Der Fall Ogień in Polen

Kult um einen umstrittenen Helden

07:49 Minuten
Junge Menschen stehen vor dem Denkmal zu ehren von Jozef Kuras.
Denkmal für Jozef Kuraś, genannt Ogień, in der südpolnischen Stadt Zakopane. Vielen gilt er als Kriegsheld, der gegen die Nazis kämpfte. © picture alliance / NurPhoto / Artur Widak
Von Martin Sander · 07.09.2022
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Er kämpfte gegen die Nazis, später gegen die Kommunisten. Im heutigen Polen gilt Ogień deswegen Nationalkonservativen als Held. Dass er auch Juden ermorden ließ, bleibt dabei meist unerwähnt.
Unter Geschichtsforschern ist er umstritten. Doch im nationalkonservativen Polen unter Jarosław Kaczyński gilt Józef Kuraś, genannt Ogień, als Held, der erst gegen nationalsozialistisches und dann gegen kommunistisches Unrecht kämpfte. Regierungsnahe Medien wie der katholische Fernsehsender Trwam nehmen Ogień vor jeder Kritik in Schutz.
„Man hat ihm eine schwarze Legende gestrickt. Sogar seine Erinnerungen wurden gefälscht. Man hat ihm unterstellt, er habe massenhaft Frauen vergewaltigt, er habe aus Raublust gemordet, und das jüdische Problem: Er habe Juden nur deshalb umgebracht, weil sie Juden waren. Es sei ein extremer Antisemit gewesen.“ Und das sei alles unwahr, beteuert Wojciech Polak. Für den national gesinnten Historiker ist Józef Kuraś, genannt Ogień, eine Galionsfigur, gehört er zu den verfemten Soldaten. So nennt man in Polen seit Jahren offiziell jene, die nach 1945 gegen die neue kommunistische Obrigkeit zur Waffe griffen.
„Seine Leute haben nicht aus Vergnügen getötet, sondern aus Notwendigkeit. Sie hatten keine andere Wahl. Bevor sie töteten, haben sie zu Gericht gesessen, gewarnt und noch einmal gewarnt“, meldet sich Zbigniew, der Sohn von Józef Kuraś im Fernsehsender Trwam (auf Deutsch „Ich halte durch“) zu Wort.

Die Gestapo ermordete seine Familie

In der südpolnischen Stadt Zakopane am Fuße der Karpaten steht seit 2006 ein gewaltiges Ogień-Denkmal aus Felsstein mit flugbereitem Adler.
20 Kilometer weiter nördlich, in einem Dorf bei Nowy Targ kam Józef Kuraś 1915 zur Welt. Unter deutscher Besatzung kämpfte er in diversen Formationen des polnischen Untergrunds. 1943 ermordete die Gestapo seinen Vater, seine Ehefrau und seinen Sohn. Die Deutschen brannten sein Haus nieder. Seither nannte sich Kuraś Ogień, auf Deutsch Feuer.

Kampf gegen die Kommunisten

Nach dem Krieg ordnete sich Ogień zunächst den neuen sowjetischen Machthabern unter. Aber dann, nach kurzer Zeit, blies er zum Kampf gegen die Kommunisten. Seine Kampftruppe bestand aus bis zu 500 Mann. Im Februar 1947 wurde Ogień in Nowy Targ von Angehörigen des kommunistischen Sicherheitsdienstes gestellt. Um der Gefangenschaft zu entgehen, nahm er sich das Leben.
Über 100 Funktionäre des kommunistischen Staats waren Ogień und seinen Leuten in den ersten beiden Nachkriegsjahren zum Opfer gefallen. Aber die Partisanen-Truppe mordete auch Menschen, die mit dem Kommunismus nichts oder kaum etwas zu tun hatten, vor allem jüdische Polen, Überlebende des Holocaust.

Mordaktionen gegen Juden

Der Politikwissenschaftler Jerzy Wójcik hat darüber ein Buch geschrieben. Darin widerspricht er der nationalkonservativen Darstellung, wonach sich Ogień und seine Kämpfer allein gegen die kommunistische Gewalt zur Wehr setzten und ihr zum Opfer fielen.
Wójcik schildert zum Beispiel, wie Ogień 1946 den Befehl gab, eine Gruppe von Juden zu liquidieren, die in einem Lastwagen Richtung Tschechoslowakei unterwegs waren. „Es waren 26 Juden im Lastwagen: Frauen, Kinder, Zivilisten“, sagt er. „Ogieńs Leute ließen sie aussteigen. Dann prüften sie ihre Ausweise und nahmen ihnen ihr Geld ab. Schließlich eröffneten sie das Feuer aus ihren Maschinenpistolen. 13 kamen ums Leben, den übrigen gelang die Flucht.“

Antisemitismus und stereotype Vorstellungen

Ein Einzelfall war das nicht. Es gab weitere Mordaktionen. Die Beweggründe lagen zwischen Antisemitismus, stereotypen Vorstellungen vom jüdischen Kommunismus und Habgier.
Am Ostersamstag 1946 etwa erschossen Ogieńs Leute fünf Juden in Nowy Targ. Die Holocaustforscherin Karolina Panz hat den Fall recherchiert. „Alle sagen, dass Ogień persönlich zugegen war“, meint sie. „Er kam nach Nowy Targ, um Schuhe für seine Verlobte zu besorgen. Auch sein künftiger Schwiegervater war dabei. Er wohnte gleich neben einem Opfer.“ Am Tag darauf sei Ogień von einem katholischen Priester Ogień in einem Dorf nahe Nowy Targ getraut worden. „Das ist etwas, was ich nicht begreifen kann. Man tötet fünf Menschen durch Schüsse in den Hinterkopf und feiert einen Tag später Hochzeit.“

Das Fall Grassgün

In Ogieńs Verantwortung fiel ein weiterer spektakulärer Mord. Der jüdische Landwirt und Kutscher Dawid Grassgrün, Jahrgang 1884, hatte 1942 als einziger eine deutsche Massenexekution auf dem Gelände des Friedhofs von Nowy Targ überlebt. Da er direkt neben dem Friedhof wohnte und sich daher auskannte, konnte er durch ein Zaunloch fliehen.
Danach verbarg er sich vor den Deutschen in der nahen Slowakei. Nach Kriegsende kehrte er nach Nowy Targ zurück. Mit einigen weiteren Überlebenden wollte er dort die jüdische Gemeinde wiederaufbauen.
Im Februar 1946 wurde Dawid Grassgrün ausgeraubt und ermordet. Ogieńs Leute hatten dazu Flugblätter verteilt. „Für Grassgrün ist die Zeit gekommen. Macht euch davon. Wir haben große Lust, euch zu schlagen, zu ermorden, zu erschießen“, hieß es darin.

„Ethnische Säuberung“ im Nachkriegspolen

Karolina Panz, die sich auch mit dem Fall Grassgrün beschäftigt hat, lebt in Podhale. Am Beispiel dieser Region im Süden Polens hat sie die Abläufe einer „ethnischen Säuberung“ in Nachkriegspolen dokumentiert. Für jüdische Polen, die die deutsche Vernichtungspolitik überlebt hatten, sollte dort kein Platz mehr sein, so die Schlussfolgerung.
Einer der zentralen Akteure beim bewaffneten Kampf gegen Juden war Ogień. Die kommunistische Justiz klärte seine Verbrechen teilweise auf. Den Kommunisten ging es aber weniger um den Schutz von Juden, sondern darum, alle Gegner ihrer Staatsgewalt zu diskreditieren und auszuschalten.

Von einem Extrem ins andere

„Die Botschaft war kurz und knapp: Diese Leute waren Feinde der Volksherrschaft“, sagt Buchautor Jerzy Wójcik. „Sie mordeten und raubten und stellten sich so der neuen Ordnung entgegen. In den 1980er-Jahren ist man ins umgekehrte Extrem verfallen. Man hat sie allesamt reingewaschen.
Später, Jahre nach der Wende von 1989, bürgerte sich für alle bewaffneten Kämpfer gegen den Kommunismus der Begriff „verfemte Soldaten“ ein. Seit 2011 widmet der Staat ihnen einen Gedenktag, den 1. März. Als Galionsfigur der verfemten Soldaten soll Ogień gelten. *
Die Holocaustforscherin Karolina Panz warnt. „Jeder, der Ogień heute glorifiziert, muss wissen: Er setzt einem Mann ein Denkmal, der Morde an Zivilisten zu verantworten hat.“
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben die Jahreszahl korrigiert.

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