Koscher und lecker kochen

Von Gerald Beyrodt · 18.09.2009
Liebe geht durch den Magen und Religion auch: Die jüdische Küche hat eine Fülle von eigenen Rezepten - für den Alltag, für den Schabat, für die Feiertage. Jetzt hat der Direktor des Berliner Centrum Judaicum Hermann Simon zusammen mit seiner Frau, der Englisch-Dozentin Debora Simon, jüdische Familienrezepte zusammengetragen. Gerald Beyrodt durfte dem Ehepaar in den Kopftopf schauen.
Debora Simon: "Jetzt trenne ich die Leber in zwei Stück, und brate zunächst die Zwiebel an, hm, duftet auch sehr schön, bis sie glasig sind, dann kommt die Leber dazu, und jetzt lasse ich das in der Pfanne, bis das schön braun wird. Man könnte ein bisschen Salz draufstreuen, aber das werde ich zum Schluss lieber machen."

Gehackte Hühnerleber - eins von Debora Simons Leibgerichten. Die gebürtige Kanadierin hat in ihrer Kindheit ihrem Vater beim Kochen über die Schulter geschaut, der wiederum hatte das Rezept aus Wien mitgebracht. Einflüsse aus vielen Ländern Mittel- und Osteuropas sind in Debora und Hermanns Familienrezepten zu finden: aus Polen und Ungarn, aus Deutschland und aus Österreich.

Auch Hermann Simon verbindet mit dem Thema Kochen Kindheitserinnerungen: Er wuchs in Ost-Berlin auf. Besonders interessant fand er als kleiner Junge die Brote, die seine Mutter vor dem Schabat buk; die Challot oder Barches, wie man damals sagte.

Hermann Simon: "Meine Mutter hatte immer einen Topf mit Wasser, den sie zum Kochen brachte, und dann hatte sie eine Schüssel, und dann stand der Teig da drauf, und dann musste der Teig gehen, also das ist mir in deutlicher Erinnerung, und natürlich dann verbunden mit dem Geruch, der dann so aus dem Backofen kam. Ich stand schon relativ häufig in der Küche rum, da fiel ja auch das eine oder andere ab, das war glaube ich der tiefere Grund. Da erinnert man sich doch an die Teigschüssel, die man auslecken durfte."

Von Beruf lehrte die Mutter Marie Simon an der Ost-Berliner Humboldt-Universität Philosophie und Klassische Philologie. Genauso gut wie mit dem Naturbegriff der Stoiker und der Geschichte der jüdischen Philosophen kannte sie sich in der Küche aus. Bevor sie etwas in den Backofen schob, sagte sie leise folgenden Spruch auf.

"'Werd nicht zu grob, werd nicht zu klein, werd nicht zu groß, werd nicht zu klein, den Zoijnim zum Trotz, den Feinden zum Trotz, sollst du geraten, ob Kuchen du bist oder Braten'. Und sie hat mir mal irgendwann gesagt, wenn sie diesen Spruch vergessen hat, dann ist auch das Essen nichts geworden. Heißt übersetzt, dass der Tag so hektisch war, dass sie, keine Ahnung, das Salz vergessen hat, im Barches die Hefe."

Heute ist Hermann Simon in der Küche bekennender Fan seiner Frau. Kritisieren würde er sie nie, betont er.

"Also stiller Kritiker, das traue ich mich ja gar nicht, da ich ja auch den nächsten Tag versorgt werden will. Ich koche eher mit, ich bin dann eher fürs Grobe zuständig, also Kartoffelschälen oder auch mal reiben, aber ich kann kochen, also wenn irgendwie Not am Mann ist, wenn meine Frau verhindert ist, oder als die Kinder noch kleiner waren, dann habe ich auch gekocht. Und die Kinder haben das immer dann quittiert: Es ist sehr einfach, aber es schmeckt gut."

Der jüdischen Tradition zufolge darf man am Schabbat nicht arbeiten, darf kein Feuer machen, keinen Herd betätigen, keinen Lichtschalter benutzen. Die jüdische Küche hat sich darauf eingestellt, mit Rezepten, bei denen der Ofen schon vor Sonnenuntergang eingeschaltet wird.

"Da wendet man Tricks an und die langsame Küche, das langsame Kochen, so dass man alles vorbereiten kann. Gibt verschiedene Aufläufe, das bereitet man vor unter Sonnenuntergang vor, dann kann es in den Ofen, bei sehr, sehr kleiner Temperatur. Scholent zum Beispiel wäre so was. Da gehört Fleisch, Rindfleisch, und Bohnen und Kartoffeln wird genommen in der Regel mit Flüssigkeit und verschiedene Gewürze, Sachen, die so die Flüssigkeit langsam, langsam aufnehmen und richtig schön saftig - ist ein wunderbarer Eintopf. Mit Backpflaumen wird das etwas orientalischer oder mit Aprikosen. Viele Stunden, zwölf Stunden kann es im Ofen bleiben, achtzig, neunzig Grad, und dann ist es herrlich genau fertig, wenn man essen möchte."

Auch in der Hauptstadt der DDR konnte man koscher leben, erzählt Debora Simon, die schon seit vielen Jahrzehnten in Ostberlin lebt: Alle zwei Wochen verkaufte ein Schlachter aus Ungarn koscheres Fleisch. Auch ungesäuerte Brote Mazzot und andere jüdische Lebensmittel waren zu bekommen. Aber Debora Simon selbst kocht nicht koscher: ein Geschirr für milchiges und ein Geschirr für fleischiges Essen und zwei Spülmaschinen - das ist ihr zu aufwändig.

"Man müsste wahrscheinlich auch zwei Kühlschränke haben, das haben wir alles nicht. Und wenn wir koschere Gäste haben, ist es so, dass sie von Papptellern essen müssen, wenn sie wirklich streng koscher sind, und vielleicht sogar mit Plastikbesteck, die konnten vielleicht ein gekochtes Ei bei uns essen und ein Glas Tee, mehr eigentlich nicht, und wenn sie bei mir von einem Teller essen, ist irgendwann auf diesem Teller mal fleischig gewesen und mal milchig gewesen. Wenn ich in Richtung koscher gehen wollte, dann würde ich in Richtung vegetarisch gehen, dann würde ich kein Fleisch essen."

Buchtipp:
Simon, Debora und Hermann: Jüdische Familienrezepte. Ein Kochbuch. Mit Vignetten von Ingrid Kühnert. Teetz, Berlin. Hentrich & Hentrich . 64 S. Kartoniert. 15,5 x 11,5 cm.
Jüdische Miniaturen 70.