Politologin Natascha Strobl

"Das System Sebastian Kurz muss ein Ende finden"

06:50 Minuten
Ein junger Mann läuft zwischen zwei Polizeibeamten.
Gegen den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. © picture alliance / dpa / Herbert Neubauer / APA / picturedesk.com
Natascha Strobl im Gespräch mit Vladimir Balzer · 07.10.2021
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Die österreichische Regierungspartei ÖVP von Kanzler Sebastian Kurz soll positive Berichterstattung und falsche Umfragen gekauft haben. Die ÖVP dürfe nicht mehr weiter regieren, meint Politologin Natascha Strobl, sonst drohe dem Rechtsstaat großer Schaden.
Die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und mehrere enge Mitarbeiter. Die Regierung von Sebastian Kurz soll wohlwollende Berichterstattung und gefälschte Umfragen gekauft haben.
"Der letzte Skandal, der Österreich wirklich in eine tiefe Krise gestürzt hat, war der Ibiza-Skandal, das war die FPÖ. Und alles, was die FPÖ angekündigt hat, sehen wir jetzt schwarz auf weiß bei der ÖVP und dementsprechend gewaltig ist der Skandal", sagt die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl.
Inseratenkorruption sei nicht neu in Österreich. "Man hat jetzt die Chance, diesem System als Ganzes den gar auszumachen", so Strobl. Das sei längst überfällig. Dass man allerdings schwarz auf weiß dokumentiert, dass man sich nicht nur eine bessere Berichterstattung erwarte, sondern, dass es hinsichtlich der Berichterstattung tatsächlich Absprachen gemacht worden sein sollen, sei "eine neue Qualität", so Strobl.

Politik und Journalismus zu eng verwoben

Österreich sei ein sehr kleines Land. Politik und Journalismus seien ein "eigener kleiner Mikrokosmos, in dem alle alle kennen", sagt Strobl. Es bräuchte neue Leute, die nicht immer in denselben Cliquen hängen würden: "Dann passiert so etwas auch nicht." Die Trennung zwischen Politik und Journalismus müsse in Österreich klarer gestaltet werden.
Das System von Sebastian Kurz baue sehr auf persönliche Loyalitäten auf. "Nicht nur mit seinen engsten politischen Mitarbeitern, sondern auch auf getreuen Journalisten und Journalistinnen und sogar reininterveniert in Redaktionen, wer welchen Posten bekommt", so Strobl.

Gefahr für den Rechtsstaat

"Dieses System Sebastian Kurz muss ein Ende finden, denn wenn Sebastian Kurz mit dieser Politik, mit diesem Umfeld, mit diesen Netzwerken an der Macht bleibt, dann wird es eine Beschädigung der unabhängigen Justiz zur Folge haben. Und das kann ein Rechtsstaat sich nicht leisten", warnt die Politikwissenschaftlerin.
Sie fordert ein Überdenken und Neuaufstellen, wie (Medien-)Politik funktioniere und auch ein Umdenken wie nah Journalisten und Journalistinnen Politikern sein sollten. Strobl glaubt nicht, dass Kurz zurücktreten werde, "das widerspricht seiner Art, Politik zu machen".
Strobl sieht zwei Möglichkeiten: Entweder kündigten die Grünen die Koalition auf oder der Bundespräsident entlasse die Regierung. "Ganz wichtig wäre, dass diese Kurz-ÖVP aus der Regierung draußen ist, denn sonst bedeutet das einen ganz großen Schaden für den österreichischen Rechtsstaat", sagt Strobl.

Freiwilliger Rücktritt unwahrscheinlich

Es gäbe Sachbeweise in einer Dichte, "wie es das eigentlich noch nie gegen ein österreichisches Regierungsmitglied gegeben hat", sagt Peter Pilz [AUDIO] . Er ist eines der Gründungsmitglieder der österreichischen Grünen, ist allerdings aus der Partei ausgetreten und nun Herausgeber des Nachrichtenportals "zackzack.at".
"Damit ist die Republik an einer sehr heiklen Phase angelangt", so Pilz. Eigentlich erwarte man einen Rücktritt, doch Sebastian kurz habe keine Alternative. Auch Pilz glaube nicht an einen freiwilligen Rücktritt des Kanzlers. "Der Rücktritt wäre der Beginn eines totalen Absturzes. Und er ist bereit, bis zum Untergang seiner eigenen Partei zu kämpfen. Dieser Endkampf-Kurz hat jetzt begonnen."

Schon im Mai hat sich das ZDF Magazin Royale mit dem Einfluss von Sebastian Kurz auf die Medien auseinandergesetzt. Der österreichische Journalist von Christoph Schattleitner hat damals mit recherchiert und sagt im Gespräch, dass er das jetzt bekannte Ausmaß der Affäre "gar nicht fassen" könne. Die österreichischen Medienlandschaft sei sehr abhängig von der Regierung und deren Inseraten. Die Fehlleistungen von Kurz seien "viel schlimmer" als die von Heinz-Christian Strache im damaligen Ibiza-Video. Doch Kurz komme offenbar bisher beim Bürgertum mit seinem Image als "Schwiegersohn" damit durch.
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