100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Die Karriere eines Rechtsterroristen

06:20 Minuten
Ein Schwarz-Weiß-Porträtfoto von Ernst von Salomon, aufgenommen um 1950
Ernst von Salomon, aufgenommen um 1950: Der Schriftsteller war in der Weimarer Republik unter anderem Mitglied der Organisation Consul. © picture-alliance / akg-images / Ursula Litzmann
Von Elke Kimmel · 02.03.2022
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Der rechtsterroristische Untergrund der Weimarer Republik war groß. Welche brutalen Praktiken dort herrschten, zeigte im Frühjahr 1922 ein Prozess gegen Angehörige der Organisation Consul. Eines ihrer Mitglieder machte eine erstaunliche Karriere.

„Schwere Strafen in Düsseldorf.
Bei der Vernehmung gab einer der Angeklagten zu, dass die Organisation Consul mit der Brigade Ehrhardt in Verbindung steht (…).
Er fügte hinzu, dass bei der Brigade Ehrhardt und ihren Unterabteilungen Fehmgerichte bestehen, deren Mitglieder und Tagungsorte den Angehörigen der Organisation unbekannt sind. Als erwiesen ist anzusehen, dass sich die Organisation Ehrhardt über das ganze Reich erstreckt und rund 10.000 Mitglieder zählt.“

Das berichtet der „Vorwärts“ am 4. März 1922 über einen Strafprozess gegen Mitglieder jener Organisation, die auch für die Ermordung des ehemaligen Finanzministers Matthias Erzberger verantwortlich ist.
In dem Verfahren wird deutlich, wie groß der rechtsterroristische Untergrund der Weimarer Republik ist und welche Praktiken dort herrschen.

Von der Brigade Ehrhardt zur Organisation Consul

Die Hälfte der 10.000 Mitglieder zählenden Brigade Ehrhardt hat sich nach dem missglückten Putschversuch 1920 zur Organisation Consul zusammengeschlossen. Mit Femegerichten geht sie gegen Leute vor, die ihre Aktionen verraten oder angeblich verraten haben.
Dass in Düsseldorf ein Verfahren stattfindet und die beiden Hauptangeklagten sowie weitere der insgesamt 21 Beschuldigten verurteilt werden, hängt mit dem Sonderstatus des Rheinlandes zusammen, das unter alliierter Kontrolle steht.
Andernorts in Deutschland können die rechten Netzwerke unbehelligt weitermachen, obwohl sie mit dem Erzberger-Mord in Verbindung gebracht werden.

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe von Deutschlandfunk Kultur in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung
Autorin: Elke Kimmel

Im hessischen Bad Nauheim versuchen in der Nacht auf den 5. März 1922 vier Angehörige der Organisation Consul den angeblichen Verräter Erwin Wagner umzubringen. Unter ihnen sind der spätere Rathenau-Attentäter Erwin Kern und der 19-jährige Ernst von Salomon.

„Ursprünglich hatten Kern und ich die Absicht, Wagner zu töten. (…) Dass die Tötung nicht geschah, war, wie Kern ausdrückte, einfach ein Versager.“

Das berichtet Ernst von Salomon ganz ungeniert in einem Buch, das er 1951 in der Bundesrepublik veröffentlicht. Wagner hat den versuchten Fememord schwer verletzt überlebt und rettet sich, indem er untertaucht. Erst 1927 kommt der Mordanschlag vor Gericht.

Im Jahr 1927 von Hindenburg begnadigt

Einer der Angeklagten ist Ernst von Salomon. Er ist Sohn eines hochrangigen Polizisten, hat bis 1918 die Kadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde besucht und anschließend verschiedenen Freikorpsverbänden angehört. Er war nach 1918 an den Kämpfen im Baltikum und in Oberschlesien und am Kapp-Putsch beteiligt. Nach dem Verbot der Brigade Ehrhardt wurde er Mitglied der „Organisation Consul“.
Im Gießener Fememordprozess wird Salomon 1927 wegen Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt sitzt er bereits wegen seiner Beteiligung am Rathenau-Mord im Zuchthaus, wird aber Ende 1927 von Reichspräsident Hindenburg begnadigt.
Nach der Entlassung unterstützt von Salomon inhaftierte Gesinnungsgenossen und beginnt als Autor für den nationalsozialistischen „Angriff“ und andere rechte Zeitungen zu schreiben. Der „Vorwärts“ berichtet am 5. Februar 1929:

„Der Ehrhardt-Mann von Salomon hat in der Zeitschrift ‚Deutsche Front‘ zwei Artikel über die Morde an Erzberger und Rathenau veröffentlicht, in denen er die Behauptung aufstellte, die Vorsehung habe sich der Mörder zu ihren Zwecken bedient. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Vergehens gegen das Republikschutzgesetz, die Hamburger Strafkammer sprach ihn frei. Sie erblickte in den Aufsätzen weder eine Verherrlichung noch eine Billigung der Morde. Ein merkwürdiges Urteil. (…)

Also: Es ist Gotteslästerung, Christus in der Gestalt eines gefallenen Kriegers zu zeichnen. Es ist aber keine Gotteslästerung, zu behaupten, dass Gott sich feige Mörder zu seinen Werkzeugen erwählt und dass er die Morde an Erzberger und Rathenau gewollt habe.“

Auch in seinen autobiografisch geprägten Romanen, die von Salomon ab 1930 veröffentlicht, distanziert er sich nicht von seinen Verbrechen. Seine Bücher verkaufen sich gut, nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten schreibt er auch Drehbücher für NS-Propagandafilme. Er tritt jedoch nicht in die NSDAP ein und schützt seine jüdische Frau vor Verfolgung.

In der Bundesrepublik Drehbuchautor und Schriftsteller

Nach 1945 verhaften ihn die amerikanischen Besatzungsbehörden wegen seiner rechtsterroristischen Vergangenheit in der Weimarer Republik. Ab September 1946, nach seiner Freilassung, verarbeitet von Salomon Lager- und Entnazifizierungserfahrungen in dem Roman „Der Fragebogen“, der 1951 erscheint und in der der Bundesrepublik Deutschland ein Bestseller wird.
1972 stirbt Ernst von Salomon als geachteter Drehbuchautor und Schriftsteller in Niedersachsen. Seine Haltung war typisch für bürgerliche Nationalisten, die sich mit den pöbelhaften Nazis nicht gemeinmachen wollten – und diesen dennoch den Weg bereiteten.

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