Polnische Blinys und Wiener Guglhupf

Von Anna Soucek |
Im jüdisch geprägten zweiten Bezirk in Wien, der einstigen "Mazzeinsel", gibt es viel zu entdecken. Die Historikerin und Religionswissenschaftlerin Katja Sindemann hat viel zu erzählen und hat unter anderem ein Kochbuch mit koscheren Rezepten herausgebracht.
An den Speisen, die in einem jüdischen Haushalt in Wien gekocht werden, kann man die Wurzeln der Familie erkennen. Da kann als Vorspeise ein russischer Borscht auf den Tisch kommen, danach gibt es polnische Blinys und als Dessert einen altösterreichischen Gugelhupf.

"Fast jede Wiener Familie hat gallizische Urgroßmutter, einen polnischen Großvater – da werden die Küchengerichte tradiert. Es ist eine sehr starke Matrilinearität. Übermittelt an ihre Kinder auch die Küchenrezepte."

Zu einem Codewort für die jüdische Küche ist eine typische Schabbatspeise geworden, die durch osteuropäische Juden verbreitet wurde: Gefilter Fisch, also in Gelee eingelegte Bällchen aus Fischpüree. Am Schabbat dürfen orthodoxe Juden nicht arbeiten, also auch nicht kochen oder ein Herdfeuer zum Aufwärmen vorgewärmter Speisen anzünden. Gegessen werden daher kalte Gerichte, wie eben der Gefilte Fisch, oder auch der Tscholent, ein über mehrere Stunden auf kleinstem Feuer köchelnder Eintopf.

Unterschieden wird zwischen sephardischer Küche, die von orientalischen und mediterranen Einflüssen und Nahrungsgewohnheiten geprägt ist, und aschkenasischer Küche. Aschkenasen werden deutsch oder jiddisch sprechende Juden genannt, die seit dem Mittelalter in Ost- und Mitteleuropa beheimatet sind.

"Der ganze Betrieb ist Aschkenas, europäische Küche. Ich werde manchmal aufgefordert: mach doch Sushi, dann sage ich: das bekommst du beim Chinesen."

Schalom Berenholz betreibt das Restaurant "Alef Alef" in der Wiener Innenstadt sowie einen florierenden Cateringbetrieb. Gekocht wird in einer koscheren Großküche im zweiten Bezirk in Wien – bis zu 1.500 Portionen können hier zubereitet werden. Berenholz kocht für Veranstaltungen wie Bar Mizwas und Hochzeiten; mit seinen koscheren Menüs beliefert er aber auch Wiener Hotels und Fluglinien.

"21 Menüs, alles kalt, so wird es gemacht. Israel, New York, Businessclass auch."

Eine Küchengehilfin verteilt Schokoladekuchen auf die kleinen Flugzeug-Schüsseln, eine andere belegt unterdessen rund ausgeschnittenes Sandwich-Brot.

"Ein Stück Lachs, eines Humus und eines Tuna."

Kontrolliert wird die koschere Produktion von einem Rabbiner. Er gewährleistet die Einhaltung der jüdischen Speisegesetze, auf Hebräisch Kaschrut, und er ist von Dienstbeginn bis –ende in der Küche anwesend.

"Er macht auf, er macht zu."

"Koscher" heißt auf hebräisch "rein" und bezieht sich auf Lebensmittel, auf die Zubereitung der Speisen, die Einrichtung der Küche, die Handhabung der Küchenutensilien und auch auf die Art der Tierschlachtung. Grundsätzlich gilt eine strikte Trennung von Fleisch- und Milchprodukten. Auch in der Großküche von Schalom Berenholz gibt es eine Küche für milchige und eine eigene für fleischige Nahrungsmittel.

"Das heißt: wir können nicht kochen mit Sahne, Butter. Wir haben Margarine. So ist einer der Unterschiede. Das sieht man der Küche nicht an, aber zum Beispiel Eier öffnen, ob kein Blut drinnen. Das Gemüse, ob keine Würmer drinnen sind. Richtig mit Mittel, das es putzt."

Pflanzliche Nahrungsmittel – außer Wein, der von Nichtjuden gekeltert wird – gelten grundsätzlich als rein. Gemüse und Obst werden daher im normalen Handel eingekauft. Die meisten anderen Zutaten bezieht Berenholz von lokalen koscheren Supermärkten.

"Gottseidank in letzten Jahren in Wien so entwickelt, dass es vier größere koschere Supermärkte gibt. Ich habe keine Zeit zu spielen mit Zoll. Sie bringen Produkte von ganzer Welt. Das ist wirklich in letzter Zeit leicht geworden, weil die bringen wirklich alles."

"Das was gefragt ist, wir haben fast alles hier. Wenn ein Kunde etwas bestellt, ist es innerhalb von zehn Tagen da. Kein Problem. Gottseidank, in Israel gibt es alles."

Der koschere Supermarkt "Hadar" befindet sich am Karmelitermarkt im zweiten Bezirk. Burgenländische und israelische Weine stehen in den Regalen, frisches Gebäck und Bohnenmischungen für den Tscholent. Sämtliche Lebensmittel sind auf der Verpackung als koscher gekennzeichnet.

"Je nach Orthodoxie-Grad werden unterschiedliche Stempel ausgegeben. Fast am bekanntesten Orthodox Union. 20 Rabbiner in China Lebensmittel-Fabriken kontrollieren."

erzählt Katja Sindemann. Wer die jüdische Küche kennenlernen und sich das Kochen ersparen möchte, wird in der Tiefkühlabteilung des koscheren Supermarktes fündig. Eingelegte Heringe, Hühnerwürstchen, Kartoffelboreks und Gemüsesamosa gibt es hier. In einem Regal mit Konserven stehen nur noch wenige Gläser mit der Aufschrift "Gefilter Fisch". Katja Sindemann greift nach einem der letzten – jedoch nicht, um sich vor der aufwändigen Zubereitung zu drücken, wie sie sich zu erklären beeilt.

"Da werde ich ein Glas kaufen, habe auch schon Karpfen bestellt. Das ist nur die Ersatzvariante. Bevor ich am Sonntag dastehe und nichts in Händen habe, kaufe ich lieber noch ein Reserveglas."

Nach Feiertagen wie Rosh Hashana, Jom Kippur und Chanukka geordnet hat Sindemann Rezepte für Klassiker der jüdischen Küche. Beschrieben sind jüdisch interpretierte Speisen, die auch in anderen Kulturkreisen gewidmeten Kochbüchern zu finden sind. Das "Mazzesinsel Kochbuch" versteht die Autorin als Hommage an eine Kochtradition, die seit Jahrhunderten besteht und in ihrer Vielfältigkeit die Diaspora der Juden reflektiert. Angereichert ist das Kochbuch jüdischen Witzen rund ums Thema Kochen und Essen, die zuweilen Nostalgie und Familientradition, sowie die strengen Auflagen der jüdischen Küche auf die Schaufel nehmen.
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