Kommentar zu Kidfluencing

Reichweite auf Kosten der Kinder

04:10 Minuten
Eine Mutter steht gemeinsam mit ihrem Sohn vor einem Smartphone mit Ringlicht.
Familiencontent erzielt hohe Reichweiten auf Social Media – oft auf Kosten der Privatsphäre und Rechte von Kindern © imago / Westend61 / Diego Martin
Von Leni Karrer |
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Wutanfälle, Krankheiten, Kuschelmomente: Das Leben von Influencer-Kindern ist öffentlich – oft von Geburt an. Doch ihre Rechte bleiben ungeschützt. Nun erobern KI-Babys die Feeds: Lösung oder Teil des Problems?
Auf Instagram, YouTube und TikTok veröffentlichen Content-Creator wie "Die Jindaouis", "Mamiseelen" oder Lisa Ölmüller authentische Einblicke aus ihrem Familienleben. Als Teil des Familienblogs filmen sie ihre Kinder in intimsten Momenten: wie sie morgens noch verschlafen mit der Mama kuscheln, sich im Wutanfall auf den Boden werfen oder mit einem Magen-Darm-Infekt über der Kloschüssel hängen.
Man weiß alles über diese Kinder: was für Krankheiten, Lieblingsessen und Kuscheltiere sie haben, wie ihr Schlafanzug und Kinderzimmer aussieht, oder wann sie es zum ersten Mal aufs Töpfchen geschafft haben.
Inhalte mit Kindern zählen zu den beliebtesten Formaten auf Social-Media. Und süße Gesichter klicken sich nicht nur gut, sondern lassen sich auch hervorragend für Werbekooperationen vermarkten: Wie etwa bei den 11- und 12-jährigen Geschwistern "Vlad und Niki" oder auch "Like Nastya", die in zahlreichen Videos ununterbrochen Spielzeug in die Kamera halten oder sich mit Kinderlotion einer bestimmten Marke eincremen.
Diese Kinder haben ihre Eltern reich gemacht. Doch die Nähe hat ihren Preis: Ein Rechtsgutachten von 2024 des Deutschen Kinderhilfswerks kommt zu dem Schluss, dass sich "Family-Influencing" häufig im Bereich der Kindeswohlgefährdung bewegt.
Denn Kinderarbeit beginnt nicht erst da, wo ein Werbeauftrag stattfindet, sondern sobald mit Kinderbildern Reichweite erzielt und Markeninteresse erweckt wird. Also bei kommerziellen Accounts eigentlich immer. Erst im Alter von 14 Jahren ist die Einwilligung des Kindes erforderlich – doch wo kein Kläger, da kein Richter.

Frankreich schützt Influencer-Kinder

Dass es auch anders geht, zeigt Frankreich, wo inzwischen Unternehmen, die mit Kindern von Influencern ihre Produkte vermarkten wollen, die Zustimmung des lokalen Sozialamts benötigen. Zudem müssen Einnahmen auf ein Treuhandkonto eingezahlt werden, auf das die Kinder selbst mit 18 zugreifen dürfen.
In Deutschland hingegen klafft weiterhin eine Gesetzeslücke, unter der vor allem die betroffenen Kinder leiden. Wenn Eltern intime Details oder Bilder aus dem Leben ihrer Kinder veröffentlichen, verletzen sie deren Persönlichkeitsrechte. Kinder könnten später für den Content ihrer Eltern gemobbt werden, zumal auch Namen, Alter und Wohnort oft für jeden einsehbar sind – da bringen auch Emojis oder die Verpixelung der Kindergesichter nichts, die man heutzutage mittels KI entfernen kann. Und es geht auch noch schlimmer: Viele dieser Bilder landen im Darknet.
Da mag es auf den ersten Blick beruhigen, dass gerade ein neuer Trend entsteht: Sogenannte „KI-Babys“ erobern momentan Instagram und TikTok – künstlich generierte Kinderbilder, die als vermeintliche Alternative zum Familiencontent dienen sollen. Auch Prominente wie Felix Lobrecht, Donald Trump oder Montana Black kursieren als sprechende, animierte Babys. Macht das die Sache besser?

KI-Babys normalisieren die Vermarktung von Kinderkörpern

Zwar verletzen KI-Babys grundsätzlich keine Persönlichkeitsrechte – allerdings wird es immer schwerer zu unterscheiden, ob ein Bild echt oder ein sogenannter Deepfake ist. Und die KI-Bilder normalisieren weiterhin die Logik, dass Kinderkörper – echte oder künstliche – ein klickstarkes, emotionales Vermarktungsobjekt sind. Außerdem verwischen sie die Grenze zwischen Realität und Fiktion so weit, dass auch solches Material teilweise auf pädokriminellen Seiten landet.
Die Kommerzialisierung von Kindern im Netz hat damit eine neue, beunruhigende Dimension erreicht – selbst dann, wenn die Kinder gar nicht real existieren. KI-Babys schaffen eine ästhetische Normalität dafür, dass Kinderkörper und intime Momente als Content funktionieren sollen. Wenn künstliche Kinderbilder massenhaft geklickt, vermarktet und sexualisiert werden, wird zugleich ein Umfeld geschaffen, in dem auch reale Kinder leichter zu Objekten werden.

Leni Karrer ist Schauspielerin, Regisseurin und freie Autorin.

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