Kommentar zum politischen Dialog

Die Rechten vom Spielbrett der Demokratie verbannen

04:27 Minuten
Schriftzug "Demokratie" in den Deutschlandfarben schwarz, rot, gold
Der Kulturkampf von rechts zielt auf den Kern der Demokratie, meint Sieglinde Geisel © picture alliance / Frank May
Ein Kommentar von Sieglinde Geisel |
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Die extreme Rechte beschädigt ein Kerninstrument der Demokratie: die offene Diskussionskultur. Denn sie will gar nicht reden – ihr geht es allein um Terraingewinn. Grund genug, den politischen Dialog mit den Rechten einzustellen.
Der Aufstieg der neuen Rechten begann mit dem Satz „Das wird man wohl noch sagen dürfen!“ Dieser Satz wurde bemüht, wenn die Rechten Dinge sagten, über die alle sich empörten. Er erlaubte ihnen, sich über die Empörung der anderen zu empören.
In der ersten Zeit gab es das Projekt „Mit Rechten reden“. Man wollte die "besorgten Bürger" verstehen, sie einbinden in den Dialog. Ich erinnere mich, wie mir vor gut zehn Jahren auf einem Podium das Wort „Lügenpresse!“ entgegengeschleudert wurde. Damals war das Wort noch neu, und ich wollte der Dame im Publikum allen Ernstes erklären, wie es in einer Redaktion zugeht.
Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass es dieser Dame nicht um Fakten ging, sondern um Territorium.
Das Projekt „Mit Rechten reden“ ist gescheitert, denn die Rechten wollten gar nicht mit uns reden, im Gegenteil: Sie brachen alle Regeln des Gesprächs. Die Brandstifter unter ihnen profilierten sich bei öffentlichen Auftritten in der Disziplin des Taubenschachs: Man stolziert übers Spielfeld, schmeißt die Figuren um, kackt aufs Brett und erklärt sich zum Sieger.

Die Achillesferse der Demokratie: Toleranz

Die Rechten erheben Anspruch auf eine widerspruchsfreie Zone, um jene untergegangene Welt heraufzubeschwören, in der Männer noch Männer waren und das Stadtbild übersichtlich. Argumente stören dabei nur.
Die Brandstifter setzen auf explosive Emotionen: Hass, Angst und Wut. Dabei wird das gesamte politische Feld bespielt: Coronamaßnahmen, Windräder, Russlands Angriffskrieg. Doch so austauschbar die Themen, so eindeutig ist die Stoßrichtung: Immer geht es gegen den als links und elitär denunzierten Mainstream.
"Fuck liberals!", heißt die Parole auf MAGA-amerikanisch. Je größer das Entsetzen der Gegenseite, desto besser. Dass man sich dabei gelegentlich ins eigene Fleisch schneidet, spielt keine Rolle.
Der Kulturkampf von rechts zielt auf den Kern der Demokratie: auf Adornos woke Idee einer Gesellschaft, in der man ohne Angst verschieden sein kann. Mit der Toleranz allerdings verhält es sich wie mit der Demokratie: Sie ist ihre eigene Achillesferse.
Der Philosoph Karl Popper schuf 1944 den Begriff des Toleranz-Paradoxons: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz."  Thomas Mann formuliert es drastischer: "Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt."

Gespräche mit den Rechten können nur scheitern

Es ist erschreckend, wie viel Macht diese Rechte global in den letzten Jahren erringen konnte. Bei Macht geht es immer um die Frage: Wer spielt wessen Spiel? Wie lange sprangen die Medien über jedes Stöckchen, das ihnen hingehalten wurde! Wie hartnäckig hielt sich in den Talkshows die false balance, mit der im Namen einer vermeintlichen Ausgewogenheit der Diskurs verzerrt wurde!
Bei jeder Gelegenheit schreien die Rechten: „Zensur!“ Sind sie jedoch einmal an der Macht, canceln sie selbst alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist.
Haben die Linksliberalen eine Mitverantwortung für den Erfolg der Rechten? Wenn, dann nicht, weil sie zu links sind. Sondern weil sie zu lange versucht haben, mit den Rechten ein Gespräch zu führen. Sie ignorierten dabei die Voraussetzung echter Gespräche: die Annahme, dass das Gegenüber recht haben könnte.
Wenn die Gegenseite jedoch Diskriminierung fordert und Fakten leugnet, ist das nicht mehr möglich – dann spielt man das Spiel der anderen und kann nur verlieren. Die Rechten vom Spielbrett der Demokratie zu verbannen, ist eine Notlösung. Aber vielleicht ist es die Beste alle schlechten Lösungen.
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