die Errichtung des Denkmals genehmigt und finanziell gefördert. Aksoy hat umgerechnet 60.000 Euro für die Aufstellung bekommen, nachdem die verschiedenen Behörden dem Antrag stattgegeben haben. Nun – nach dem Urteil des Ministerpräsidenten – wollen die örtlichen Behörden nichts mehr von den Vereinbarungen und Genehmigungen wissen, obwohl die Überweisungsbelege und der schriftliche Vertrag dem Künstler vorliegen. Für Aksoy ein Justizskandal.

"Das Amtsgericht hat zwar auf Antrag des Künstlers den Abriss untersagt. Aber der Bürgermeister ging in Berufung. Das Ergebnis gleicht einer Justizposse: Das Urteil wurde aufgehoben und der Abriss beschlossen. Der Richter, der den Abriss verboten hatte, wurde in eine andere Provinz versetzt. Und der Berufungsrichter vom Amtsgericht wurde ins Verwaltungsgericht befördert. So etwas darf in einem demokratischen Staat nicht passieren."

Mehmet Aksoy ist resigniert. An eine Rettung seines Denkmals glaubt er nicht mehr. Dennoch hat sein Anwalt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage eingereicht. Aksoy sieht sich als Opfer des Wahlkampfes. Der religiös-konservative türkische Ministerpräsident führe sich auf wie ein Sultan. Er mache sogar ein Friedensdenkmal zum Götzenbild, um Stimmen der frommen Menschen zu bekommen.

"So darf ein Ministerpräsident nicht agieren. Er kann sich nicht aufführen wie ein König. Die Türkei ist eine Republik. Sein Verhalten ist unserer Demokratie nicht würdig."

Das denken auch viele in der Türkei. Bei einer Umfrage in Istanbul finden sich aber auch Menschen, die ohne Wenn und Aber den Ministerpräsidenten in Schutz nehmen.

Wenn der Ministerpräsident das Denkmal ablehnt, dann wird er einen Grund dafür haben. Dann will ich es auch nicht. / Ich mag den Ministerpräsidenten. Er hat viel Gutes getan. Aber der Abriss ist nicht richtig. / Er muss es nicht schön finden, es ist eine Geschmacksfrage. Aber deswegen muss es nicht abgerissen werden. / Der Abriss ist beschämend für unser Land. / Das ist ein Kunstwerk, und der Künstler verdient Respekt.

Vor einigen Tagen wurde ein ungewöhnlicher Rettungsversuch bekannt. Ein türkischer Gastronom in Berlin erklärte sich bereit, die zerlegten Teile aufzukaufen und das Denkmal in Berlin aufzustellen. Aksoy hat davon in einer Zeitung erfahren. Aber er lehnt diesen gut gemeinten Vorschlag ab.

"Wenn es mir nach medialer und öffentlicher Aufmerksamkeit ginge, würde ich den Vorschlag annehmen. Aber ich habe das Denkmal für die Türkei gebaut. Die heutigen Machthaber werden verschwinden. Aber mein Werk wird bleiben. Unser Land versucht, die Schätze aus dem Pergamonmuseum zurückzuholen. Warum soll ich meine Skulptur in Berlin aufstellen?"

Mehmet Aksoy habe den Ort in der Provinz Kars penibel ausgesucht, erzählt er. Das Denkmal stehe auf einem Hügel außerhalb der Stadt gegenüber einer historischen Burg.

"Die Burg ist das Symbol für den Krieg, ein Ort der Selbstverteidigung. Die Menschen verstecken sich hinter den Mauern und suchen Schutz. Das Denkmal habe ich als Gegenpol dazu gebaut. Deswegen steht es auf dem Hügel und kann von jeder Achse der Stadt aus gesehen werden. Es bildet eine plastische Verbindung zur Burg."

Kars liegt in der unmittelbaren Nähe des Berges Ararat, jenes für Armenier symbolträchtigen Berges. Aber Aksoy will sein Werk nicht ausschließlich als ein Versöhnungsdenkmal für Armenier und Türken angesehen wissen. Für ihn steht die halbierte menschliche Figur als ein Mahnmal gegen alle Kriege. Im Moment befindet sich der Künstler aber selbst in einem solchen, einem Nervenkrieg.