Portugal

Pfannkuchen als Strandsnack

Ein Junge isst am Strand in Portugal eine Bola de Berlim
An Portugals Stränden ein Muss: Bolas de Berlim © Deutschlandradio Kultur / Eberhard Schade
Von Tilo Wagner |
Berliner, Pfannkuchen, Krapfen: Die fettigen Teigtaschen sind hierzulande traditionelles Wintergebäck. In Portugal sind die "Bolas de Berlim" ein beliebter Strandsnack. Der Verkauf der süßen Kalorienbomben ernährt ganze Familien.
Armando da Cruz schleppt eine große, flache Plastikwanne über den breiten Guincho-Strand, rund 30 Kilometer westlich von Lissabon. Dunkle Shorts, weißes Hemd, die Socken in ausgelaufenen Plastik-Badeschuhen. Ein junger Mann nähert sich. Armando setzt die Wanne ab, reicht ihm eine Bola de Berlim und eine Serviette – und erhält 1,30 Euro.
Seit 51 Jahren mache er das hier, sagt Armando. Und jeden Tag im Sommer fahre er mit Bus und Bahn aus Lissabon an – zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück. Die Pfannkuchen bringt ihm eine Großbäckerei direkt an den Strand. Doch die Qualität habe mit den Jahren nachgelassen, beschwert sich der 82-Jährige:
"Früher waren die Berliner einfach besser. Ich habe damals auch Eis und Pfannkuchen mit Cremefüllung verkauft, aber das ist jetzt alles Massenproduktion und die Creme schmeckt nicht mehr richtig. Deshalb verkaufe ich jetzt nur noch Berliner ohne Füllung."
Und das mit reißendem Absatz. Armando ist keine zwanzig Meter weit gekommen, da hat er die dreißig Bolas de Berlim, die auf seine Wanne passen, schon verkauft. Zeit für die zweite Runde.

"Für uns Portugiesen eine sehr alte Tradition"

Seit über einem halben Jahrhundert lagert Armando seine Sachen in einem kleinen Kabuff, der unterhalb von einem Strandhotel liegt. Armando schleppt sich die Treppen hoch, schließt mühsam sein Schloss auf, lädt mit zittrigen Händen die Berliner in die Wanne. Viel Zeit zum Verschnaufen hat er nicht. Denn in einer Stunde, erzählt er, würde die Bäckerei die nächste Ladung mit 200 ofenfrischen Pfannkuchen bringen.
Als Armando unten am Strand ankommt, bildet sich schnell eine kleine Schlange. Daniel Simões hat schon einen Berliner ergattert und legt sich zu seiner Freundin auf das Badetuch. Fettige Süßteilchen in der prallen Sonne? Passt das? Der 26-Jährige lächelt und klopft sich auf seinen schlanken Bauch.
"Ich weiß, das ist nicht ganz nachvollziehbar", sagt Simões. "Aber es ist für uns Portugiesen einfach eine sehr alte Tradition. Es gibt keinen Sommer ohne eine Bola de Berlim am Strand. Mir persönlich macht das Fettige noch nix aus. Wir rennen ja jetzt den ganzen Tag am Strand rum, da ist so eine Kalorienbombe gar nicht das Schlechteste. Und es schmeckt einfach sehr gut!"
Ein paar Kilometer weiter Richtung Lissabon fast das gleiche Bild: An einem kleinen überfüllten Strand bahnt sich ein Mann mit seinen Berlinern den Weg durch Sonnenschirme und Sandburgen.
Bruno Santos ist noch relativ neu im Geschäft. Der 24-jährige gelernte Schauspieler klappert im Sommer zusammen mit seiner Familie die kleinen Strände rund um die Badeorte Cascais und Estoril ab. Und Schuld war wieder mal die Krise.
Santos: "Meine Mutter hat vor ein paar Jahren ihren Job verloren, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ich habe zu der Zeit noch zu Hause gewohnt, das Geld war knapp. Dann hat uns eine Bekannte von ihrem Sommerjob erzählt. Sie verkauft die Berliner an der Küste nordwestlich von Lissabon. Wir haben uns schlaugemacht und erfahren, dass hier an diesen sechs kleinen Stränden niemand mehr verkauft hat. Also haben wir es riskiert, und unser Mut hat sich ausgezahlt."
Der Familienbetrieb zeigt Professionalität. "Aqui estão elas!" (Hier sind sie!), steht als flotter Werbespruch auf Brunos T-Shirt. In seinen modernen Kühltaschen hat er Berliner mit einem halben Dutzend verschiedener Füllungen: Apfel, Schokolade, Johannisbrotschote oder eben die traditionelle Eiercreme. Alle paar Meter stellt Bruno seine schweren Taschen ab, kramt die Berliner raus, kassiert, lässt einen lockeren Spruch fallen und zieht weiter.

Über 700 Berliner an einem Tag verkauft

"Das hier macht nicht nur meinen Kunden Spaß, sondern auch mir", erklärt Bruno. "Am Anfang der Saison ist alles noch sehr schwerfällig, die Beine werden schnell müde und man kommt sich vor, als würde man als Kohleschlepper arbeiten. Aber wenn wir die Wintersmüdigkeit abgelegt haben, werden die Bewegungen leichter und alles fließt ineinander. Und dann kommen die schönen Seiten: die Pausen am Strand oder ein erfrischendes Bad mitten in der Schicht. Wir können Arbeit und Freizeit miteinander verbinden."

Bruno verkauft noch ein paar Bolas, und läuft dann die Treppe zum Parkplatz hoch. Er schließt seinen gekühlten Kleintransporter auf und stellt die Taschen rein. An einem guten Tag, sagt er, setzt das Familienunternehmen über 700 Berliner ab.
Bruno lenkt seinen Wagen aus dem Parkplatz und biegt auf die Schnellstraße in Richtung Lissabon. In der nächsten Bucht wartet sein Bruder auf ihn – mit neu gefüllten Kühltaschen.
Und währenddessen ertönt unten am Strand ein alt bekannter Ruf: "Bolas de Berlim!"
Brunos Vater ist mit seinen Taschen gerade am Strand angekommen – und will all denjenigen, die sein Sohn nicht erreicht hat, ein paar frische Bolas de Berlim andrehen.
(tmk)
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