Polnischer Schriftsteller

Gombrowicz und seine Deutschen

Ansicht des Brandenburger Tors vom Pariser Platz aus, davor zerstreut Menschen, dahinter in der Flucht die Siegessäule
Witold Gombrowicz und Ingeborg Bachmann sollten der separierten Stadt Berlin in der Nachkriegszeit Glanz verleihen. © dpa / Jens Kalaene
Von Arkadiusz Luba · 20.05.2014
Vor 51 Jahren kam der polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz nach jahrelangem Exil in Argentinien zurück nach Europa, nach West-Berlin. Die Akademie der Künste widmete einem der bedeutendsten und außergewöhnlichsten Autoren Polens nun eine Lesung und ein Gespräch.
"[...] dieses Berlin der Nachkriegszeit musste in meiner polnischen Seele einen Sturm entfachten – der Rachsucht, des Grauens, der Sympathie und Bewunderung, Verdammung, Angst, Anerkennung, Freundschaft und Feindseligkeit. [...] Aber nein. [...] Berlin wurde mir zum inneren Abenteuer."
So schrieb Gombrowicz in seinem "Tagebuch", das er in der polnischen Exil-Zeitschrift "Kultur" veröffentlichte. Die geteilte Stadt hat ihn philosophisch, aber auch erotisch inspiriert. Vor allem die Jugend, von der er – der angeschlagene 60-Jährige – fasziniert war. Das zeigen seine "Berliner Notizen" ebenso wie das kürzlich in Polen veröffentlichte intime Tagebuch unter dem Titel "Kronos".
"Ständige Erregung. [...] Anbändeln im Restaurant. Tomcio [...] Am 12. Günter, am 13. Krise im Restaurant und mit Tomcio, Furcht vor Tripper, Nerven. Günter kommt nicht. An einer Bahnstation mit Günter II. [...] Wieder Günter II. [...] Ein Student am Hansaplatz. [...] Wieder Günter II (am 21.06.). [...] Herman (Hansaplatz), ein Literat. [...] Am 24. wieder Günter 2."
Beweis seiner Existenz
Es sind reduzierte, autoreflektierte und überraschend direkte Aufzeichnungen Gombrowiczs Existenz. Rita Gombrowicz, die Witwe des Schriftstellers, sieht es ähnlich:
"Es ist ein Beweis seines Lebens. Demnach ist 'Kronos' für mich kein literarisches Werk, sondern ein Dokument. Diese intimen Notitzen gehörten immer zu meinem Leben, sie waren immer mit mir. Alles, was ich für Witolds Werk machte, machte ich, als ob Witold immer dabei wäre."
Berlin hat Gombrowicz vor allem in seiner Sexualität befreit. Er selbst stand dazu in einer gewissen Ambivalenz. Auch wenn man schon zu seinen Lebzeiten spekulierte, er sei bisexuell, wollte er es nicht zugeben und hat es verdrängt. Sein Übersetzer ins Deutsche Olaf Kühl nannte die Gombrowicz'sche Schreibweise "Stilistik einer Verdrängung". Erst in Berlin schrieb der Schriftsteller offen über seine Triebe, wie in diesem Brief an einen Freund:
"[...] eine schreckliche Anwandlung von Päderastie, ich mache nichts als das, mit bislang vier kleinen Deutschen gleichzeitig, mein Gott, und das in meinem Alter!"
Gombrowicz provozierte gerne. Er sprach künstlich, nasal und spielte einen Schulmeister. Dies, wie auch seine Zuneigung zu einem spezifischen Maskenfest, bestätigt die Fotografin Zuzanna Fels, die ihn in Berlin kennen gelernt hat:
"Er hat ja Masken getragen. Und je nachdem wen er vernichten wollte, da hat er eben noch höher seine Nase gehoben. Intimität wollte Gombrowicz nicht. Weil er dann zum ersten Mal rausbrachte, dass er homosexuell ist. Für uns war Gombrowicz nur als Schriftsteller und eine seiner Sexualität hat in keiner Weise uns weder inspiriert noch irgendwas. Nur das Einzige, dass wir als junge Leute in dann bewundert dagesessen."
Die literarische Boheme hatte kein Interesse
Sein aristokratischer Hochmut hat die linken Berliner irritiert. Er hoffte, unter ihnen berühmt zu werden. Die literarische Boheme hatte jedoch kein Interesse für Gombrowicz und hielt sich mehr oder weniger fern. Der "Spiegel" nannte ihn damals einen "Kosmopolen", die "Frankfurter Rundschau" einen sensiblen Polen aus der Pampa. Die FAZ hob sein langjähriges Exil in Argentinien hervor und nannte ihn einen "Patagonier in Berlin". Der Publizist Klaus Völker, Gombrowiczs erster Kontakt in Berlin und sein enger Vertrauter, spürte seine Egomanie und Eitelkeit sehr oft:
"Ich glaube nicht, dass das ein inszeniertes Selbstbewusstsein war. Sicher hat er eine Fähigkeit gehabt, sich auch von Außen anzugucken oder das zu genießen, dass er ist der Witold Gombrowicz. Und dann sagte er ‚mon cher, Gombrowicz, c'est la fin!'; also: ‚Gombrowicz und das reicht völlig!'. Ich habe ihn als sehr freundlichen und auch sensiblen Menschen kennen gelernt."
Nachdem er sich in seinen Werken mit der Philosophie der Form beschäftigt und mit polnischen romantischen Mythen abgerechnet hatte, war Berlin für den Autor von "Pornographie" und "Trans-Atlantik" eine politische, kulturelle, ökonomische oder metaphysische Angelegenheit. Er sah die Stadt durch den zweiten Weltkrieg entpoetisiert. In seinen Notizen wühlte er gerne in diesen Wunden. Und dennoch sah er in den Deutschen Potenzial zu einer neuen Poesie:
Traum von Ruhm und Reichtum ging nicht auf
"Der Deutsche ist als solcher offenbar ein Wesen, das für das Hässliche wie das Schöne gleichermaßen empfänglich ist. | Die Liebe zu Wissenschaft und Technik stößt ihn nicht selten in völlige ästhetische Unempfindlichkeit, fettweiß, schwerfällig, abstrakt, mit Brille, Bier und Notizblock – dann aber treiben ihn seine unsterbliche lyrische Ader und Romantik wieder den Musen in die Arme."
Ein Traum von Ruhm und Reichtum ging für Gombrowicz in Berlin nicht auf. Seine Asthma-Probleme verschlimmerten sich wegen dem hiesigen kontinentalen Klima, Herzprobleme kamen dazu. Er verließ die Stadt "völlig entkräftet" und enttäuscht und zog in seinen intimen Notizen ein Resümee:
"GESUNDHEIT: Schlimm mit dem Herz [...] weiteres Vergreisung. LITERATUR: ‚Kosmos' fast abgeschlossen, ‚Tagebuch', ‚Trans-Atlantyk', großer Sprung, Hausse. EROTIK: beschränkt. [...]"
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