Politische Talkshows

"Die Auseinandersetzung mit der AfD lohnt sich"

Die stellvertretende AfD-Bundessprecherin Beatrix von Storch während der ARD-Talksendung "Anne Will"
Die stellvertretende AfD-Bundessprecherin Beatrix von Storch während der ARD-Talksendung "Anne Will" © dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
Marie Sagenschneider im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 25.01.2016
In der ARD-Talkrunde von Anne Will saß am Sonntagabend Beatrix von Storch. Unsere Wortchefin Marie Sagenschneider fand es eine gute Idee, die AfD-Politikerin zu Wort kommen zu lassen. Ein Boykott der rechtskonservativen Partei kommt für sie nicht in Frage.
Deutschlandradio Kultur-Wortchefin Marie Sagenschneider hat sich vor dem Hintergrund der Debatte um die AfD dafür ausgesprochen, die Partei so wie jede andere zu behandeln. "Wir sollten kein Problem damit haben, Politiker zum Gespräch zu bitten, egal welcher Couleur", sagte sie. Einzige Einschränkung: Sie dürften keine Extremisten sein, ein Interview müsse zudem potenziell einen Erkenntniswert haben. "Wenn Fragen an AfD-Politiker das versprechen – warum nicht?" Zu der gestrigen Talkrunde von Anne Will sagte Sagenschneider, es sei eine gute Idee gewesen, die AfD dort einzuladen. Der Erkenntnisgewinn der Sendung sei "erstaunlich groß" gewesen.
Seit der Südwestrundfunk AfD, Linke und FDP von einer Diskussionsrunde vor der rheinland-pfälzischen Landtagswahl ausgeladen hat, tobt eine Debatte um das Verhältnis der Medien zur AfD. Auslöser war die Ankündigung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer, an keiner Fernsehdebatte mit AfD-Beteiligung teilnehmen zu wollen. Daraufhin hatte auch die CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner ihre Teilnahme abgesagt.

Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Kann man sich mit der AfD öffentlich, auch und gerade im Fernsehen, vernünftig auseinandersetzen oder ist jede Sendeminute schon Forum zu viel? Seit dem Hickhack um die Wahldebatten in Baden-Württemberg und vor allem in Rheinland-Pfalz stellen sich diese Fragen mit den bekannten Antworten der Ministerpräsidenten in Stuttgart und Mainz – Winfried Kretschmann und Manu Dreyer sagen "Ohne uns" und haben damit erreicht, dass der SWR die AfD ausgeladen hat. Die ARD hat es wiederum gestern Abend anders versucht, bei Anne Will saß Beatrix von Storch, die stellvertretende Bundessprecherin der AfD, Thema natürlich die Flüchtlingspolitik. Aufmerksam zugeschaut und zugehört hat Marie Sagenschneider, Wortchefin von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen!
Marie Sagenschneider: Guten Morgen, Korbinian!
Frenzel: Vor diesem Hintergrund – war das eine gute Idee der ARD, die AfD reinzuholen?
Sagenschneider: Ja, es war auf jeden Fall eine gute Idee, und es war ja auch nicht die erste. Letzte Woche hatte Herr Plasberg zum Thema "Lügenpresse" Herrn Gauland eingeladen, und ich hoffe sehr, dass Malu Dreyer sich diese Diskussion angeschaut hat, weil sie dann nämlich gelernt hat, dass es sich auf jeden Fall lohnt, sich mit einer Partei auseinanderzusetzen, die ja nach dem jetzigen Stand immerhin zehn Prozent der Stimmen gewinnen könnte, und da muss sich ein Politiker fragen, was repräsentiert diese Partei für zehn Prozent des Wahlvolks, und wie kann ich diese Stimmen gewinnen, auch durch eine gerade eben öffentliche Auseinandersetzung mit der AfD.
Es gelang bei Anne Will, Beatrix von Storch so zu zeigen, wie sie ist
Warum war es eine gute Idee – weil es eben auch gelungen war, Frau von Storch so zu zeigen wie sie ist, eine rechtskonservative Politikerin, die Fremde nicht in ihr Land lassen möchte, die Flüchtlinge nicht der Integration wert befindet, weil diese dann ja sowieso, wenn der Krieg beendet ist – wann immer dieser Krieg auch beendet ist – wieder das Land verlassen müssen, die die Politik der rigiden Abschottung vertritt – Stichwort Drittstaatenregelung – und schlicht und ergreifend sagt, das ist eben das Problem der Türkei, das Problem von Griechenland, von Italien, denn dort sind ja alle sicher, und warum sollen wir diese Flüchtlinge aufnehmen. Frau von Storch, das fand ich das Interessante, hat am Anfang dieser Diskussion, die erste Dreiviertelstunde, nicht mehr Raum eingenommen als die anderen Politiker auch, man blieb beim Thema bis zum letzten Viertel der Sendung, als Anne Will auf einen Facebook-Eintrag von Beatrix von Storch verwies.
((Einspieler))
Da kam das Bild, das Beatrix von Storch von sich vermitteln wollte, die besonnene Politikerin, doch ein bisschen ins Wanken, sie versuchte sich da auf Gerüchte rauszureden, die kursiert hätten, aber das war dann einfach nicht mehr zu retten.
Frenzel: Ich muss gestehen, das war die Stelle in der Sendung, wo ich noch mal richtig wach geworden bin, weil bis dahin hatte ich auch den Eindruck, ja, ganz normale Politikerin, nicht besonders souverän im Auftreten, also das war Hans-Peter Friedrich von der CSU eigentlich der größere und erfolgreichere Populist, war so mein Eindruck, zumindest in der Rhetorik, und dann das, was ja letztendlich noch mal diese ganze Flanke aufgemacht hat, die ja auch Menschen, Politiker wie Malu Dreyer meinen, also diese Seite der AfD, die ja irgendwie komplett irrlichtern ist. Ist das nicht eine Gefahr, dass man letztendlich da so ein doppeltes Gesicht kriegt, also die zivilisierte AfD in den Fernsehrunden, die aber im Hintergrund ganz anderes betreibt?
Zwischen Friedrich und Laschet herrschte eiskalte Stimmung
Sagenschneider: Ich glaube, das ist die Frage, wie man da rangeht, und Anne Will hat das sehr klug gemacht. Sie hat Beatrix von Storch erst den Raum gegeben, mit den anderen zu diskutieren, und das war auch genau das Thema – wollen wir die Grenzen schließen, ja oder nein – und erst am Ende dann genau dieses andere Gesicht gezeigt. Das fand ich eigentlich genau so rum sehr klug, und insgesamt, mir ging es anders als Ihnen, ich fand den Erkenntniswert dieser Sendung erstaunlich groß. Vor allen Dingen, weil man verfolgen konnte in dieser Diskussion, wie sehr sich die CSU inzwischen der AfD angenähert hat. Man hatte ja das Gefühl, mit kleinen Differenzierungen, dass Herr Friedrich und Frau Storch sich immerzu einig sind, und Anne Will hat sie auch sehr gekonnt in einen Topf geworfen, unwidersprochen von beiden, das fand ich wirklich interessant. Man konnte verfolgen, weil ja auch Armin Laschet von der CDU dort saß, wie die CSU und die CDU, welche eiskalte Stimmung dort inzwischen herrscht. Die schauten sich noch nicht mal an, es war sogar so ein leicht aggressiver Unterton zu hören. Insofern fand ich diese Diskussion schon von Erkenntniswert.
Frenzel: Es war ja insofern spannend, Armin Laschet, der für die CDU da saß, der hat ja fast im Prinzip das gesamte politische Spektrum – SPD, Grüne – mitvertreten, hatte man den Eindruck. Wenn man auf Twitter schaut, ist das auch ein Kritikpunkt, dass man sagt, Anne Will, wen lädst du da eigentlich ein, das war also dreimal schwarz und einmal AfD. Ist das auch ein Problem dieser Debatte – letztendlich war Armin Laschet der Vertreter der großen Mehrheitsmeinung, zumindest im politischen Rund des Bundestages?
Marie Sagenschneider, Wortchefin von Deutschlandradio Kultur
Marie Sagenschneider, Wortchefin von Deutschlandradio Kultur: Interviews aus Lust am Erkenntnisgewinn© Deutschlandradio / Bettina Straub
Sagenschneider: Das ist ja noch die Frage, ob er das ist. Nein, er war nicht alleine, er hatte noch den EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm an seiner Seite, der für mich auch tatsächlich die stärkste Figur in dieser Diskussion war. Man merkte, dass er sich schwer vorgenommen hat, wirklich Sachlichkeit in diese Diskussion zu bringen, konkrete Fragen zu stellen. Er war auch der einzige, der wirklich eine globale Perspektive eingenommen hat, Armin Laschet die europäische – das stimmt, und er hat ein breites Spektrum abgedeckt – aber Bedford-Strohm war der einzige, der diese globale Perspektive in den Raum geworfen hat und gefragt hat, was bedeutet es zum Beispiel, wenn wir sagen, wir müssen die Lebensbedingung der Menschen in Afrika verbessern, damit sie nicht in Scharen zu uns kommen und der konkrete Beispiele genannt hat, warum wir in dieser Frage auch versagen. Also wir überschwemmen – das war das Beispiel, was er genannt hat – den afrikanischen Markt mit deutschen und europäischen Hähnchenschenkeln, machen dort die Märkte kaputt, weil wir weiter auf unseren wirtschaftlichen Vorteil bedacht sind. Sind wir das weiter noch – die Antwort darauf gab es natürlich leider nicht.
Frenzel: Die Antwort auf eine Frage brauche ich noch nämlich: Wie halten wir es bei Deutschlandradio Kultur mit der AfD?
Die AfD sollte so behandelt werden wie andere Parteien auch
Sagenschneider: Wir sollten kein Problem damit haben, Politiker zum Gespräch zu bitten egal welcher Couleur. Also ein paar Voraussetzungen gibt es natürlich: Sie müssen sich artikulieren können, sie dürfen keine Extremisten sein, wir sollten konkrete Fragen an diese Personen haben und uns tatsächlich – das, was ich vorhin gesagt habe – auch einen Erkenntniswert versprechen, denn darum geht es ja im Journalismus – neugierig sein, etwas verstehen wollen, um es einordnen zu können, und wenn Fragen an AfD-Politiker das versprechen, warum nicht. Ich würde Frau von Storch nicht einladen, um ihren Facebook-Eintrag mir erklären zu lassen, das finde ich fruchtlos, aber wie Griechenland es schaffen soll, Millionen von Flüchtlingen zu versorgen, da wäre ich dann schon neugierig auf eine Antwort.
Frenzel: Wir werden es mal machen! Anne Will hat diskutiert gestern Abend mit der AfD-Frau Beatrix von Storch, nichts besonderes eigentlich und irgendwie doch. Marie Sagenschneider, Wortchefin von Deutschlandradio Kultur, danke für den Besuch hier!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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