Postkarten aus Athen (3)

Die Wege der Karawane

Menschen gehen über den Monastiraki-Platz in Athen
Menschen gehen über den Monastiraki-Platz in Athen © picture-alliance / dpa / Orestis Panagiotou
Von Andreas Schäfer · 21.01.2015
Der Autor Andreas Schäfer schreibt über einen Spaziergang mit seinem griechischen Kollegen Theodoros Grigoriadis. Er schickt uns in der Rubrik "Originalton" Postkarten aus Athen, in denen er die Stimmung vor der Wahl am Sonntag einfängt.
Der Spaziergang mit dem Autor Theodoros Grigoriadis beginnt am zentralen Syntagma-Platz. Theodoros, Ende 50 und frühpensionierter Lehrer, hat einen schönen Roman mit dem Titel "Ellys Geheimnis" geschrieben, in dem sich eine nicht mehr ganz so junge Frau in den Straßen des Athener Viertels Gazi und den Untiefen einer Affäre verliert. Wir können uns ja in Gazi treffen, schlug ich vor, doch er wollte mir die Plateia Agias Irinis, den Platz der Heiligen Irene zeigen, den momentanen Hotspot der Stadt.
Es kommen also Gastronomen und besetzen eine Gegend. Früher war das Psyri bei Monastiraki. Psyri befindet sich jetzt aber im rapiden Fall. Die letzten zehn Jahre war es Gazi am antiken Friedhof. Diese Gegend habe ich auch in meinem Roman beschrieben. Aber nach Gazi gehen nur noch Schüler und Studenten. Wenn wir vom Aufstieg einer Gegend sprechen, was bedeutet das? Dass von den 15 Läden 14 Cafeterien sind. Nicht eine Galerie öffnet oder ein Buchladen. Das ist das Schlimme.
Geschäfte für Blumen, Stoff und Kurzwaren
Auch der kleine Platz, den wir über enge Straßen nach wenigen Minuten erreichen, ist von gut besuchten Cafés gesäumt, daneben gibt es aber auch Stoffgeschäfte, Läden für Kurzwaren und in der Mitte ein Blumengeschäft in einem gusseisernes Häuschen. Die Plateia Agias Irinis liegt im klassischen Handelszentrum, was wohl verhindern wird, dass sie wieder verödet, sobald die Künstler und Intellektuellen sich woanders treffen. Gentrifizierung – das ist eines der kleineren Probleme Athens. In Athen zieht die symbolische Aufwertung einer Gegend durch Künstler keine steigenden Immobilienpreise nach sich. Denn die befinden sich seit Jahren im Sinkflug – und zwar überall.
"Selbst in den guten Gebieten ist der Wert der Immobilien um die Hälfte gefallen. Und in den ehemals bürgerlichen Vierteln, in denen heute vor allem Migranten und Flüchtlinge leben, kosten Einzimmerwohnungen manchmal nicht mehr als 5000 Euro."
Einfache Unterhaltungsromane sind beliebt
Erstaunlicherweise ist der Buchmarkt in der Krise nicht ganz so stark eingebrochen. Der Buchmarkt lebt, weil er etwas anzubieten hat, was die Menschen gerade offenbar besonders suchen: Rosa-Literatur heißen die simpel gestrickten Unterhaltungsromane wegen ihrer negligéfarbenen Cover. Aber auch Bücher über die verlorenen Gebiete Griechenlands gehen bestens: Bücher über Alexandria, Konstantinopel, Smyrna. Sie füttern ein nostalgisches Bedürfnis. Es ist, als ob du gerührt alte Postkarten anschaust, sagt Theodoros.
Apropos Postkarte: Wie aufs Stichwort kommt der nächste Leierkastenmann an der Terrasse vorbei. Theodoros kennt den älteren Herrn im Anzug aus den 60er Jahren sogar. Wie so viele hat auch er zwei Jobs. Tagsüber steht er an einem U-Bahn-Eingang und versucht, vorbeihetzende Passanten Lose zu verkaufen.
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche stammen sie von dem Berliner Schriftsteller Andreas Schäfer.
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