Punk-Musikerin Poly Styrene

Jeder Song ein Weckruf

06:09 Minuten
Poly Styrene mit Mikrofon auf der Bühne mit der Band X-Ray Spex. London, 1978.
Poly Styrene (1957-2011) war die Frontfrau von X-Ray Spex und beinflusste zahlreiche Musikerinnen nach ihr. © Getty Images / Redferns / Gus Stewart
Von Diviam Hoffmann · 01.07.2022
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Mit dem Punk traten Frauen auf, die ihre eigenen Songs performten. Eine der auffälligsten Figuren des frühen britischen Punk war Poly Styrene. Sie führte die Band X-Ray Spex an und gilt als erste schwarze Punk-Frau. Am Sonntag wäre sie 65 geworden.
„Manche Leute denken, Mädchen sollte man nur sehen können, nicht hören – aber ich denke: Schiebt euch eure Fesseln doch sonstwo hin!“ Das schreit sich 1977 die gerade mal 20-jährige Poly Styrene im Song "Oh Bondage! Up Yours!" von der Seele. Mit Zahnspange, bunt geschminkten Augen und manchmal schrägen Kostümen führte sie von 1976 bis 1979 die Band X-Ray Spex an.

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„Ich hab den Song nach einem Sex-Pistols-Konzert geschrieben“, sagte Poly Styrene 1977 in einem Interview mit dem australischen Musikkritiker Molly Meldrum über "Oh Bondage! Up Yours!". „Zwei Mädchen hatten sich mit Handschellen aneinander gekettet, als modisches Statement. Durch diese Entscheidung, Ketten zu tragen, haben sie die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, wie gefesselt wir tatsächlich leben. Manche Leute stört das nicht, es gibt ihnen eine Ausrede, nicht nachdenken zu müssen. Sie behaupten, wir leben in einem freien Land, aber das stimmt nicht.“

Punk mit Saxofon

Mit ihrer Band gehörte Poly Styrene zu den ersten Protagonisten des britischen Punk. X-Ray Spex fielen nicht nur mit Styrenes Stimme auf, sondern auch mit dem hupenden Saxofon von der damals erst 16-jährigen Lora Logic.
Die Saxofonistin Lora Logic und die Sängerin Poly Styrene von der Punkband X-Ray Spex, 1977.
Saxofon in der Punk-Band: Lora Logic und Poly Styrene 1977 im Londoner "Roxy".© Getty Images / Redferns / Gus Stewart
Styrene war dabei nicht nur eine der ersten Frauen auf der Bühne, sondern auch der erste schwarze Punk der Geschichte. Das sagt Vivien Goldman, die damals als Journalistin und Musikerin in London gelebt hat und heute an der New York University Punkgeschichte lehrt: „Sie war zwar nicht unbedingt die erste Frau auf einer Punk-Bühne, aber sie war der erste schwarze Punk und eine Frau. Damals war das sehr ungewöhnlich im Punk. Aber viel wichtiger waren ihre ungestüme Intelligenz, ihr großartiger Humor und ihre unglaubliche Musikalität. Sie war eine Visionärin!“

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In Songs wie „Identity“ erforscht die als Marianne Joan Elliott-Said geborene Poly Styrene ihr eigenes Identitätsverständnis. Ihre Mutter war Britin, ihr Vater kam aus Somalia.

Ein künstlicher Name

Ihren Künstlernamen hat Said in den Gelben Seiten gefunden, auf der Suche nach „something plastic“. Künstlich wie ein Popstar. Auf Deutsch heißt „polystyrene“ Polystyrol, ist aber eins dieser Dinge, die man nur unter dem Namen kennt, den eine Firma ihrem Produkt gegeben hat: Styropor.

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„Wenn ich mein Make-up auflege, diese schöne, kleine Maske, die ich nicht bin, sehe ich so aus, wie ein Mädchen sein sollte – in der Konsumgesellschaft.“ Das singt Poly Styrene in „Art-I-Ficial“.
All diese Songs stammen vom einzigen Album, das X-Ray Spex Ende der 70er-Jahre aufgenommen haben: „Germfree Adolescents“. Der Titel spielt mit den Reinheitsfetisch der Jugendlichen damals und kritisiert Pseudo-Moralvorstellungen.

Galionsfigur für Musikerinnen

1979 lösten sich X-Ray Spex vorerst auf, ein Jahr später erschien das erste Soloalbum von Poly Styrene. Darauf zeigt sie, dass ihr unkontrolliert lauter Punkgesang nichts damit zu tun hat, dass sie nicht auch melodisch singen kann. Von einem Saxofon begleitet wird sie weiterhin.
2011 starb Poly Styrene an Brustkrebs. Zu ihrem Tod schrieb Kathleen Hanna von Bikini Kill, sie kenne keine Musikerin, die nicht von ihr beeinflusst gewesen sei. Poly Styrene war eine der Galionsfiguren einer Bewegung, die nicht nur die Fesseln der 70er-Jahre-Gesellschaft einreißen wollte, sondern auch neuen Rollenbildern in der Musik die Türen öffnete.
Punk-Professorin Vivien Goldman sagt: „Ihre Songs sind wie ein Weckruf: Vereinigt euch! Macht die Kunst, die ihr machen wollt. Findet euren Weg. Lebt das Leben, das ihr leben wollt, auch wenn es für euch nicht bestimmt war."
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