Popkultur

Ausgebrannt, kokainsüchtig und pleite

Das Plakat zur Ausstellung «David Bowie» hängt am 18.05.2014 im Vestibül des Martin-Gropius-Bau in Berlin hinter einer Fahrrad-Installation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei.
Das Plakat zur Ausstellung "David Bowie"» hängt hinter einer Fahrrad-Installation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. © dpa/ picture alliance / Soeren Stache
Von Christiane Habermalz · 19.05.2014
Die David-Bowie-Ausstellung in London löste einen Publikumsansturm aus - inzwischen ist die Schaffenskraft des Popkünstlers im Gropius-Bau in Berlin zu bewundern. Die Schau wurde um 60 Exponate ergänzt, die Bowies Zeit in der Mauerstadt dokumentieren. Der Rocker war fasziniert vom Nachkriegsberlin, wo er seine Alben "Low", "Heroes" und "Lodger" produzierte.
Offenbar hat der Mieter David Bowie bei Auszug aus der Schöneberger Hauptstraße 155 seine Wohnungsschlüssel nicht ordnungsgemäß abgegeben. Denn die hängen jetzt im Museum hinter Glas - im Berlin-Teil der Bowie-Ausstellung im Gropiusbau. Wie es überhaupt etwas merkwürdig anmutet, wenn man durch die Ausstellungsräume geht: Ein Glamrockstar als Ausstellungsobjekt, musealisiert zu Lebzeiten.
Und doch eignet sich vielleicht kein anderer Musiker so sehr dazu wie Bowie, der nicht nur einer der vielseitigsten Künstlerpersönlichkeiten der vergangenen Jahrzehnte ist, sondern irgendwie auch selbst ein Gesamtkunstwerk, geschickt in Szene gesetzt und sich unermüdlich neu erfindend.
Fasziniert vom heruntergerockten Nachkriegsberlin
"Er ist ja nicht nur Musiker sondern legt auf seine Bühnenperformances extrem viel Wert, hat immer schon mit Fashiondesignern zusammengearbeitet für seine Kostüme, hat mit vielen Fotografen für seine Cover und Fotokampagnen zusammen gearbeitet, er zeichnet und malt und schreibt selber seine Texte, also diese Fülle an künstlerischer Betätigung die wird in dieser Ausstellung sichtbar, und das ist wirklich beeindruckend".
Erzählt die für den Berlin-Teil verantwortliche Kuratorin Christine Heidemann. Für die Ausstellung öffnete das David-Bowie Archiv in L.A. erstmals seine Bestände, im Victoria & Albert-Museum in London löste die Ausstellung im vergangenen Jahr einen wahren Publikumsansturm aus. Für Deutschland wurde die multimediale Show ergänzt um 60 zusätzliche Ausstellungstücke. Denn von 1976 - 1978 lebte Bowie in Berlin, fasziniert vom heruntergerockten Nachkriegsberlin, inspiriert vom Berlin der Weimarer Republik und seinen Goldenen Zwanzigern und von Fritz Langs "Metropolis". In Steinwurfweite von der Berliner Mauer nahm er in den legendären Hansa-Studios große Teile seiner drei Alben "Low", "Heroes" und "Lodger" auf.
Dabei war Bowie selbst am Ende, als er aus Los Angelos nach Berlin kam - ausgebrannt, kokainsüchtig und pleite. Nach seinem kometenhaften Aufstieg Anfang der 70-er Jahre war er weltweit ein Superstar - in Berlin bezog er zusammen mit Iggy Pop, den er aus der Psychiatrie in Los Angelos geholt hatte, eine heruntergekommene Altbauwohnung in Berlin-Schöneberg. Radio-Eins-Musikchef Peter Radzun erinnert sich.
"Man hat die ja in Ruhe gelassen. Du bist in ne Kneipe gekommen, meinetwegen ins Harlekin, Vorläufer vom Pinguin, gibt's immer noch in der Wartburgstraße, oder in den Dschungel, da war Bowie - so what, ich spiel selber inner Band. Das war so die Attitüde des rotzigen Westberliners. Das hat denen aber gut gefallen. Niemand sagte Oh Bowie, niemand wollte ein Autogramm haben, niemand hat die zugequatscht, die konnten sich ganz normal bewegen, und die haben das getan. Also in dieser Zei hat man beide, wenn man in der Szene unterwegs war, oft gesehen. Iggy Pop stand am SO 36, wo ich zu der Zeit geDJt habe, hey, I'm Iggy, can I get in? ... Klar konnte Iggy rein. Und der große Mythos, dieser Superstarmythos, der ist ja auch erst in den Jahrzehnten danach entstanden, aber nicht zuletzt aufgrund dessen, was hier in Berlin passiert ist."
Zwei Liebende, die sich an der Berliner Mauer küssen
Dabei entwickelte Bowie in Berlin eine ungeahnte Produktivität. Radzun beschreibt die Atmosphäre in den Hansa-Studios zu dieser Zeit wie eine große musikalische Abenteuerwiese des experimentellen Sounds, wo sich Bowie zusammen mit dem Produzenten und Musiker Tony Viskonti und Roxy-Music-Gründer Brian Eno an neuen elektronischen Klängen und verzerrten Synthi -Rückkopplungen austobten. Das Ergebnis waren drei Alben, die so noch nie da gewesen, ihrer Zeit weit voraus waren - kommerziell aber zunächst eher floppten. Der Titelsong "Heroes" erzählt die Geschichte zweier Liebenden, die sich an der Berliner Mauer küssen - ein Lied, das bis heute als Sinnbild der Opposition gegen politische Unterdrückung weltberühmt wurde. Thilo Schmied, Toningenieur und Bowie-Experte, erzählt die Geschichte:
"Dieses Paar an der Mauer das gibt es ja wirklich. ... das war Tony mit Antonia Maas, eine deutsche Frau die auch Credits hat auf dem Heroes-Album als Backgroundsängerin. Bowie war hier oben mit Coco, mit seiner Assistentin, er hat die beiden gesehen, und dann gab es diese berühmten Zeilen, die sich an die Situation richtet: I remember standing by the wall, and we kissed. Man konnte das aber nicht öffentlich machen, weil Tony verheiratet war, und damit der keinen Ärger kriegt Zuhause, ging das los, als die Presse fragte, worum geht's denn da eigentlich? Ja, da war so ein Paar im Sommer 77, jeden Mittag, und wir dachten so wo kommen die her, und warum treffen die sich jeden Mittag, und viel später hat er dann im Interview gesagt, ich bin jetzt geschieden, jetzt kann ich es sagen: Das war ich!"
Auch Iggy Pops erste zwei Solo-Alben "The Idiot" und "Lust for Life" entstanden unter Bowies Mithilfe teilweise in Berlin. Die Ausstellung - und darin liegt ihre große Stärke - bietet nicht nur eine Retrospektive auf Bowies Leben und Werk - sie bietet Einblick in die immense Kreativität des Künstlers und schaut ihm sozusagen über die Schulter beim Songtexten und beim Entwerfen von Bühnenbildern, Kostümen oder Plattencovern.
Der ewig Getriebene auf neuen Pfaden
1978 verließ Bowie Berlin Richtung Los Angelos - er kehrt noch mehrmals zurück, etwa um 1981 in dem Film "Christiane F." aufzutreten - und 1987 zum legendären " Concert for Berlin" im Rahmen seiner Glass Spider Tour. Im Rahmen ders 750-Jahrfeier Berlin fand ein großes Rockkonzert vor dem Reichstag statt - auf Osterberliner Seite hatten sich zahlreiche Bowie-Fans versammelt, um mitzuhören.
Die Stasi notierte akribisch: "Am 6.6.1987 kam es in der Zeit von 19-22 Uhr zu einer verstärkten Ansammlung dekadent aussehender Jugendlicher. Die Personen führten z.T. Rundfunkgeräte mit und verfolgten die Live-Übertragung der westlichen Massenmedien. (...) Zur Feststellung der Reaktionen der Jugendlichen war eine verstärkte Aufklärungstätigkeit westlicher Journalisten zu verzeichnen."
"Das war wirklich für ihn ein wirklich sehr emotionales Konzert, er sagt zum Beispiel, als er Heroes spielt, konnte er die Leute mitsingen hören und kriegt heute noch eine Gänsehaut wenn er dran denkt."
Erzählt Thilo Schmied. Es kam zu Krawallen und Festnahmen, Rufe nach dem Fall der Mauer wurden laut. Als zwei Jahre später die Mauer tatsächlich fiel, war Bowie der ewig Getriebene, längst in neuer Gestalt auf neuen Pfaden unterwegs.
Doch auf seinem jüngsten Album "The Next Day" setzte er der Mauerstadt Berlin und seiner Zeit dort noch einmal Denkmal - "Where are we now" - fragt er melancholisch und lässt Potsdamer Platz, den Dschungel und die Bösebrücke noch einmal auferstehen. "A man lost in time".
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