Viele denken, dass Frauen in dem Alter verkümmern und schrumpfen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir werden besser. Ich wollte eine glaubhafte Frauenfigur schaffen, die sexuell aktiv ist, eine Karriere hat, und alle diese Dinge.
Bestsellerautorin Miranda Cowley Heller
Mit über 50 noch einmal einen neuen Weg einschlagen - das verbindet die Autorin Miranda Cowley Heller mit ihrer Roman-Protagonistin. Cowley fand erst spät zum Schreiben. © Stepha Dansky
Neuanfang mit 50
05:48 Minuten
Miranda Cowley Heller war Mitte 50, als sie ihren Debütroman begann. „The Paper Palace“ wurde in den USA zum Bestseller und erscheint jetzt auf Deutsch: 24 Stunden im Leben einer Frau, die zurückblickt und überlegt, alles hinter sich zu lassen.
Miranda Cowley Heller setzt sich mit ihrem Buch auf die weiße Couch in ihrem lichtdurchfluteten Wohnzimmer. Sie ist barfuß. Die blonden Haare trägt sie offen über einer türkis-blauen Tunika und Jeans. Hinter ihr: ein großes Fenster zum Garten, wo zwei Australische Hütehunde miteinander spielen.
Gleich die erste Seite ihres Debütromans „The Paper Palace“ setzt die Szene für dessen Charaktere, bevorstehende Konflikte, und den Ort der Handlung: Cape Cod an der US-Ostküste. Die Autorin hat hier zwischen Wäldern, Weihern, Strand und Meer viele Sommer verbracht.
Von ihrem eigenen Leben inspiriert
„Wir waren sehr wilde Kinder“, erzählt sie. „Unsere Eltern waren nie da. Niemand hat aufgepasst, dass wir nicht ertrinken. Wir sind geschwommen, bis wir keinen Boden unter den Füßen hatten. Es war wunderbar.“
Die Hauptfigur des Romans ist Elle Bishop, Anfang 50, drei Kinder, glücklich verheiratet. Sie muss innerhalb der 24 Stunden, in denen der Roman spielt, eine folgenreiche Entscheidung treffen. „Papierpalast“ ist keine Biografie, aber inspiriert von Miranda Cowley Hellers Leben. Mitte 50 war sie, als sie den Roman schrieb und sie wollte auch zeigen, dass Frauen in diesem Alter ein volles Leben haben.
Ein gewisser Druck kreativ und erfolgreich zu sein
Sie konnte das Buch erst jetzt schreiben, sagt die Autorin. Vorher habe ihr die dafür notwendige Lebenserfahrung gefehlt. Einen Roman schreiben wollte sie schon lange. Es gibt viele erfolgreiche Künstler, Autoren und Literaturkritiker in ihrer Familie.
„In meiner Jugend, als Teenager, im College habe ich gedacht: Natürlich werde ich einen großen Roman schreiben! Aber dann ist nichts Großartiges daraus geworden. Ich habe Magazinartikel geschrieben und Bücher als Ghostwriterin. Irgendwann wollte ich nicht mehr als gescheiterte Romanautorin leben und habe etwas anderes getan.“
Sie ging zum Fernsehen und wurde in der Drama-Abteilung des Kabelsenders HBO für Serien wie „The Sopranos“ und „Six Feet Under“ mitverantwortlich. Dann zog es sie zurück zum Schreiben, über zwei Leben einer Frau. Das, das sie lebt, und das Leben, nach dem sie sich gesehnt hat.
Lügen, Erinnerungen, Sehnsüchte
Gehalten vom 24-Stunden Spannungsbogen erzählt „Der Papierpalast“ von Geheimnissen, Lügen, Erinnerungen und Sehnsüchten mehrerer Generationen. Elle steht am Ende vor der Wahl: Bleibt sie bei ihrem geliebten Ehemann oder gibt sie dem Leben mit ihrer Jugendliebe die Chance, von der sie geträumt hat.
„Die Frage ist: Was machst du, wenn du endlich diese Chance bekommst? Es geht weniger um die Entscheidung zwischen zwei Männern, als darum, ob es besser ist, zu bereuen, was man tut oder zu bereuen, was man nicht getan hat. Diese Frage kennen wir doch alle."
Belastende Missbrauchserfahrungen
Zusätzlich verzwickt wird diese Entscheidung durch Missbrauchserfahrungen, die Elle bis zum Tag am See verfolgen. US-Leserinnen kritisierten, dass es dafür keine Trigger-Warnung gibt. Cowley Heller hat dafür Verständnis. Doch passe eine solche Warnung nicht zum Ton des Romans.
„Ich kann nur ehrlich und fair erzählen, was nicht nur Elle, sondern vielen anderen widerfährt, indem ich eben nicht davor warne, was hinter der Tür lauert und was als nächstes geschieht. Das ist ja Teil des Horrors.“
Dass der Roman so ein riesiger Erfolg in den USA wurde, hat viel damit zu tun, dass die Autorin die spannende Dreiecksgeschichte mit großen Fragen des Lebens verknüpft: Haben wir Schuld auf uns geladen? Können wir uns und anderen vergeben? Welche Geheimnisse verbergen wir selbst vor denen, die uns am nächsten sind? Was verheimlichen sie vor uns?
Leserinnen finden sich wieder
Es ist aber auch die Perspektive, aus der sie schreibt, die bei den Leserinnen gut ankommt – als fast 60-Jährige über eine 50-Jährige, die nochmal vor einer großen Entscheidung steht.
Die Protagonistin sinniert, sehr treffend im Buch „I wish I were braver. But I also love the fear. The catch of breath in my throat. My thrumming heartbeat as I step out of the water.“
Miranda Cowley Heller: "Der Papierpalast"
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Höbel
Ullstein, 2022
448 Seiten, 23,99 Euro