Polit-Boulevard

Kurz und kritisch

Von Vera Block |
Eher küchen- als tiefenpsychologisch wirken die Erklärungsversuche Stanislaw Belkowskis über Wladimir Putin. Dennoch: er zeichnet ein mit Anekdoten gespicktes Sittenbild der russischen Politik und nimmt dem Machtsystem etwas von seiner Bedrohlichkeit.
Der russische Politikwissenschaftler Stanislaw Belkowski nimmt sich vor, mit Irrtümern und Vorurteilen gegenüber Wladimir Putin aufzuräumen und ein wahres Porträt des laut Forbes mächtigsten Mannes der Welt zu zeichnen: Eines einsamen bemitleidenswerten Waisen, der in Boris Jelzin einen Ersatz-Vater suchte. Der aus lauter Verzweiflung zu den politischen Parias wie Berlusconi oder Assad hält. Der kein Macho ist. Auch kein Sexgott. Der seine Hunde mehr als Menschen liebt und mit den Zugvögel davonfliegen möchte.
Cover: Stanislaw Belkowski "Wladimir. Die ganze Wahrheit über Putin"
Cover: Stanislaw Belkowski "Wladimir. Die ganze Wahrheit über Putin"© Redline Verlag
Allerdings wirken Belkowskis Erklärungsversuche für Putins Wesen eher küchen- als tiefenpsychologisch. Seine Analyse des zerfallenden ökonomischen Systems Russlands scheint scharfsinnig, doch statt handfeste Argumente zu liefern, appelliert der Autor öfters an den Leser, dem Urteil des Verfassers schlicht zu vertrauen.
Kurz vor Sotchi: Geschickt gewählter Erscheinungstermin
Belkowski skizziert mit leichter Boulevard-Feder ein mit Anekdoten gespicktes Sittenbild der russischen Politikwelt. Er verrät, welche russischen Politiker Spitznamen wie "Das Grab“ oder "Das Antibiotikum“ tragen und mit wem Putins Töchter liiert sind. Ein Putin-Napoleon-Vergleich fehlt ebenso wenig wie ein Exkurs in die griechische Mythologie oder eine Reminiszenz an einen Film der Coen-Brüder.
Im Schnelldurchlauf lässt der Autor die jüngste russische Geschichte mit all ihren Oligarchen-Machtkämpfen, Tschetschenien-Kriegen und Chodorkowski-Prozessen Revue passieren und nimmt dem undurchsichtigen Phänomen des russischen Machtsystems etwas von seiner Bedrohlichkeit.
Die politische Brisanz dieses Buches besteht jedoch in dem geschickt gewählten Erscheinungstermin kurz vor den Olympischen Winterspielen in Sotchi. Angesichts der neuen homophoben Gesetze in Russland über Wladimir Putins latente Homosexualität zu spekulieren, garantiert dem Autor die Aufmerksamkeit des erbosten russischen Staatsapparats und amüsiertes Interesse der westlichen Medien.

Stanislaw Belkowski: Wladimir. Die ganze Wahrheit über Putin
Redline Verlag, München 2013
368 Seiten, 19,99 Euro

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