Doku "Sisters with Transistors"

Eine feministische Geschichte der elektronischen Musik

10:48 Minuten
Eine Frau steht in einem Raum mit vielen elekronischen Geräten. Sie hat welliges Haar und trägt eine Brille.
Daphne Oram war die erste Frau, die ein elektronisches Musikinstrument konstruierte. Sie ist eine der Pionierinnen, die Lisa Rovner in "Sisters with Transistors" vorstellt. © Daphne Oram Trust
Lisa Rovner im Gespräch mit Juliane Reil · 07.02.2022
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Prägende Figuren der elektronischen Musik, und doch vergessen: Der Film „Sisters with Transistors“ stellt Pionierinnen des modernen Klangs vor. "Ich wollte die Stille brechen, die ihre Geschichte umgibt", sagt Regisseurin Lisa Rovner.
Juliane Reil: Was hat dazu geführt, dass Sie diese Doku über unterrepräsentierte Frauen in der elektronischen Musik machen wollten?
 
Lisa Rovner: Ich habe diese Frauen so entdeckt, wie man viele Dinge entdeckt. Sie sind mir zufällig begegnet, aber ich war sofort fasziniert – insbesondere von den Fotos dieser Frauen mit ihren Maschinen.
Der Auslöser für die Dokumentation "Sisters with Transistors" – warum ich die Geschichten dieser Musikerinnen erzählen wollte – ist ganz einfach: Ich wollte selbst begreifen, wie wichtig diese Frauen für den Soundtrack unseres Lebens sind.
Ich wollte die Stille brechen, die ihre Geschichte umgibt. Denn mir wurde klar, wie stark der Einfluss dieser Frauen auf unser Leben ist – vom Klingeln unserer Handys oder dem "Pling“ einer Textnachricht bis zu der Musik, die uns zum Tanzen, Weinen oder Nachdenken bringt. Ihre Experimentierfreude, Klänge und Musik haben so einen großen Einfluss.

Frauen mit Strahlkraft


Reil: Die Dokumentation erzählt die verblüffende Geschichte der Pionierinnen der elektronischen Musik. In einer virtuosen Mischung aus Archivmaterial, Interviews und visionärer Musik. Sie stellen ungefähr zehn Frauen vor. Daphne Oram hat als erste Frau ein elektronisches Instrument gebaut. Suzanne Ciani gilt als „Diva der Diode“ und ist bis heute ein Star. Sie hat für die Werbung und Filme synthetische Musik geschrieben. Und Wendy Carlos hat mit ihren Soundtracks zu Kubrick-Filmen wie „The Shining“ den Synthesizer ins Rampenlicht gerückt. Was haben alle diese Frauen gemeinsam?
Rovner: Das waren Frauen mit Strahlkraft. Das waren Frauen, die wirklich unabhängig waren. Ihre Geschichte sind Geschichten der Befreiung und der Beharrlichkeit. Damit konnte ich als weibliche Filmemacherin viel anfangen.

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Für mich als junge Frau, die kreiert, war es einfach toll und wichtig, andere junge Frauen, die kreieren, zu entdecken. Bei mir war so viel davon begrenzt, dass ich dachte, dass vor allem Männer Künstler seien. So bin ich geprägt worden. Deshalb war es total inspirierend, dass es auch Frauen gab, die auf diese radikale Weise kreativ waren.

Eine feministische Neuerzählung


Reil: Ist "Sisters Of Transistors" ein feministischer Film?
Rovner: Es ist ein feministisches Re-telling – eine neue feministische Erzählung – der Geschichte der elektronischen Musik. Ich habe Politikwissenschaft studiert, und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wie Politik Geschichte beeinflusst: Damit meine ich, wie Geschichte erzählt wird. Wessen Geschichten werden erzählt? Und wessen Geschichten werden ausgeblendet? Deshalb, ja: Ich wollte eine feministische Geschichte der elektronischen Musik erzählen.
Reil: Wenn Sie eine dieser Frauen aus Ihrem Film wählen müssten: Welche hat sie am meisten beeindruckt?

Rovner: Das ist echt eine schwere Frage, aber wahrscheinlich hat mich Laurie Spiegel am meisten beeindruckt. Im Film sagt sie, dass Musik für sie von schwarz-weiß auf einmal zu Farbe wurde, nachdem sie elektronische Musik für sich entdeckt hatte. Sie spricht davon, dass der Straßenverkehr sich auf einmal anders anhörte.

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Damit kann ich mich total identifizieren. Es ist ein Gefühl, als ob mich das Arbeiten an diesem Film für immer verändert hat. Seit ich diese Frauen kenne, ihre Geschichten und ihre Musik, höre ich anders. Ich möchte inklusiver sein in meinem Hören. Und das ist das Größte, was ich mitgenommen habe, wie wichtig das aktive Hören und Zuhören ist.


Nahrung für junge Frauen

Reil: In den 1970er-Jahren zählte Laurie Spiegel zu den Pionieren der Computermusik in New York und verwendete Algorithmen für ihre Kompositionen. In der Doku gibt es eine Aufnahme von ihr, wie sie als ältere Frau Tauben füttert. Haben Sie die Aufnahme von ihr gemacht?

Rovner: Ja, der Film endet mit ein paar Frauen der elektronischen Musik, die noch am Leben sind. Laurie Spiegel war immer eine Feministin, und sie war immer von der Natur fasziniert. Sie füttert jeden Tag Tauben. Ich fand, dass dieses Bild auf symbolischer Ebene sehr schön war für das Ende des Films. Diese Frau, die Vögel füttert. Für mich sind Vögel ein Bild für Frauen. Ich deute sie so. Deshalb wollte ich den Film so enden lassen. Das Wissen um diese Frauen der elektronischen Musik kann junge Frauen ermutigen, es kann sie im übertragenen Sinne „nähren“.
Reil: Es gibt viel tolles Archivmaterial. Interviewaufnahmen mit den Stimmen der Musikerinnen, die im Film vorgestellt werden: Filmmaterial, das Wendy Carlos zeigt, wie sie Bach auf einem Synthesizer spielt; oder Suzanne Ciani, die mit Sounds für eine Cola-Werbung experimentiert. Wie schwierig war die Recherche?

Rovner: Die Recherche hat am längsten gedauert. Ein paar Dinge gingen schnell: Zum Beispiel die Recherche zu der britischen Filmkomponistin Delia Derbyshire, die ab den 1960er-Jahren für die BBC gearbeitet hat. Sie hat experimentelle Werke geschrieben, aber auch die Titelmusik zu der britischen Fernsehserie „Doctor Who“.

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Ähnlich war es bei Daphne Oram, die in den 1940er- und 1950er-Jahren wirkte, ein eigenes Musikinstrument baute und eine eigene Methode entwickelte, durch Zeichnungen Töne zu erzeugen. Beide waren von der BBC gefilmt worden, wie sie ihre Arbeiten erklären und in ihren Klanglaboren arbeiteten.

Andere Recherchen haben Jahre gedauert, das war schon Detektivarbeit: Ich habe Biografien gelesen oder ich habe versucht, überhaupt herauszubekommen, wo bestimmte Musikerinnen gewirkt haben. Ich habe versucht, Leute zu finden, die sie kannten. Manchmal war das, als ob man ehemalige Liebhaber sucht, die vielleicht noch ein Bild von der Person haben. Das war teilweise extrem mühsam, weil es einfach kein Archiv gab.

Bei dem Film war es mir vor allem wichtig, dass ich nah an der radikalen Natur des Themas bleibe, nah an den Personen, deren Geschichte ich erzähle. Ich wollte keine unbeteiligten Sprecher.
Ich wollte eine Oral History der Protagonistinnen und diese mündliche Geschichte sollte mit Bildern illustriert werden. Und es gab ja viele Interviews von ihnen, die im Film zusammengetragen werden. Ich wollte Ihre Stimmen hörbar machen. Der Film basiert auf dem, was diese Frauen sagen und erzählen. Das Ergebnis ist quasi eine Oral History.


Laurie Anderson aus dem Hintergrund

Reil: Es gibt viele Interviewaufnahmen der Musikerinnen selbst, die der Film zeigt. Mit einer Ausnahme: Manchmal taucht eine Erzählerin auf und das ist die Stimme von Laurie Anderson, die selbst als Ausnahmekünstlerin gilt. Wie kam es dazu, dass sie im Film ist?

Rovner: Ich wollte, dass Laurie Anderson in dem Film ist. Sie ist für mich seit meiner Kindheit eine Heldin. Sie hat nicht ganz in diese Riege von Frauen aus dem Film gepasst, deren Geschichte so unbekannt ist. Viele Leute kennen sie ja.
Aber sie schien mir trotzdem die Richtige, weil sie auch eine unabhängige Künstlerin ist. Ich nahm also Kontakt zu ihr auf, sie war enthusiastisch und hatte tatsächlich Lust mitzumachen.
Das Voiceover habe ich mit ihrer Stimme im Kopf geschrieben. Es ist eher karg und ganz anders als ein klassisches, didaktisches Voiceover mit Infos, Daten und Fakten. Es ist individueller auf sie abgestimmt – poetischer.
Ich finde, sie kann unheimlich gut über Politisches sprechen, sodass es einen abholt und man wirklich angesprochen wird. Es sollte unterhaltsamer sein, und es sollte Neugierde hervorrufen.
Und was mir noch wichtig ist: Es ist keine „definitive“ Geschichte der elektronischen Musik. Die gibt es nicht. Die Doku ist nur der Beginn einer Suche, einer Recherche. Mit dem Voiceover wollte ich Neugierde auslösen.

Reil: "Sisters with Transistors" endet mit den Perspektiven von Frauen, die derzeit in der elektronischen Musik arbeiten, Holly Herndon etwa. Glauben Sie, dass der Film eine junge Generation von Frauen inspirieren kann, elektronische Musik zu machen? 

Rovner: Ich hoffe das sehr. Ich finde es toll, was Holly Herndon im Film sagt. Sie meint, dass es etwas mit dem Selbstbewusstsein macht, wenn man sich selbst in den Leuten erkennt, die gefeiert werden. Das ist so wichtig.
Ich bekomme so viele Nachrichten von Frauen, von jungen Frauen. Sie fühlen, dass ihre Arbeit durch den Film Wertschätzung erfährt, indem die Geschichten dieser Frauen der elektronischen Musik erzählt wird. Frauen, die mit ihnen in einer Traditionslinie stehen.

Ich hoffe, dass die Leute neugierig durch den Film werden. Und dass jeder irgendwann ein elektronisches Instrument in die Hände nimmt. Nicht nur Frauen, sondern jede Person.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Lisa Rovners "Sisters with Transistors" läuft am 20. Februar um 23.35 Uhr auf arte. Der Film ist schon jetzt und noch bis Ende März 2025 in der Mediathek des Senders zu sehen.

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