Schluss mit polnischer Nörgelei

Von Sabine Adler · 03.06.2013
Die "Gazenta Wyborcza" und das "Polskie Radio" wollen ihren Landsleuten Heiterkeit und Optimismus vermitteln und mit dem Klischee des pessimistischen Polen aufräumen. Die Parole "Der Adler kann es" soll den Stolz der Nation wecken.
In Polen wird heute der ersten freien Wahl nach dem Kommunismus erinnert. Richtig stolz sind die Polen aber noch nicht einmal an einem solchen Tag. Damit das Land endlich lernt, besser über sich selbst zu denken und zu reden, starteten Politik und Medien eine Image-Kampagne.

Keine Frage, auf den bei Warschau geborenen Meisterkomponisten Chopin sind die Polen stolz.

"Nichts geschieht zwei Mal, deshalb leben und sterben wir ohne Übung, ohne Routine", dichtete die Poetin Wislawa Szymborska, die Polen den vierten Literaturnobelpreis bescherte. Lech Walesa, dem Solidarnosc-Mitbegründer wurde vor 30 Jahren der Friedensnobelpreis verliehen. Und nie war ein Pole so wertvoll wie heute: Der vierfache Borussen-Torschütze Robert Lewandowski trug die Nation in den siebten Himmel.

Kurzum, die Polen haben keinen Anlass, sich zu verstecken, in Sack und Asche zu gehen. Aber sage ihnen das einer mal - ihnen, die schon auf die Frage "Wie geht’s?", antworten: "So schlecht wie immer".
Polen sind perfekte Pessimisten. Dabei hatte sie dank Solidarnosc die ersten freien Wahlen im Ostblock. Schönfärber haben keine Chance, denn die zerstören das Selbstbild von der nörglerischen, aufgeblasenen, gelangweilten Nation, die alles übelnimmt, schlecht redet, über andere neidisch und eifersüchtig wacht. Dies war jetzt keineswegs die Beschreibung von Friedrich dem Zweiten, der die Polen verabscheute, weshalb die dessen 300. Geburtstag voriges Jahr mit Nichtachtung straften, sondern Worte, mit denen eine der wichtigsten Zeitungen, die Gazeta Wyborcza, ihre Leser, unsere Nachbarn charakterisierte. Auch der Radioredakteurin Magda Jethon sind ihre Landsleute entschieden zu ernst:

"Wir Polen sehen uns als Griesgrame, die nicht merken, was wir haben, sondern nur sehen, was uns fehlt. Kleine Dinge freuen uns nicht. Unsere Aktion sollte versuchen das zu ändern. Wir wollten das Potential der Polen zeigen, dass wir fähig sind zu fantastischen außergewöhnlichen Dingen, die unseren Stolz wecken. Und wir wollten daran erinnern, dass man Optimismus, Lächeln lernen kann."

Während sich ganz Europa durch die Krise quält, turnte Polen immer im Plus. Der Kommentar unserer Nachbarn: Noch wächst die Wirtschaft, aber schon bald langsamer und dann gar nicht mehr.

Die Polen sind Weltmeister im Miesmachen. Weil sich das schleunigst ändern soll, hämmerte die "Gazeta Wyborcza" zusammen mit dem "Polskie Radio" den Polen ins Hirn: "Orzel moze", zu Deutsch: "Der Adler kann es".

"Ob du schlau bist, eine Brille trägst, ein Bauer, der Getreide sät, dich stilisierst wie König Sigismund – du kannst alles, denn du bist ein Adler, der Adler kann es."

Gleich zu Beginn der Aktion meldete sich einer der Obermiesepeter des Landes zu Wort: Jaroslaw Kaczynski. Ihm passte nicht, wie Bronislaw Komorowski den Tag der Verfassung in seinem Schloss feierte. Der Staatspräsident beteiligt sich an der Orzel-moze-Adler-Aktion, und stellte vor dem Präsidentenpalast in der Warschauer Fußgängerzone einen Adler zum Naschen auf. Aus Schokolade, heller, schließlich ist Polens Adler weiß.

Sterben für die Freiheit

Der Oppositionspolitiker Kaczynski konnte dieser Gestalt gewordenen Vaterlandsliebe der Warschauer Konditoren nichts abgewinnen, zog stattdessen ein saures Gesicht wegen der angeblichen Verspottung des Patriotismus, Verschwörung und Entweihung nationaler Symbole. Die Polen, so die Organisatoren der Adler-kann-es-Kampagne, die Polen sehnen sich zwar nach Freiheit, sie sind sogar bereit, für sie zu sterben, aber sich an ihr freuen, gelingt ihnen nicht.

Chopins "Nocturne opus 20" war die Musik der stolzen Warschauer, die lieber kein Radio mehr hörten, als ein von den deutschen Besatzern gemachtes.

Überhaupt findet der Journalist Bratkowski in einer der in den vergangenen Wochen zahlreichen Selbstwert-Diskussionen, sei den Polen etwas abhanden gekommen, worüber sie früher durchaus verfügten:
"Wir können nicht über unsere Erfolge sprechen. Das ist eine verbreitete Krankheit. Jetzt wird von uns gesagt, dass wir ein Volk der Nörgler sind. Dabei waren wir während der Okkupation und des Stalinismus eine heitere, witzige Gesellschaft, die Humor hatte, was half, die Besatzer zu ertragen."

Marie Curie Sklodowska schaffte das Kunststück, innerhalb von zwei Jahren zwei Nobelpreise zu bekommen, den ersten für Chemie, den zweiten für Physik. Doch das ist mehr als hundert Jahre her. So erklingt beim Fahnden nach Erfolgen immer sofort ein Aber: Professorin Magdalena Fikus, Biologin an der Akademie der Wissenschaften ist keine Ausnahme.

"Ich habe den Eindruck, dass die polnische Wissenschaft ein Flachland mit einigen Aufschüttungen ist. Unsere Hochschulen und Technischen Oberschulen sind gut, aber es gibt einen Mangel an Werkstätten, Ausrüstung, Versuchsanlagen. Wenn es um Nobelpreise geht, werden wir noch lange warten, weil man dazu Investitionen benötigt."

Der polnische Autor Witold Gombrowicz, der im Exil schrieb und starb, wäre zufrieden mit den Polen, wie sie jetzt sind: voller Selbstzweifel und übertriebener Bescheidenheit. Die Selbstwert-Kampagne hätte er wohl suspekt gefunden. Veranstaltungen dieser Art nannte er "nationale Gottesdienste", verglich die Redner mit Bettlern, die sich damit brüsten, dass ihre Verwandten einen Gutshof hatten.

Quatro-Torschütze Robert Lewandowski darf gern für Borussen oder Bayern oder wer auch immer die Millionen für ihn zahlt spielen, aber nicht, wenn die Nationalmannschaft antritt. Da wollen ihn die Polen für den Adler rennen sehen, ihren weißen, nicht den schwarzen deutschen.